
© Mike Wolff
Landeshauptstadt: Kinder können Eltern aufklären
Von Facebook zu Whatsapp: Wie sollen Schüler vor den Risiken bei der Nutzung von Smartphones bewahrt werden?
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Auch die reale Welt fasziniert noch 15-Jährige. „Die roten Drehstühle im Landtag sind toll“, sagt einer zu seiner Lehrerin. „Solche müssten wir auch in unserer Schule haben.“ Dabei stand am Dienstagvormittag eher die virtuelle Welt im Vordergrund. Mehr als hundert Schüler waren anlässlich des Safer Internet Days ins neue Parlamentsgebäude geladen, um sich über die Möglichkeiten und Gefahren der neuen Medien auszutauschen. Sie sollten in Workshops Themen bearbeiten, die die ganze Bandbreite des Internets widerspiegeln: Von Flashmops zu Neonazis im Netz, von Online-Petitionen über Facebook und Edward Snowden bis hin zu Wählen ab 16 – dem derzeitigen Lieblingsthema des Bildungsministeriums im offiziell ausgerufenen Jahr der Beteiligung.
Der Safer Internet Day wird in Brandenburg bereits zum elften Mal veranstaltet und geht auf eine EU-Initiative zurück, um vor allem in Schulen für den verantwortungsbewussten Umgang mit neuen Medien zu sensibilisieren. Bildungsministerin Martina Münch betonte in ihrer Eröffnungsrede: „Der Safer Internet Day ist da, um uns klarzumachen, dass die Freiheit ihren Preis hat.“ Laut einer repräsentativen Befragung der zwölf- bis 19-Jährigen im Jahr 2012 besitzen 96 Prozent der Jugendlichen ein Handy, der Anteil der Smartphones mit mobilem Internetzugang ist dabei rasant gestiegen und liegt bei 47 Prozent. Dass die Jugendlichen damit nicht nur telefonieren, liegt auf der Hand. Ob kostenpflichtige Spiele-Apps, Hackerangriffe, Datenklau oder fragwürdige Internetinhalte – die Fallen bei der Nutzung sind noch wenig diskutiert.
Die Zeiten, in denen vor der Erstellung des eigenen Profils auf Facebook gewarnt wird, sind laut Medienexperten vorbei. „Es geht nicht darum, wer irgendetwas in sozialen Netzwerken postet“, schreibt Workshop-Leiter Benjamin Bergemann von Digitale Gesellschaft e.V. in seinem Blog zu der Veranstaltung am Dienstag. Sondern darum, zu verstehen, was im Hintergrund ablaufe. „Wie man seine Einstellungen bei Facebook gestaltet – das ist durch“, sagt auch Susanne Schmitt, Organisatorin des Projekttages. Schmitt betreut bei der Aktion Kinder- und Jugendschutz Brandenburg e.V. (AKJS) das Netzwerk Medienerziehung und Elternberatung. „Die Kinder haben das Gefühl, sie werden über Facebook kontrolliert.“ Wie auch Studi-VZ einst abgelöst wurde, nutzen immer mehr Jugendliche statt Facebook inzwischen Whatsapp – eine mobile Nachrichten-App, um etwa kostenlose SMS zu verschicken. Die Risiken dabei sind weitgehend unbekannt.
Wie Firmen Daten aus der Handynutzung verkaufen und weitergeben, sei noch zu wenig im Bewusstsein angekommen, sagt Schmitt. Allein beim Herunterladen von Whatsapp werde gefragt, so Schmitt, ob Standort und Adressbuch geladen werden sollen. Um die Jugendlichen und die Eltern dafür zu sensibilisieren, brauche es noch Aufklärung. „Da fehlen auch von der Politik noch Regeln“, sagt Schmitt. Doch bis diese in Kraft treten, ist die Technik längst weiter. Denn dazu bedarf es internationaler Abstimmungsprozesse und Standards, allein auf EU-Ebene dürften diese Jahre dauern. „So lange muss aufgeklärt werden“, meint Schmitt.
Die jetzige Generation der Aufklärer, Eltern und Lehrer, ist jedoch mit der Bandbreite der technischen Möglichkeiten nicht aufgewachsen. Vor Missbrauch des Mediums Fernsehen können die meisten Eltern ihre Kinder gut schützen, was beim Umgang mit einem Smartphone allerdings passieren kann, ist vielen selbst unklar. Deshalb rät Schmitt, sich stärker damit zu beschäftigen, etwa mit Jugendschutzeinstellungen. „Einem Großteil der Eltern ist es zu aufwendig, sich das technische Know-how anzueignen“, sagt Matthias Littwin, Medienpädagoge an der Evangelischen Grundschule Babelsberg. „Aber die bequeme Lösung gibt es nicht.“
Allerdings sind nicht nur Eltern oft überfordert, auch für die pädagogische Arbeit in Schulen ist der Nachholbedarf enorm. In der Lehrerausbildung ist Medienkompetenz nicht verankert. Entsprechende Fachkräfte sind dementsprechend rar. „Eine gefestigte Struktur gibt es nicht“, sagt Schmitt. „Es fehlt bislang an Konzepten für den Unterricht“, sagt auch Littwin. „Wir müssen aufpassen, dass die Kinder uns nicht davonlaufen.“
Aus der Not haben er und seine Kollegen der evangelischen Grundschule nun eine Tugend gemacht: Mit dem Projekt „Kinder klären Eltern auf“ sollen bereits Fünft- und Sechstklässler erstmals die zentralen Akteure der Aufklärung werden, Eltern und Schüler gemeinsam in den Dialog über die Nutzung des Internets treten. Das Projekt wird Ende Februar starten. Die Schüler werden dann den Erwachsenen ihre Spiele erklären und sie selbst spielen lassen. „Es bringt ganz viel“, sagt Littwin, „wenn Erwachsene da mal eintauchen und sich faszinieren lassen.“ Eine weitere Idee: Die Schüler produzieren Video-Tutorials zum Thema Kinderschutz und klären ihre Eltern und Mitschüler auf. Außerdem sind Seminare für Eltern und Kinder mit externen Experten geplant. Die Finanzierung ist gesichert, die Schule hat im vergangenen Jahr den mit 4000 Euro dotierten Förderpreis der Landesmedienanstalt erhalten.
Nach Littwins Vorstellung soll die Projektreihe Schule machen und die Erfahrung weitergegeben werden. „Mehr davon“, sagt auch AKJS-Beauftragte Schmitt. Doch sie weiß, dass es oft an der Finanzierung hapert. Inzwischen kommen bei ihr Anfragen an, für ganze Schulen ähnliche Projekttage zur Medienkompetenz durchzuführen. Kostenpunkt: rund 10 000 Euro. Wer den Preis für die Freiheit zahlen soll, ist noch unklar.
Grit Weirauch
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