zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Ist Potsdam das bessere Berlin?

Vor zehn Jahren galt die Stadt um Schloss Sanssouci als Hauptstadt der Depressiven. Heute ist sie Avantgarde. Fernseh- und Modemacher ziehen hin. Aber Potsdamer zu werden ist nicht immer nur eine Frage des Geldes.

Stand:

Vor zehn Jahren galt die Stadt um Schloss Sanssouci als Hauptstadt der Depressiven. Heute ist sie Avantgarde. Fernseh- und Modemacher ziehen hin. Aber Potsdamer zu werden ist nicht immer nur eine Frage des Geldes. Von Kerstin Decker Sogar die Wolken machen mit. Selbstbewusst ziehen sie von Berlin nach Potsdam. Wer bleibt schon noch in Zehlendorf? Am Ufer des Tiefen Sees steht ein Mann, überwacht ihre Ankunft und weiß wieder einmal, dass er alles richtig gemacht hat. Uwe Eric Laufenberg ist ein Neu-Potsdamer. Nun gut, im Augenblick ist er noch Berliner. Aber nur abends. Da spielt er den König der Versager in Gorkis „Nachtasyl“. Typisches Berlin-Stück, sehr depressiv mit lauter Pleitiers und Untergehern. Jeden Morgen aber fährt er raus aus dem Tiefdruckgebiet Berlin. Und aus dem Bühnen-Obdachlosen Laufenberg wird der neue Theater-Intendant von Potsdam. Was, du machst jetzt Theater in der Provinz?, haben ihn manche gefragt. Da schaute Laufenberg sie an, als lebe er schon ewig in Potsdam. Denn nur Provinzler halten Potsdam für Provinz. Also vor allem Berliner. Die anderen glauben: Potsdam ist Avantgarde. Und wenn das nicht jeder mitkriegt, umso besser. Aber Laufenberg hatte gleich einen starken Anfangsverdacht. Anderswo schließen sie Theater. Ihm bauen sie ein neues. Was sagt das über eine Stadt? Dabei hätte Potsdam eine gute Entschuldigung gehabt. Wer so dicht an Berlin liegt, aus dem kann einfach nichts werden. Der wird platt gedrückt. In den 90ern hielten Meinungsforscher Potsdam für die Hauptstadt aller Depressiven. Denn niemand beklagte sich so bitter und ausdauernd wie der Potsdamer. Nur, wer ist der Potsdamer? Vielleicht ist im Augenblick niemand schwerer zu definieren als ein Potsdamer und seine Stadt. Ist, ein Potsdamer zu sein, eine Frage der Herkunft oder des Bekenntnisses? Sonnabend, nach dem Frühstück. Es gibt zwei Märkte in der Stadt. Ein allerletzter Lkw verlässt den leeren Bassinplatz. Der Fahrer hört die Frage, soll hier jetzt nicht Markt sein?, mit zum Dreieck erhobenen Augenbrauen. War, sagt der Gärtner aus Brandenburg nachsichtig, der Markt war. Es ist kurz nach 12 Uhr. – Und ich bin seit sechs hier, fügt der Gärtner an. Wir sind jeden Tag kurz nach sechs hier, sagt seine Frau. Es klingt wie Entschuldigung und Selbstbehauptung zugleich. Denn die vom Nauener Tor würden das doch nie schaffen. Am Nauener Tor findet der Konkurrenzmarkt statt, aber nur einmal in der Woche, am Sonnabend. Die Namen fast aller Stände fangen am Nauener Tor mit „Bio“ an. Und die Bäckereien heißen grundsätzlich Vollkornbäckerei. Die beiden Nach-Hause-Fahrer vom Bassinplatz würden nie „Bio“ vor ihre Kartoffeln schreiben. Überhaupt sind ihnen die neuen Bio-Bauern ein bisschen verdächtig. Wer so spät aufsteht! Kein Wunder, dass die dann höhere Preise nehmen müssen. Auf den Bio-Vollkorn-Markt gehen vor allem die Bevölkerungs-Austausch-Potsdamer. Bis zu 60 Prozent Neu-Potsdamer soll die Stadt haben. Einen noch nagelneuen Austausch-Potsdamer erkennt man daran, dass er in plötzlicher Begeisterung seine vier Biotüten vor dem Nauener Tor abstellt und laut ruft: „Jonas, guck doch mal, sieht fast aus wie das Holsten-Tor, findest du nicht?