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Prof. Hermann Goltz.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Im Zweifelsfall für die Opfer

Der Hallenser Professor Hermann Goltz über den Potsdamer Theologen Johannes Lepsius, „unsinnige“ Antisemitismus-Vorwürfe gegen den Humanisten sowie den Umbau des Lepsiushauses in der Großen Weinmeisterstraße

Stand:

Sie haben lange auf die Fördermittel des Bundes für den Innenausbau des Lepsiushauses warten müssen ...

Das Wort ,Warten’ will ich gleich einmal kritisch hinterfragen. Wir haben nicht gewartet, wir haben gearbeitet. Der Lepsiushaus-Verein hat seit über zwei Jahren sein Programm laufen. Auch wenn wir noch länger hätten warten müssen, wäre die Sache nicht gestorben. Wir arbeiten zur Not auch ohne das Haus, wir arbeiten bei den Nachbarn, beim Pfingstberg-Verein, beim Fontane-Archiv, in der Gedenkstätte KGB-Gefängnis, in der Urania, in der Pfingstkirche Dass die Mittel jetzt gekommen sind, ist auch eine angenehme Folgeerscheinung unseres Arbeitens, nicht unseres Wartens.

Warum sollte es eine Forschungs- und Gedenkstätte für Lepsius in Potsdam geben? Warum sollten sich die Potsdamer an Lepsius erinnern?

Weil Lepsius ein Vorbild ist, was den persönlichen Mut betrifft, sich gegen die Politik der eigenen Regierung zu stellen, sich gegen die Strategie des eigenen Militärs zu stellen, das für die eigenen Interessen durchaus bereit war, ein Volk über die Klinge springen zu lassen. Dieser Mann ist aufgrund der bis heute andauernden außenpolitischen Strukturen in Deutschland unter den Teppich gekehrt worden. Er ist aber international und weltweit bekannt. Eine angesehene kritische Historikerin von der renommierten US-Universität Berkeley – nicht ich, der ich mit Lepsius angeblich einen Heiligen-Kult betreibe – hat Lepsius jüngst als einen Helden im Umfeld der deutschen Politik in der Zeit des Ersten Weltkrieges bezeichnet, gegen die er aufgestanden ist. Lepsius ist ein Vorbild auch für die Leute heute: Nicht verzagen, wenn man selber in der Minderheit ist und gegen bestimmte politische Missstände ankämpft.

Wer in der DDR aufgewachsen ist, hat möglicherweise seine Probleme mit dem Begriff Vorbild.

Wenn einer ein ‚Ossi’ ist, dann bin ich es. Ich bin Niederschlesier, bin auf der Flucht geboren, in Görlitz aufgewachsen, habe in Halle studiert, meine ganze Sozialisierung ist ostdeutsch. Insofern weiß ich, was echte Helden sind und was falsche. Ich weiß sehr wohl einen pseudokommunistischen Kleinbürger zu unterscheiden von einem Großbürger wie Lepsius, der sich gegen eine ganze Reichspolitik gestellt hat. Der für seine humanitären Ideale, für seine übernationalen christlichen Ideale Leute zusammengeholt hat, die nicht nur Christen waren, sondern auch solche, die auf der linken Seite und auf der rechten Seite standen. Er verstand es, für die lebensgefährliche Armenier-Hilfsarbeit international die besten Mitarbeiter zu begeistern: Männer und Frauen, Deutsche und Schweizer, Dänen und Armenier, Amerikaner und Franzosen, Christen, Juden und Muslime. Er hat nachweislich viel Gutes bewirkt, er hat Tausende von armenischen Frauen, Männern und Kindern gerettet. Das lasse ich mir nicht schlecht machen von Leuten, die die facettenreiche Biografie von Lepsius nachweislich nicht kennen.

Sie deuten es an, Sie haben einen Widersacher, Wolfgang Gust, der sagt, Lepsius war ein Antisemit, ein rechtsgerichteter Antidemokrat und auf keinen Fall ein Vorbild.

