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Landeshauptstadt: intelligent“ „Ach, die ist auch ganz

Seine Mutter trug die „Brandenburgischen Neuesten Nachrichten“ aus – er wurde später Redakteur der PNN. Ein sehr persönlicher Rückblick auf 60 Jahre Zeitungsgeschichte in Potsdam

Stand:

So gegen 7 Uhr morgens bekam der erste Kunde die Zeitung in den Briefkasten. Und der letzte vier Stunden später. Heutzutage wäre solch eine Zustellung unzumutbar. Die Verlage hätten massenweise Abbestellungen auf dem Tisch zu liegen. Aber um 1950/51 konnte die Zustellerin noch ganz gemütlich von Haus zu Haus spazieren, hier und da mit dem Zeitungsleser am Gartenzaun plaudern, sich für ein Viertelstündchen zum Morgenkaffee einladen lassen und ganz nebenbei das Blatt aushändigen. Alles geschah ohne Druck.

Hin und wieder wurde auch der Inhalt der Zeitungen erörtert. Dabei kam die Frage auf: Macht ein Wechsel von der „Täglichen Rundschau“ zur „Märkischen Volksstimme“ – das eine Blatt wurde von der Roten Armee, das andere von der SED-Bezirksleitung herausgegeben – Sinn? „Ach wissen Sie, es steht ja überall das Gleiche drin“, war manchmal die Feststellung der Zeitungszustellerin.

So ganz Unrecht hatte sie nicht. Alle Verlautbarungen und Reden der Oberen des Zentralkomitees der SED wurden seitenweise wortwörtlich wiedergegeben, die Berichterstattungen gleichlautend abgefasst und in den Zeitungen gedruckt. Die meisten Leser abonnierten aber wohl ein Blatt, weil man in ihm lokale Bekanntmachungen fand, beispielsweise wann man sich auf die Kohlen- und Kartoffelauslieferung einstellen musste.

Eine Zeitung unterschied sich jedoch vom sonstigen Blätterwald: die „Tagespost“. Für diese Zeitung hatte die Zustellerin ein Herz, denn sie sei „intelligenter als die anderen“. Das Blatt wurde beispielsweise in Bornstedt von einer bestimmten Leserschicht abonniert, von Bauern, Obst- und Gemüsezüchtern, Landschaftsgestaltern, Ärzten, dem Pfarrer und dem Apotheker, von denen, wie sie zu sagen pflegte, sich als die „Vornehmen des Ortes“ wähnten.

Sie bevorzugten nämlich die „Tagespost“, weil in ihr das Feuilleton großgeschrieben wurde. Hier gab es reichliche Informationen über Kultur und Geschichte in Potsdam, sogar oftmals ideologiefrei. Doch die „Tagespost“ stellte im Frühjahr 1951 ihr Erscheinen ein. Als Nachfolgerin wurden ab 2. Mai 1951 die „Brandenburgischen Neuesten Nachrichten“ den Potsdamern und darüber hinaus offeriert. Natürlich war diese Zeitung an ihre Herausgeberin, die „National Demokratische Partei Deutschlands“ gebunden, doch die Redakteure bemühten sich, die Lokalnachrichten, die Berichte über Kunst und Kultur sowie die heimatgeschichtlichen Beiträge so zu veröffentlichen, dass man keine Parteischulung über sich ergehen lassen musste. „Ach, die ist auch wieder ganz intelligent“, erzählte die Zeitungsfrau den Unentschlossenen.

Die Zustellerin hatte sich täglich mit zwei dicht gefüllten Umhängetaschen zu plagen. Fein geordnet waren die Blätter: In der einen fanden ausschließlich die „Märkische Volksstimme“ (MV) und das „Neue Deutschland“ Platz, in der anderen die „Brandenburgischen Neuesten Nachrichten“ (BNN) sowie die „Märkische Union“ oder „Der Morgen“ – Zeitungen der Blockparteien. „Man sollte nichts vermischen“, war die Meinung der Zustellerin. Da war sicherlich ein Quantum Vorurteil dabei, wenn sie sagte: „Die MV abonnieren meist Kommunisten und ihre Mitläufer.“

Die Leser wurden in den Tagen um den 17. Juni 1953, wenn sie es nicht bereits aus dem Radio vernahmen, darüber informiert, dass eine „Clique von DDR-Feinden“ versuchte, einen „konterrevolutionären Putschversuch“ in Gang zu setzen. Doch die in der DDR stationierten sowjetischen Truppen hätten durch ihr „entschlossenes Eingreifen“ die „Absichten des Imperialismus“ durchkreuzt, so die DDR-Medien. Am 17. Juni und einen Tag danach musste man um 18 Uhr die Straßen verlassen haben. Ausnahmezustand. Die Staatsmacht hatte Angst vor den Arbeitern und ihren Fäusten.