“ Typischer Anfängerfehler. Die abschätzigen Blicke der Ureinwohner bemerken sie nicht. Die Blicke sagen: Was kann Potsdam dafür, wenn Lübeck seine Tore kopiert? Dem neuen Theaterintendanten würde nie ein „Holsten-“ über die Lippen kommen, nicht nur, weil er aus Köln stammt. Er ist jetzt schon mehr als zwei Wochen in der Stadt und spricht deshalb nur noch von „dem Tor“. Diese Sicht der Dinge zeigt den werdenden Voll-Potsdamer. Denn ein Potsdamer zu werden, ahnen wir, ist vor allem eine Frage der Intelligenz. Millionen im Garten Das glauben nicht alle. Die Immobilienmakler finden, Potsdamer zu werden, ist vor allem eine Frage des Geldes. Sie hoffen das jedenfalls. Das ist ihr Beruf. Eine Japanerin verlässt das Turmhaus an der Glienicker Brücke, schaut noch einmal wehmütig auf die Brücke, dann auf das Wasser. Was für ein Ort! Japaner haben viel Sinn für Geschichte. Auch das Haus besteht fast nur aus Geschichte. Tragfähigere Bestandteile lassen sich nicht ausmachen. Von der Statik her gesehen bedenklich. Ja, wenn man immer nur so wie jetzt hier rausgucken dürfte. Aber dann könnte sie hier gleich einen Sack mit Millionen im verwilderten Garten vergraben. Das Gesicht des Immobilienmanns bewölkt sich. Wolfgang Joop kennt die Sache mit der Statik auch schon. Dabei sah die frühere Villa der Britischen Militärmission am Heiligen See von außen viel besser aus. Überzeugendes Ewigkeits-Weiß. Und weiß ist sie immer noch. Nur Wolfgang Joops Pullover ist himbeerrosa. Könnte kein anderer tragen. Solches Wissen beruhigt ihn. Er sitzt auf der Seeseite seiner Villa und sieht überhaupt aus wie einer, der wieder festen Boden unter den Füßen hat. Das war nicht immer so. Ein Architekt zeigte sich während der Rekonstruktion vor drei Jahren ernsthaft erstaunt, dass Joop mitsamt seiner Villa nicht längst in den Heiligen See abgerutscht ist. Denn Joop war sehr unvorsichtig. Er hatte das ganze Weiß, mit dem die Engländer das Haus immer aufs Neue beschichtet hatten, wieder abtragen lassen und zu spät gemerkt, dass nur die Farbe die Villa zusammenhielt. Von den Dauer-Überflutungen im Keller, wo die Briten ihren Schießstand hatten, mal ganz abgesehen. Je länger man Villenbesitzern zuhört, desto unverständlicher wird, dass es immer noch Nicht-Villenbesitzer gibt, die Villenbesitzer beneiden. Joops Nachbarn haben sich schon in Risikominimierung versucht. Neubau! Rechts von ihm errichtet ein wichtiger Fernsehmensch einen kolossalen Rundbau, den Joop nur „die ibizenkische Riesentoilette“ nennt. Denn was Potsdam betrifft, ist Joop, der Potsdamer, nun mal stockkonservativ. Da ist er für die Bewahrung des Fortschritts. Also Erhaltung des Alten. Wahrscheinlich deshalb hat er sich jetzt noch eine Villa gekauft, die auch aus nichts anderem besteht als aus Geschichte. Die Villa Rumpf ist die älteste am Heiligen See. Und Joop mochte die Vorstellung nicht, dass da jemand mit Marmor und Dr.-Oetker-Farbpalette, himbeerrosa oder vanillegelb, in das Haus kommen könnte, in dem sich schon Liebermann und Corinth trafen. Dr. Oetker auf seinem Pullover ist genug. Außerdem lassen sich Risiken gar nicht unendlich minimieren. Ein noch wichtigerer Fernsehmann hat ein paar Häuser weiter ganz in Stahlbeton gebaut, wahrscheinlich, weil Stahlbeton auch den schlimmsten Sturmfluten im Heiligen See trotzt. Dafür hat er im Haus keinen Handyempfang mehr. Anwohner bescheinigen dem Domizil, es sähe ein wenig aus wie „Frauenklinik auf Borkum“, aber sie haben sich gut daran gewöhnt. Natürlich gibt es auch Menschen, die sich an nichts gewöhnen. Schon gar nicht an Neues. Oder Neue. Und überhaupt nicht an solche, die nicht nur neu, sondern außerdem noch „wichtig“ sind in Eigen- oder Fremddefinition. Manche sagen – und auch ein großes deutsches Nachrichtenmagazin hing schon dieser These an – die wichtigen Neu-Potsdamer haben die nicht ganz so wichtigen Alt-Potsdamer aus ihren Villen vertrieben. Aber haben die Werktätigen der DDR wirklich in Villen gewohnt? Ein Erkennungsmerkmal der DDR war die Unbewohnbarkeit ihrer Villen. Die DDR hatte einfach kein Talent für Häuser. Bald wären ihr die Dächer über unseren Köpfen zusammengefallen, und wir hätten in Zeltstädte umziehen