Etwas HELLA: Ich, Gefangene des Spinners
Hoffentlich werde ich nicht doch noch zur Gefangenen des Eichenprozessionsspinners, auch wenn die Zeit meiner Inhaftierung inzwischen abgelaufen ist. Denn die Bäume vor meiner Haustür sind immer noch nicht mit Dipel ES besprüht worden.
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Hoffentlich werde ich nicht doch noch zur Gefangenen des Eichenprozessionsspinners, auch wenn die Zeit meiner Inhaftierung inzwischen abgelaufen ist. Denn die Bäume vor meiner Haustür sind immer noch nicht mit Dipel ES besprüht worden. Bereits Ende April teilte mir meine Wohnungsgenossenschaft mit, dass „vom 6. Mai bis voraussichtlich 24. Mai 2013 eine Bekämpfungsmaßnahme“ durchgeführt wird. Und: „Nach der Maßnahme ist der Bereich unter den Eichen für 48 Stunden nicht zu betreten.“
Schon als die Eichen hinter unseren Haus drankamen, haben sich reihenweise Menschen in Gefahr gebracht und sind einfach durch die Flatterbänderabsperrung hindurchgekrochen, um zur Straßenbahnhaltestelle oder zur Mülltonne zu kommen. Die Angst vor Gesundheitsschäden ist offensichtlich nicht grundsätzlich in unseren menschlichen Genen angelegt, sondern muss erst ganz langsam erzeugt werden. Am besten durch großangelegte leicht hysterische Kampagnen. Laxe Ankündigungen machen dagegen eher störrisch. Und dann soll Dipel ES nicht mal gesundheitsschädlich sein. Da macht doch schließlich jeder, was er will, oder?
Sollten jedoch wider Erwarten Menschen auch mal auf das hören, was man ihnen sagt, dann dürften wir laut genossenschaftlichem Vermieter in der Heinrich-Mann-Allee zwei Tage lang das Haus nicht verlassen, wenn auch die Straßenbäume besprüht werden. Denn vor unserer Haustür reihen sich drei Reihen Eichen aneinander und verbarrikadieren sogar Straßenbahnhaltestellen. Als Mensch, der seine Arbeit zu großen Teilen von zu Hause aus erledigen kann, könnte ich mich ja bevorraten und mir ganze Autokofferräume voll Nahrung anliefern lassen. Aber was machen die Nachbarn, die der Chef persönlich arbeiten sehen will?
Mit denen erkläre ich mich vorausschauend solidarisch und werde, selbst wenn losgesprüht wird, was das Zeug hält, das Unter-den-Eichen-Flanier-Verbot ignorieren. Denn ich bin längst resistent gegen Chemie von Bi 58 bis DDT. Wer Schädlingsbekämpfung zu DDR-Zeiten überstanden hat, der hält so ein bisschen Neuzeit-Chemie allemal aus. Im Gegenteil, er braucht sein Quäntchen Gift, um keinem Entwöhnungsschock zu unterliegen. Den bekämpfe ich übrigens tapfer durch das Vertilgen zusatzstoffbelasteten Essens. Kleingedrucktes kann ich ohnehin kaum lesen. Und ich behaupte mal, dass ständige Ängste vor irgendetwas krank machen und Frohsinn das Leben verlängert. Ich esse natürlich bewusst viel frisches Zeug und besonders, was mir schmeckt. Ich scheue mich deshalb nicht zuzugeben, dass ich meinen Cholesterinspiegel mit Chemie reguliere und keineswegs nur an fettarmen Kräutlein herumknabbere.
Und um der Frevelei die Krone aufzusetzen, ich schwöre bei der modernen Medizin durchaus auf Chemie und nicht nur auf Homöopathie und Yoga. Glauben Sie wirklich, dass wir immer älter werden ohne die Segnungen der Pharmaindustrie? Diese sollte allerdings ganz bewusst eine eigene Krankheit medikamentieren, nämlich die, sich mit unnützen und teuren Medikamenten dumm und dämlich zu verdienen.
Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam.
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