Streifenwagen der Polizei und sowjetische Soldaten in Panzern aus den nah gelegenen Kasernen kontrollierten, ob auch die Bornstedter sich an die Anweisungen hielten. „Muss man schon wieder Angst haben?“, war die bange Frage der Frau mit den vielen Zeitungen in den Taschen. Ein ältlicher und nicht mehr strammer FDJler schaute in den Abendstunden ständig aus dem Fenster. „Wir haben den Imperialisten gezeigt, wer hier die Macht hat. Toll nicht wahr?“ Und dann erzählte er immer wieder sehr gern, dass er 1951 an der Langen Brücke beim Versenken des alten Geistes von Potsdam dabei gewesen sei. Mit Hilfe eines Sarges. „Das haben Sie mir schon erzählt“, wusste darauf hin die Zeitungsfrau zu sagen. Aber er vergaß auch mitzuteilen, dass der Sarg nicht unterging, sondern weiter schwamm.

Ein paar Tage nach dem 17. Juni normalisierte sich der Alltag. Eine Nachbarin und Freundin der Zeitungszustellerin fuhr wieder wie gewohnt jeden Morgen mit der S-Bahn nach West-Berlin, um in dieser oder jener Arzt- oder Rechtsanwaltsfamilie den Besen sowie das Putztuch zu schwingen. Natürlich für das heiß begehrte Westgeld. Die Kontrollen der Volkspolizei auf dem Bahnhof Griebnitzsee hat sie erstaunlicherweise gut überstanden. Hin und wieder brachte sie sogar eine „BZ“ mit. Wie und wo sie die Zeitung, die der SED-Führung ein Dorn im Auge war, versteckte, blieb ihr Geheimnis. „Das ist wenigstens eine Zeitung. Die kann man mit Spaß lesen“, sagte die Freundin zu ihrer Nachbarin, der Zeitungsfrau. Dennoch, auch die „Brandenburgischen Neuesten Nachrichten“ hatte sie abonniert. „Die bekommt mein Mann.“ Er sollte sich wenigstens in Ansätzen über die aktuelle Politik der DDR informieren. „Den Rias kann er doch während einer Betriebsversammlung nicht zitieren.“

Der Ehemann der Nachbarin liebte zu Hause alles, was mit Preußen zu tun hat. „Jetzt soll die Ruine des Stadtschlosses abgerissen werden. Das sind ja Verbrecher“, schimpfte er in seinen eigenen vier Wänden. Auf dem Treppenflur sagte er gegenüber dem Sarg-Versenker: „Potsdam wird schöner denn je. Die Ruine steht doch dem Aufbau unseres sozialistischen Potsdam nur im Wege.“ In den „Brandenburgischen Neuesten Nachrichten“ konnte er lesen, dass SED-Chef Walter Ulbricht sich persönlich um das neue Stadtbild kümmere. Am 12. Mai 1959 legte das Politbüro des Zentralkomitees der SED mit der Unterschrift Ulbrichts fest: „Es besteht Einmütigkeit im Politbüro, dass beim Wiederaufbau Potsdams ein Teil der alten Gebäude mit Ausnahme des Schlosses, restauriert werden.“ Und die Zustellerin dachte wohl: Das schöne Schloss. Nun soll es ganz weg. Aber man kann sowieso nichts dagegen machen.

In den Zeitungen, die sie den Bornstedtern nach Hause trug, erfand man eine Begründung für den notwendigen Abriss: „Überprüfungen haben ergeben, dass das noch stehende dicke Mauerwerk des Schlosses gefährliche bis tief in das Fundament gehende Risse aufweist. Man hätte sich also bei einer Restaurierung nicht einmal auf die Baureste stützen können.“

Die Zeitungsfrau wusste nicht, dass man die Argumentation des Instituts für Denkmalpflege zur Wiederherstellung des Stadtschlosses wider besseren Wissens überging. Vom November 1959 bis April 1960 erfolgte dann die systematische Sprengung der verbliebenen Reste des Schlosses. Die Abrisspolitik der SED-Führung in Sachen historischer Bauten trug in Potsdam reiche Früchte.

13. August 1961: Der Rias teilte mit, dass die DDR-Regierung eine Grenze zwischen Ost- und Westberlin, zwischen der DDR und der BRD gezogen hat. In Windeseile sprach es sich herum, niemand konnte mehr nach drüben fahren, keine Verwandte und Freunde besuchen, nicht mehr bummeln und einkaufen, einfach nur mal den wunderbaren Geruch von Kaffee und Schokolade im Tante-Emma-Laden schnuppern oder ins Kino gehen. Die Nachbarin erzählte, dass sie am Vorabend noch in Schlachtensee den Film „Freddy, die Gitarre und das Meer“ sah. „Freddy Quinn – ein wunderbarer Mann. Und singen kann er“, schwärmte sie. Ein paar Wochen nach dem Mauerbau legte sie sich für immer ins Bett. Es war wohl auch die Sehnsucht nach West-Berlin, die sie krank werden ließ. Ein Stück Freiheit wurde ihr genommen. Im Käfig DDR konnte und wollte sie nicht gesunden. Sie starb noch im selben Jahr.

