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Landeshauptstadt: „Mythos HB“ nicht haltbar

Neue Archivfunde: Forscher für Umdenken bei Hedwig-Bollhagen-Museum

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Das Konzept für das Potsdamer Hedwig-Bollhagen-Museum gerät in die Kritik. Anlass ist eine Aussage der Baubeigeordneten Elke von Kuick-Frenz (SPD) über die geplante Dauerausstellung des Lebenswerks der Keramikerin. Von Kuick-Frenz hatte im RBB/ARD-Fernsehinterview eine geschichtliche Auseinandersetzung mit den umstrittenen Anfängen der HB-Werkstätten in Marwitz abgelehnt: „In der Ausstellung wird sie wahrscheinlich keine Rolle spielen“, sagte die Baubeigeordnete – in der Verwaltung offiziell für das geplante Museum zuständig – in der ARD-Sendung „Kontraste“ am Donnerstagabend.

Eine brisante Äußerung: Denn Hedwig Bollhagen hatte die Werkstätten 1934 von der jüdischen Keramikerin Margarete Heymann-Loebenstein übernommen. „Faktisch eine Arisierung“, wie Rüdiger Hachtmann, Projektleiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), einschätzt. Neueste Archivfunde, die die PNN eingesehen haben, lassen außerdem die Geschichte der Werkstätten während des Zweiten Weltkriegs in einem anderen Licht erscheinen.

Jüdische Vorbesitzerin verkaufte Werkstätten nach NS-Schikane

Unter welchen Umständen Heymann-Loebenstein ihren Betrieb – die Haël-Werkstätten – 1934 verkaufte, ist in den Akten des Brandenburgischen Landeshauptarchives in Bornim nachzulesen: Im Juli 1933 wird die jüdische Keramikerin vom Ortsgruppenleiter der NSDAP „wegen Verächtlichmachung und Herabsetzung der Deutschen Staatsautorität“ angezeigt. Sie schließt den Betrieb und flieht zunächst: „Es ist anzunehmen, dass sie von ihrer evtl. Inhaftierung Wind bekommen hatte“, heißt es in einem Schreiben der NSDAP-Ortsgruppe vom 2. August 1933. Während die Gestapo in Berlin und Potsdam bereits informiert ist, melden sich erste Kaufinteressenten, die ihren Antisemitismus kaum verhehlen. Am 26. April 1934 verkauft Loebenstein die Werke, die sie elf Jahre vorher mit ihrem Mann gründete, zum Spottpreis.

Aber nicht nur die Werkstatt kommt damit in die Hände der damals 26-jährigen Hedwig Bollhagen. Die Keramikerin fertigt zum Teil auch weiter nach den Formen ihrer Vorgängerin: Auf „50 Prozent plus“ beziffert Kulturwissenschaftlerin Ursula Hudson-Wiedenmann den Haël-Anteil im ersten HB-Katalog. Diese Kontinuität zeige, „wie stark die funktionierende Haël-Fabrik den Grundstock des Wirkens und Schaffens von HB bildete“, so Hudson-Wiedenmann gegenüber den PNN.

"Ein zweiter Mord am Ruf von Margarete Heymann-Loebenstein"

Der „Mythos HB“ als „Einzelphänomen“ ist für die Wissenschaftlerin nicht mehr haltbar. Das Verschweigen von Haël, wenn es um HB geht, sei „ein zweiter Mord am Ruf dieser Person“. Diese Kritik wurde in Potsdam bereits am Rande der Bollhagen-Ausstellung anlässlich des 100. Geburtstages von HB 2007 im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte laut.

An das geplante Museumsprojekt in der Elfleinstraße stellt Hudson-Wiedenmann jetzt klare Forderungen: „Es kann aufgrund der Kontinuität kein HB-Museum geben. Es müsste eine Zusammenschau geben über das, was in Marwitz zwischen 1923 und 2007 entstanden ist.“

Bollhagen erwirkte SS-Sonderbescheinigung für ihren Betrieb

Der zweite und bisher unbekannte Punkt betrifft die Geschichte der HB-Werkstätten während des Zweiten Weltkrieges: Damals nahm der Betrieb einen Großauftrag des SS-Reichsführers an und fertigte Keramik für die Wehrmacht, wie aus neuen Aktenfunden hervorgeht (siehe Kasten). Im Januar 1944 stellte der SS-Reichsführer den HB-Werkstätten außerdem eine „Sonderbescheinigung“ aus, mit der Bollhagen Unterstützung bei der Zuteilung von Arbeitskräften und Rohstoffen erwirken konnte.

Solche Bescheinigungen wurden „inflationär verwendet“, räumte Rüdiger Hachtmann vom ZZF auf PNN-Anfrage ein. Es zeige sich aber auch, dass „offenbar eine gute Beziehung zur SS bestanden“ habe – und „die Bereitschaft, solche guten Beziehungen für das eigene Unternehmen zu instrumentalisieren“.

Die Äußerung der Baubeigeordneten Von Kuick-Frenz ist für Hachtmann „problematisch“: Für ihn ergibt sich die „Forderung an den Museumsträger, noch einmal gründlich selbst zu recherchieren und die Hintergründe systematisch auszuleuchten.“ Dieser Forderung will Dr. Iris Reepen von der Bollhagen-Stiftung, die das Museum inhaltlich vorbereitet, nachkommen: „Wir haben das allergeringste Interesse daran, irgendetwas zu verschweigen“, sagte sie gestern den PNN.

Von Kuick-Frenz ließ gestern nach erneuter Anfrage ihre Fernseh-Äußerung klarstellen: „Ich bin sicher, dass die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Themas beiden Künstlerinnen gerecht wird.“

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