müssen, wenn die Wende nicht gekommen wäre. Obwohl man natürlich zugeben muss, dass es nicht leicht ist, als Kleingartenverein unter den missmutigen Blicken der Alteigentümer auf einem Filetgrundstück auszuharren. Oder mit DDR-Mietvertrag am Heiligen See. Nur auf den ersten Blick bilden die Einwohner Potsdams eben eine recht homogene Gruppe: JJJ. Joop, Jauch und Jedermann wohnen in Potsdam. Allerdings gibt es eine alte Ortstradition, aus der sich das kräftige Selbstbewusstsein der Jedermänner speist und deren Auswirkung die ersten beiden J“s bis heute spüren. Jeder hat Sonderrechte, erfuhren sie auf den Ämtern der Stadt, nur die beiden J“s haben keine. Ahnungslose schieben das nun auf die kommunistische Vergangenheit und, nun ja, Gegenwart der Stadt. In Wirklichkeit hat aber nicht die PDS schuld, sondern die Aufklärung und Friedrich der Große. Der stand einst vor dem neu gebauten Sanssouci, als er die klappernde Mühle direkt hinter seinem Schloss bemerkte. Abreißen!, hätte jeder andere Monarch jetzt befohlen, nur klingt so ein Wort nicht unbedingt nach Toleranz und Aufklärung. Alles, was der König sagte, sollte aber nach Toleranz und Aufklärung klingen. Also entschloss sich Friedrich nach Art heutiger Investoren, die Mühle zu kaufen. Der Müller wollte nicht, und da es sich um einen aufgeklärten Müller handelte, drohte er Friedrich gleich mit dem Kammergericht in Berlin. Sagt die Legende. Die Mühle steht heute noch. Der Nachbar KGB Nicht nur das Potsdamer-Werden, auch das Wohnen am Heiligen See oder in der Nauener Vorstadt war schon immer eine Frage der Intelligenz, weiß Bärbel Dalichow, Ureinwohnerin von Potsdam und Direktorin des Potsdamer Filmmuseums. In der DDR musste man seine Wohnung einfach so oft tauschen, bis man endlich da war. Sie selbst wurde auf diese Weise einst Nachbarin der KGB-Hauptzentrale der Weststreitkräfte der Roten Armee. Der KGB wohnte auch nicht anders als sie. Das vermittelte Dalichow eine gewisse Zufriedenheit und auch, dass der KGB später ausziehen musste, während sie, Bärbel Dalichow, immer noch da war. Als der KGB weg war, kamen vor allem wichtige Berliner Zeitungsmenschen in die Nauener Vorstadt, während sich die Fernseh- und Modemacher eher am Heiligen See konzentrieren. Aber erst wenn man vom Heiligen See ein paar Schritte nach Süden geht, dorthin, wo wieder Wasser anfängt – und in Potsdam fängt nach ein paar Schritten überall Wasser an – ist man im neuen Herzen von Potsdam. Das erkennt bloß noch keiner. Denn das neue Herz von Potsdam ist eine Baustelle. Martin Schmidt-Roßleben residiert in seiner Mitte und hört auf seine ersten Schläge. Er trägt einen schwarzen Rollkragenpullover wie ein Existenzialist, eine Glatze wie ein Skinhead, einen Bart wie Walter Ulbricht und ist „Beauftragter für den integrierten Kulturstandort Schiffbauergasse“. Hinter seinem Schreibtisch wächst das neue VW-Designzentrum, in seinem Rücken arbeitet bereits der Weltmarktführer für Datenbanken Oracle und rechts entsteht das neue Theater. Die Potsdamer Off-Szene ist schon länger da. Martin Schmidt-Roßleben findet diese Mischung einzigartig. Hightech und Subkultur. Rechnen die Potsdamer VW und die Datenbänker also kurzerhand zur Kultur. Unsympathisch ist das nicht. Schmidt-Roßleben ist ohnehin überzeugt, sich hier direkt an der Wiege der Zivilisation, zumindest der berlinisch-brandenburgischen Zivilisation zu befinden. Denn bei den Erschließungsarbeiten für das VW-Designzentrum im Frühjahr wurde eine uralte Streitaxt „von eindeutig kultischer Bedeutung“ gefunden, womit erwiesen wäre, dass Berlin schon rein geschichtlich eine Art Nachhut ist. Und sind nicht auch die preußischen Könige immer von Berlin nach Potsdam geflohen? „Berliner Vorstadt“ heißt der Teil Potsdams zwischen Heiligem und Tiefem See, so, als ob dahinter das Eigentliche erst anfange. Aber