Damit liegt Herr Gust völlig falsch. Weil er damit die eigentlichen Akzente der Lepsius-Biografie verschweigt: dass Lepsius nicht nur einmal gegen die kaiserliche Politik gestanden hat, dass er von der Geheimpolizei des Kaiserreichs verfolgt wurde – er wurde observiert, er hat bewusst konspirativ gearbeitet. Er war das Enfant terrible der deutschen Politik. Im Berliner Auswärtigen Amt bezeichnete man Lepsius im Ersten Weltkrieg als „bösen Engel“. Man klagte dort: Lepsius sei ein Fanatiker, jede Einwirkung auf ihn sei von vornherein aussichtslos. Von kaiserlich-deutschen Politikern wegen des Kampfes für die Rettung des armenischen Volkes als „Fanatiker“ bezeichnet zu werden, von Politikern, die selber das armenische Volk für deutsche strategische Ziele im Orient zu opfern bereit waren, empfinde ich schon als Lob. Antisemitismus ist ein unsinniger Vorwurf, weil Lepsius in seiner eigenen Familie – um es mit dem schlimmen Nazi-Schimpfwort zu sagen – „verjudet“ war und auch mit vielen berühmten Juden zusammengearbeitet hat: So war Kurt Hahn, der späterhin weltweit berühmte Pädagoge, Sohn von Berliner jüdischen Großindustriellen, einer seiner Mitkämpfer. Und mit dem jüdischen Physiker Albert Einstein wirkte Lepsius während des Ersten Weltkriegs in dem „Verein Gleichgesinnter“ zusammen. Und Lepsius hat 1915 in Konstantinopel mit Henry Morgenthau I. zusammengearbeitet, dem amerikanischen Diplomaten deutsch-jüdischer Herkunft und Vater des durch den „Morgenthau-Plan“ bekannt gewordenen Henry Morgenthau II.

Mit einem Judenfeind hätten sich diese Leute nicht abgegeben, das ist wahr

Und wie stimmen die unsinnigen Behauptungen über den angeblichen Antisemiten Lepsius damit überein, dass Lepsius von Theodor Herzl als Ehrengast zum ersten Zionistischen Weltkongress nach Basel eingeladen wurde und dort auch teilnahm? Und heute wird Johannes Lepsius in Israel von wirklichen Kennern seiner Biographie hochgeschätzt, da er sich während seines Aufenthalts in Jerusalem des jüdischen Dichters Naftali Herz Imber, des Schöpfers des Gedichtes „HaTikva“ („Die Hoffnung“), heute Nationalhymne Israels, in schwierigster Situation persönlich annahm.

Woher stammen dann die Motive für die überraschende Kritik an Lepsius?

Ich sage das ganz bewusst, und es tut mir leid, dies nun sagen zu müssen: Das ist eine Neiddebatte, die Herr Gust hier führt. Ich habe aber keine Lust, durch eine Neiddebatte und Totschlagargumente die wirkliche Erforschung einer vielschichtigen Materie zu ersetzen.

Neid auf die Fördermittel?

Ja.

Sehen Sie selbst dennoch Ansätze, wo Lepsius kritisch hinterfragt werden kann?

Lepsius war ein Mann, der in preußisch-deutschem Denken erzogen worden ist, der jedoch sich selbst durch seine christliche Einstellung bekämpft hat. Zwei Seelen lebten in seiner Brust, eine deutsche und eine christliche. Aber das Entscheidende ist: Er hat seinen preußisch-nationalen Standpunkt überwunden – wenn er zum Beispiel mitten im 1.Weltkrieg in seiner in 20 000 Exemplaren verbreiteten, dann von der deutschen Militärzensur verbotenen Völkermord-Dokumentation schrieb: „Legt uns so die Waffenbrüderschaft mit der Türkei Verpflichtungen auf, so darf sie uns doch nicht hindern, die Gebote der Menschlichkeit zu erfüllen. Müssen wir auch in der Öffentlichkeit schweigen, so hört doch unser Gewissen nicht auf zu reden“

Er ist über sich hinausgewachsen?

Über den Rahmen seiner Zeit. Nicht weil er ein antiker Heros war, sondern weil er einfach das Gleichnis vom barmherzigen Samariter in das Zentrum seiner persönlichen christlichen Politik gestellt hat.

War Lepsius eigentlich ein Missionar?

Er wird immer als Missionar bezeichnet, das trifft es aber überhaupt nicht. Was man unter dem Begriff heute oft negativ versteht ist nicht das, was man damals darunter verstand. Das lateinische Wort „Missio“ bedeutet wörtlich „Sendung“, „Aufgabe“. Und als seine eigentliche Sendung, als seine Lebensaufgabe hat Lepsius bereits seit den riesigen Armeniermassakern 1895/1896 verstanden, so viele wie möglich von den verfolgten armenischen Frauen, Kinder und Männer zu retten. Das war die eigentliche „Mission“.

Hätte sich Lepsius auch so für die Armenier eingesetzt, wenn diese keine christliche Minderheit gewesen wären?

Lepsius hat schon 1897 gesagt: Im Zweifelsfall bin ich für die Opfer. Das ist ein sehr moderner Satz. Er hat nicht gesagt: Im Zweifelsfall bin ich für die Christen. Den ersten Satz hat er öffentlich geäußert, als die sogenannte ‚christliche’ Regierung Deutschlands und die sogenannte ‚muslimische’ Regierung der osmanischen Türkei gemeinsam sagten: Die Armenier sind schuld an ihrem Schicksal. Das ist ein sehr typischer Satz für die Ideologie der Unmenschlichkeit aller Zeiten: Die Opfer sind schuld.

