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Potsdamer Affären: Korrekt lief gar nichts

Stadt und Gewoba verkauften Potsdams „Tafelsilber“ – Rechnungsprüfer sahen zahlreiche Verstöße

In der neuen Potsdamer Affäre um die Privatisierung von Gewoba-Immobilien widerlegt ein interner Bericht des städtischen Rechnungsprüfungsamtes die Behauptungen von Stadt und Pro Potsdam, die Verkäufe von 1050 Wohnungen für knapp 27 Millionen Euro seien korrekt gelaufen. In dem mehrseitigen Bericht, der den PNN vorliegt und im Jahr 2001 unmittelbar nach den Verkäufen erstellt worden war, werden der Gewoba und der Stadt zahlreiche Verstöße vorgeworfen. Damit erhärtet sich der Verdacht, dass städtisches Eigentum unter Wert veräußert wurde. Entsprechende Bedenken soll das Rechnungsprüfungsamt bereits vor den Grundstücksgeschäften 1999 in einem Schlussbericht geäußert haben. Allerdings: Selbst wenn sich die Vorwürfe bestätigen würden, wären laut Staatsanwaltschaft Straftaten wie Untreue und Betrug inzwischen verjährt.

Das brisante Papier aus dem Januar 2001 wurde per Verteiler auch dem damaligen Oberbürgermeister und heutigem Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) zugestellt. Aufsichtsratschef der Gewoba, die heute zum städtischen Konzern Pro Potsdam gehört, war bereits damals und ist bis heute der amtierende Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD).

Pro Potsdam und Stadtverwaltung ließen am Dienstag schriftliche Anfragen unbeantwortet. Aus dem Rathaus hieß es, kurzfristig könne zu dem Sachverhalt nicht Stellung genommen werden. Jakobs werde sich in der heutigen Stadtverordnetenversammlung äußern. Die Pro Potsdam, die am Montag noch vor Veröffentlichung des Enthüllungsberichts des „Stern“ zu der Affäre Lokaljournalisten eingeladen und Akteneinsicht angeboten hatte, verwies auf den Gesellschafter: Die Landeshauptstadt könne „weit besser“ Auskunft geben.

Hintergrund der Immobilienprivatisierungen ist das sogenannte „Gewoba-Modell“. Es sah vor, dass die Stadt Grundstücke und Immobilien an die städtische Gewoba verkauft, damit Geld in die Stadtkasse fließt. Das Stadtparlament beschloss im Dezember 1999, dass die hoch verschuldete Stadt für mindestens 147 Millionen D-Mark eigene Liegenschaften verkaufen soll. Für mindestens 120 Millionen D-Mark sollte die Gewoba kaufen.

Bereits bei diesem Deal haben die Rechnungsprüfer Verstöße ausgemacht. So sei der Wert der städtischen Liegenschaften nicht wie in der Gemeindeordnung vorgeschrieben auf Basis von exakt ermittelten Verkehrswerten, sondern nach einer „Pauschalbewertung“ erfolgt. Diese Bewertung habe nach Angaben des Berichts mit der Domus Revision AG just jene Wirtschaftsprüfer vorgenommen, die auch die Bilanzen der Gewoba überprüften. Während die städtischen Prüfer dies als „nicht unbedenklich“ werteten, habe die Kommunalaufsicht es jedoch akzeptiert. Außerdem habe die Verwaltung bei der Vergabe des Auftrags an die Domus gegen die Vergabeordnung verstoßen; eine Ausschreibung sei nicht erfolgt, auch sei der Auftrag über 227 000 D-Mark nicht wie erforderlich dem Rechnungsprüfungsamt vorgelegt worden.

Zum Vorgehen merken die Rechnungsprüfer weiter an, dass die Domus selbst in der Zusammenfassung der Gutachten erklärt habe, dass lediglich eine „Grobbewertung“ erfolgt, die Verkehrswerte geschätzt und von 73 verkauften Objekten nur 60 vor Ort in Augenschein genommen worden seien. Als Beleg dafür, dass die Stadt unter Wert an die Gewoba verkauft habe, führen die Prüfer drei Immobilien an, welche die Gewoba später mit Gewinn veräußerte.