bedeutet Vorstadt nicht vielmehr Vor-Stadt? Also Vorhut? Der Datenbanken-Weltmarktführer findet das inzwischen auch und hat Potsdam zu seinem schönsten Standort erklärt. SAP, ein anderer Weltmarktführer, diesmal in Unternehmenssoftware, sitzt am Griebnitzsee und bald auch am Jungfernsee. Und da SAP auch Oracle-Datenbanken benutzt, verkehren beide bereits per Wassershuttle. Man hat Potsdam schon mal mit Zukunftsblick Sanssouci-Valley genannt, aber wäre Silicon Beach nicht viel richtiger? Und hat Silicon Valley etwa so viele Theater wie Potsdam? Aber Laufenbergs Konkurrent ist eher Berlin. Zwar liegt sein neues Theater nur in der Schiffbauergasse, Peymanns BE dagegen am Schiffbauerdamm. Dafür hat er bald, anders als Peymann, eine Dampferanlegestelle. Wenn Martin Schmidt-Roßleben als „Beauftragter des Kulturstandortes Schiffbauergasse“ spricht, nennt er die Entwicklung Potsdams einen „iterativen Prozess“. Also etwas sehr Schwieriges mit glücklichem Ausgang. Schmidt-Roßleben nennt Potsdam die schönste Möglichkeit, in Berlin zu sein. In einem früheren Leben war er mal Bonner. Was den Walter-Ulbricht-Bartträger am meisten von Walter Ulbricht unterscheidet, ist, dass letzterer Potsdam nicht ausstehen konnte. Hort der preußischen Reaktion!, hat er gesagt. Darum bekam es auch keine Industrie, nur eine SED-Parteihochschule. Und wo das Schloss war, entstand eine Kreuzung. Auch wenn das Silicon-Kultur-Herz der Stadt jetzt bald zu schlagen beginnt, die meisten glauben noch immer, ihr richtiges Herz sei die Kreuzung. Bärbel Dalichow, die frühere KGB-Nachbarin, ist die Rest-Schlossherrin. Denn nur die einstige Orangerie des Schlosses, später Pferdestall, heute Filmmuseum, steht noch. Es ist das älteste Gebäude Potsdams. Wenn Dalichow aus dem Fenster schaut, sieht sie, was der neue Theater-Intendant „die verriegelte Stadt“ nennt. Hotelriegel, Einkaufsriegel. DDR-Funktionalismus. Dalichow ist auch für den Wiederaufbau des Schlosses, schon weil sie dann nicht mehr wie auf einer Insel lebt. Auch, sagt sie, gibt es so wenig gelungene Sachen in der neuen Architektur. Vielleicht denkt sie an die „ibizenkische Riesentoilette“. Denn im Sommer sieht sie die jeden Morgen, weil sie dann im Heiligen See schwimmen geht. Obwohl der „Spiegel“ herausgefunden haben will, dass Potsdams drittes J dort gar nicht mehr schwimmen gehen kann, seitdem die ersten beiden J“s da sind. Dabei hatte nur ein Zahnarzt mit einer Bürgerinitiative gefordert, das Baden im Heiligen See für Bürger ohne Seegrundstück zu verbieten. Joop ärgert das noch immer. Er und Bärbel Dalichow sind zwei Ur-Potsdamer, zwei „Kulturschaffende“, wie die DDR gesagt hätte. Und sie klingen erstaunlich gleich, obwohl Joop, nachdem er mit zehn Jahren ins Exil nach Braunschweig geschickt wurde, immerhin den Vorteil hatte, niemals an das Kreisbauernkulturhaus Boizenburg delegiert werden zu können wie Bärbel Dalichow. Joop renovierte nach 1990 das Gut seiner Kindheit. Und verlor dabei seine Heimat. Denn die neuen Tapeten flüsterten nicht mehr, die alten Öfen fehlten. Man kann keine Patina konservieren. Bärbel Dalichow bemerkte dasselbe. Plötzlich standen da Häuser bunt wie Torten in den grauen Straßen. Sie fühlte sich fremd und wartete wie Joop auf die ersten Flechten und Wasserflecke. Der wahre Potsdamer verrät sich durch diesen feinen Sinn für Dekadenz und nutzlose Dinge. Das gerade neu erstandene Belvedere und der rekonstruierte Kanal machen die Museumsdirektorin glücklich. Beide sind zu nichts zu gebrauchen: Das Belvedere ist zum Runtergucken und der Kanal ist zum Angucken. Die PDS will das Schlossprojekt und den Ausbau des Kanals stoppen, schon weil es Wichtigeres gibt. Bärbel Dalichow versteht das. Beinahe. Es ist immer anderes wichtig als die Schönheit. Potsdam ist der Gegenbeweis.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })