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Von Henri Kramer: Mahnwache für Japan

200 bis 300 Teilnehmer/ Jakobs: Entscheidung der Stadtwerke gegen Atomstrom Modell für andere Städte

Stand:

Zu einer kurzfristig angemeldeten Mahnwache für die Opfer der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe in Japan haben sich gestern ab 18 Uhr rund 200 bis 300 Menschen am Platz der Einheit getroffen. Zugleich protestierten die Teilnehmer gegen die Nutzung von Atomkraft und forderten für Deutschland einen raschen Ausstieg aus der Kernenergie. „Der drohende GAU in Japan zeigt, dass die Atomkraft selbst in einem für alle Eventualitäten gewappneten Hightech-Land wie Japan eine von Menschen nicht beherrschbare Risikotechnologie ist“, sagte Uwe Fröhlich, Chef des Grünen-Kreisverbands Potsdam und einer der Initiatoren der Mahnwache, zu der per E-Mail und im Internet aufgerufen worden war – wie auch zu Mahnwachen in 400 anderen Städten in Deutschland.

Nach einer Schweigeminute geriet bei der Potsdamer Mahnwache vor allem die Atompolitik der Bundesregierung in die Kritik. Uwe Fröhlich erklärte unter Beifall, die von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angekündigte Aussetzung der geplanten Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke für drei Monate und das Aus für zwei ältere Anlagen seien nur „Propaganda“ vor den anstehenden Landtagswahlen. Doch sprachen bei der Mahnwache nicht nur Politiker – die Organisatoren forderten mehrfach Teilnehmer auf, sich mit Redebeiträgen zu beteiligen. So rief ein Redner zur Nutzung von Ökostrom auf – so könne jeder seinen Teil zum Ausstieg aus der Kernenergie beitragen.

In diesem Zusammenhang lobte Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) – der die Mahnwache nach eigenen Worten „gern“ besucht hätte, aber einen Termin zur Eröffnung der „Woche der Brüderlichkeit“ hatte – gestern die Potsdamer Stadtwerke. Auf Anfrage der PNN erinnerte Jakobs an die „richtige Entscheidung“ der Stadtwerke im vergangenen Oktober, Strom, den der kommunale Versorger extra ankaufen muss, nicht mehr von Atom-Anbietern zu beziehen. Demnach enthält der von den Stadtwerken angekaufte Mix nach eigenen Angaben nur noch Strom auf Erdgasbasis aus dem Heizkraftwerk in Potsdam-Süd und Strom aus erneuerbaren Energien. Damit hätten die Stadtwerke die Nachfrage nach Atomstrom gesenkt, so das Unternehmen – für Jakobs eine Entscheidung mit Modellcharakter. „Für solche Lösungen sollten sich auch andere Städte bei ihren Stadtwerken stark machen“, so Jakobs. Zur Situation in Japan sagte er, er schaue voller Entsetzen auf die Katastrophe und fühle mit den betroffenen Menschen. Zugleich erinnerte Jakobs an die besondere „Verbundenheit“ von Potsdam und Japan angesichts der Geschichte um den Atombombenabwurf auf Hiroshima – der Befehl zum Abwurf der Bombe wurde laut Historikern wahrscheinlich am Rande der Potsdamer Konferenz erteilt. Daran erinnert seit dem vergangenen Jahr am Hiroshima-Platz in Babelsberg ein Gedenkort, den der Verein Hiroshima-Platz Potsdam e.V. eingerichtet hat. Auch das erwähnte Uwe Fröhlich, zugleich der Vereinsvorsitzende, gestern Abend bei der Mahnwache – und warb für den Platz: Die sei ein besonderer Ort in Potsdam, um sich mit Japan und seinem Volk solidarisch zu zeigen. Bei der Mahnwache kündigten Teilnehmer für Donnerstagabend eine weitere Demonstration in Potsdam gegen die Nutzung von Atomenergie an, Details dazu würden folgen. Für nächsten Montagabend sei zudem eine erneute Mahnwache geplant, hieß es.

Bei der Mahnwache gestern ging es auch um den Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums für Materialien und Energie in Berlin-Wannsee, nahe der Potsdamer Stadtgrenze. Joachim Katz aus Babelsberg sagte, dort gebe es keinerlei Schutz gegen herabfallende Flugzeugteile. Das teilte gestern auch die Anti-Fluglärm-Initiative Weltkulturerbe Potsdam e.V. mit: „Angesichts der aktuellen Ereignisse in Japan“ müsse es über dem „Reaktorkern“ eine weitreichende Flugverbotszone in einem Radius von mindestens acht Kilometern geben, so der Verein. Auf Anfrage der PNN erklärte gestern Ina Helms, Sprecherin des Helmholtz-Zentrums, der Forschungsreaktor sei nicht mit einem Kernkraftwerk zu vergleichen und diene etwa dazu, Phänomene wie Magnetismus zu untersuchen. „Unser Reaktor arbeitet bei niedriger Temperatur und drucklos.“ Die Leistung des Reaktors betrage zehn Megawatt – die Leistung eines durchschnittlichen Kernkraftwerks erreiche bis zu 4000 Megawatt. „Wir benötigen pro Jahr 2,5 Kilogramm spaltbares Uran-235 – Kernkraftwerke verbrauchen zirka 1,5 Tonnen spaltbares Uran.“ In jedem Betriebszustand sei mit strengen Sicherheitsauflagen gewährleistet, dass radioaktives Inventar von der Umwelt abgeschirmt bleibt. „Zum Beispiel fallen bei Ausfall der Stromversorgung sofort Kontrollstäbe, die an einem Elektromagneten hängen, allein durch ihr Gewicht in den Reaktorkern und setzen damit den Reaktor außer Betrieb.“ Eine Nachkühlung sei nur rund 20 Minuten lang notwendig, so Helms: „Danach ist alles kalt.“ Bei Stromausfall stehe ein Notdiesel zur Verfügung, außerdem gebe es eine Feuerwehr auf dem Gelände. Schon jetzt gebe es ein Flugverbot bis zu 800 Meter über dem Areal, sagte Helms.

Auch ein Potsdamer CDU-Politiker meldete sich gestern zu der Katastrophe in Japan zu Wort: Der CDU-Landtagsabgeordnete Steeven Bretz sagte, seine Position zur Atomkraft sei „erschüttert“. Die Atom-Situation in Deutschland müsse „neu“ bewertet werden. Bretz weiter: „Allerdings darf sich Energiepolitik nicht von Angst leiten lassen.“

Das Video wurde uns freundlicherweise von PotsdamTV zur Verfügung gestellt.

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