Zahlreiche Verstöße machen die Wirtschaftsprüfer auch bei der Gewoba aus. So hätten der Aufsichtsrat unter Jakobs und die Stadt als Gesellschafter der Gewoba ihre Kontrollpflichten nicht wahrgenommen: Ein per Stadtverordnetenbeschluss gefordertes, unabhängig geprüftes Konzept zum Kauf der städtischen Liegenschaften sei nicht vorlegt worden. Die Verwaltung habe dazu erklärt, dass sie diese Vorgabe des Stadtparlaments als nicht verbindlich erachte, da sie nicht im Beschlusstext, sondern lediglich in der zugehörigen Begründung enthalten sei.

Zur Finanzierung der an die Stadt gezahlten Millionen durfte die Gewoba im Gegenzug Immobilien privatisieren: Daher wurden in zwei Paketen für insgesamt knapp 27 Millionen Euro die 1050 Wohnungen an Semmelhaack verkauft.

Kritisch sahen die Rechungsprüfer, dass die Gewoba die zwei Immobilienpakete nicht öffentlich ausgeschrieben hat. Dazu sei sie zwar nicht verpflichtet, aber nach einem Runderlass des Innenministeriums von 1996 „angehalten“ gewesen. Auch in diesem Fall wirft die Wertermittlung Fragen auf: Der heutige Pro Potsdam- und damalige Gewoba-Geschäftsführer Horst Müller-Zinsius räumte ein, dass nicht alle Immobilien per Gutachten bewertet worden seien. Die Pro Potsdam hatte zu Fragen nach den Verkäufen bereits Stellung genommen (PNN berichteten). Müller-Zinsius verwies dabei darauf, dass Verfahren und Verkäufe durch den Gewoba-Aufsichtsrat, den Hauptausschuss und den Gesellschafter genehmigt wurden. Dies belegten Protokolle.

So habe die Gewoba das erste Immobilienpaket mit Einverständnis des Aufsichtsrats sechs selbst ausgewählten Unternehmen angeboten, Semmelhaack habe das höchste Angebot abgegeben. Allerdings, so Müller-Zinsius, seien die Angebote nur eingeschränkt vergleichbar gewesen, da die Interessenten für unterschiedliche Immobilien geboten hätten. Dass der Aufsichtsrat einen „Paketabschlag“ von zehn Prozent des Kaufpreises erlaubte, halten die Rechnungsprüfer für einen möglichen Verstoß gegen die Gemeindeordnung. Das zweite Immobilienpaket hat die Gewoba eigenen Angaben nach mit einer Anzeige in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ angeboten – von acht Bietern machte nur Semmelhaack ein Kaufangebot. Ein Konkurrent kritisierte das Verfahren als „seriös nicht durchführbar“; die Rechnungsprüfer machten einen doppelten „Paketabschlag“ aus: So sei bereits bei den Bodenwerten der bebauten Grundstücke ein zehnprozentiger Abschlag vorgenommen worden. Dies sei nicht ausführlich und nachvollziehbar begründet worden.

Die Stadtpolitik äußerte sich am Dienstag zurückhaltend zu den Enthüllungen des „Stern“. Linke-Kreischef Sascha Krämer erklärte, seine Partei erwarte eine „unverzügliche und gründliche Aufarbeitung“ der Angelegenheit. SPD-Partei- und Fraktionschef Mike Schubert verwies darauf, dass der Oberbürgermeister sich heute vor den Stadtverordneten dazu äußern werde. FDP-Fraktionschefin Martina Engel-Fürstberger sagte, sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, wäre dies der dritte Skandal des Jahres in und um Potsdam. Auffällig sei, dass immer wieder Sozialdemokraten verwickelt seien: „Man muss sich fragen, ob sich das Ganze nicht zu einer großen SPD-Affäre verdichtet.“ CDU-Kreischefin Katherina Reiche forderte, die Verantwortlichen in der Stadt müssten die transparente Klärung der Vorwürfe „ernst nehmen“ und diese nicht weiter „scheibchenweise“ betreiben: „Solche Salamitaktik führt nur zu Frust und Misstrauen.“ Allerdings: Die CDU-Fraktion im Stadtparlament kann bei der Hilfe zur Aufklärung nicht in voller Mannschaftsstärke beitragen. Ihr Chef Michael Schröder ist bei der Pro Potsdam als Teamleiter „Immobilienmanagement“ beschäftigt und wollte sich gestern unter Verweis auf seinen Arbeitgeber nicht positionieren.

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