Auch die Zeitungsfrau begriff nicht, dass die Grenze geschlossen war. Einen Tag nach dem Mauerbau fuhr sie zum S-Bahnhof, um sich zu überzeugen, dass wirklich keine Züge nach Wannsee oder zum Zoo fahren. Auf dem Bahnhof, wo sonst reges Leben herrschte, war bleierne Stille. Keine S-Bahn. Nichts. Hin und wieder spähten ein paar Volkspolizisten auf den Vorplatz.

Dann gab es noch einen Abriss, der international auf sich aufmerksam machte. Die Sprengung der Ruine der Garnisonkirche im Jahre 1968. Nach Ansicht der SED war das Gotteshaus ein besonders „übler Hort des Militarismus und Faschismus“. In den Wochen vor dem Abriss des Garnisonkirche haben Potsdamer Christen im Nikolaisaal gegen die Sprengung protestiert. Der Sohn der Zeitungszustellerin, die nun keine mehr war, doch Leserin der BNN, kannte den Raum bisher nur von Konzerten. Jetzt erlebte er ihn als einen von empörten Menschen dicht gefüllten Raum, in dem mutige Worte gegen die Politik der Parteioberen und gegen die Stadtverwaltung, die als Handlangerin der SED fungierte, gesprochen wurden. Doch die Bürgermeinung hatte auch in dieser Angelegenheit kein Gewicht. Die Staatssicherheit hatte nach dieser Veranstaltung noch mehr zu tun.

So zogen sich die Jahre der DDR dahin, im Laufe der Zeit immer zähflüssiger. Potsdamer, die von dem „real existierenden Sozialismus“ genug hatten, verließen die Stadt Richtung Westen. Per geregelter Ausreise oder als Flüchtende. In der Bezirkshauptstadt hatte der Wohnungsbau Priorität. Wertvolle historische Gebäude und Stadtteile ließ man links liegen. Sie dämmerten vor sich hin und verfielen. Nur die Bauten, die im Blick von Touristen waren, mussten restauriert werden. Zu DDR-Zeiten wurden auch Kunst und Kultur gefördert, wenn sie sich nicht der Kontrolle der SED entzogen. Die Angebote für Konzerte und Theateraufführungen waren in Potsdam nicht wenig, leider spielte man in unzulänglichen Provisorien. Der lang versprochene Theaterbau kam erst kurz vor der Wende zum Tragen: auf dem Alten Markt, wo einst das Stadtschloss stand. Und hier hatte er schließlich keine Zukunft.

Im Hans Otto Theater in der Zimmerstraße wurden Stücke gespielt, in denen man „zwischen den Zeilen“ oder ganz deutlich das DDR-System kritisierte. Dies führte zur Absetzung des Stückes „Der Revisor“, einer zeitgenössischen Adaption der Komödie von Nikolai Gogol. Die beliebteste Inszenierung beim Publikum wurde wohl Claus Hammels Komödie „Die Preußen kommen“: In der Prüfungsanstalt für Reintegration historischer Persönlichkeiten (PRI) wurde bereits Martin Luther als positiv bewertet. Nun kommt Friedrich der Große dran. Er wird ins PRI-Büro gebracht und fragt, auf die Porträts von Marx und Engels zeigend, wer diese seien. Die Sekretärin antwortet: „Unsere Klassiker. Das war nach Ihnen.“ Friedrich: „Nach mir gab es keine Klassiker. Nur noch Romantiker.“ Sekretärin: „Da haben Sie auch wieder Recht. Wir nennen sie bloß so.“ Friedrich: „Überprüft?“. Sekretärin: „Gott, wir haben uns ans sie gewöhnt.“

Der Mann der Nachbarin der Zeitungsfrau hätte sich gefreut, dass die Preußen laut staatlicher Verordnung wieder kommen durften. Aber er ist längst tot. Auch die Zeitungsfrau lebte in der Zeit nicht mehr, als die DDR unterging. Ihr Sohn, der ihr als Kind half, die Brandenburgischen Neuesten Nachrichten zu den Lesern zu bringen, war in den Redaktionsstuben der Potsdamer Neuesten Nachrichten dabei, um eine stets lesbare und niveauvolle Zeitung zu produzieren.

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