Die offizielle türkische Seite erkennt die Tatsache des Völkermords an den Armeniern nicht an. Wir Deutschen haben da einen anderen Kurs eingeschlagen hinsichtlich der Aufarbeitung des Holocaust. Könnten wir ein Vorbild sein für die Türken?

Überhaupt nicht. Erst einmal ist es hier und heute in Deutschland wohlfeil, das Faktum des Völkermords an den Juden anzuerkennen. Wer das von uns nicht machte, der bekäme zu Recht Probleme. Aber wenn man es richtigerweise macht, dann bewegt man sich im Mainstream. Ich kritisiere das nicht. Aber es gehört heute und hier überhaupt kein Mut dazu, zu dieser historischen Tatsache zu stehen. Aber es gehört Mut dazu, das, was nicht in die politische Landschaft passt, zu erforschen. Warum ist Lepsius, obwohl er es durchaus verdiente, nicht so bekannt, wie ein Albert Schweitzer oder ein Dietrich Bonhoeffer? Weil er bis heute in einem schwierigen weltpolitisch-strategischen Kontext steht, dem der Freundschaft zu dem NATO-Partner Türkei. Da ist es natürlich störend, wenn man über einen Völkermord spricht. Schon der Bundestagsbeschluss 2005 sagt aber: Wir Deutschen sind hier nicht die Oberlehrer, die den Türken sagen: ‚Jetzt arbeitet mal schön eure Geschichte auf, wie wir unsere Geschichte aufgearbeitet haben.’ Es ist vielmehr eine doppelte Aufgabe, die wir zu bewältigen haben: In Hinsicht auf den Völkermord an den Armeniern die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches weiter zu erforschen und ebenso die Verbrechen der jungtürkischen Diktatoren und ihrer Helfershelfer, die nicht mit dem ganzen türkischen Volk gleichgesetzt werden können.

Gibt es da auch mal deutsche Diplomaten, die Ihnen sagen: Klappern Sie da in Potsdam mal nicht so laut, das stört?

Sagen wir mal so, wir haben in intensiven und fruchtbaren Gesprächen mit der deutschen Politik eine gemeinsame Basis gefunden, auch was das Auswärtige Amt betrifft und diese lautet: Die Wahrheit darf nicht unter den Teppich gekehrt werden. Ein weiterer Konsens lautet entsprechend den Statuten unseres Fördervereins: Wir werden in Richtung Dialog und Versöhnung arbeiten. Aber vor dem Dialog kommt noch etwas ganz Wichtiges, nämlich die Bildung, die Information, ein Dialog ohne Wissen ist nicht möglich.

Wann kann den der Verein seine Arbeit im Lepsius-Haus fortsetzen?

Unser Geschäftsführer Peter Leinemann ist so kühn zu sagen, das wir den Ausbau des Hauses bis zum Spätsommer 2010 schaffen. Dann wollen wir bis Herbst 2010 die Ausstellung aufbauen. Dann kommt die Installation der Bibliothek, die schon etwa 10 000 Bände umfasst.

Das sind Ihre Bücher und Materialien?

Vieles habe ich selbst gekauft oder auch geschenkt bekommen auf meinen vielen Reisen und mit meinen Bücherkoffern aus Armenien, aus der Türkei, aus dem Libanon, aus Israel, aus England und Frankreich nach Deutschland getragen. Ich arbeite schon seit fast 40 Jahre an der Sache. Da ist viel zusammengekommen.

Nach Potsdam kommen auch viele Original-Dokumente von Lepsius?

Nach Potsdam kommt mein hallisches Archiv, das wir mit Hilfe der Volkswagen-Stiftung aufgebaut und systematisiert haben. Wir haben in dem Chaos von Kartons und Heftern, die wir in den Schränken und Besenkammern in Potsdam gefunden haben, Ordnung geschaffen, so dass die internationale Forschung nun mit diesen Materialien gezielt arbeiten kann und bereits arbeitet. Fast 20 000 Dokumente, die mir Veronika Lepsius hier in Potsdam, noch zu DDR-Zeiten, zur Aufarbeitung übergeben hat, sind von mir und meinem ehemaligen Mitarbeiter Dr. Axel Meißner in jahrelanger Arbeit minutiös beschrieben, geordnet und in der dreiteiligen Edition „Armenien, Deutschland und die Türkei“ in den Jahren 1998 bis 2004 herausgegeben worden.

Das Interview führte Guido Berg

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