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Nur sicheres Bauen schützt vor größeren Schäden: Seismologische Kommission tagte in Potsdam

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Nur sicheres Bauen schützt vor größeren Schäden: Seismologische Kommission tagte in Potsdam „Die Wissenschaft darf nicht mehr nur reagieren, sondern muss agieren," forderte Prof. Jochen Zschau vom GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) während der diesjährigen Hauptversammlung der Europäischen Seismologischen Kommission (ESC), die in der vergangenen Woche an der Universität Potsdam stattfand. Die Wissenschaftler hätten eine Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit und sollten ihren Einfluss auf die Politik geltend machen. Die Erforschung von Erdbeben sei nicht nur eine wissenschaftliche Aufgabe, sondern auch eine Notwendigkeit, um die verheerenden Auswirkungen von Beben auf die menschliche Gesellschaft zu minimieren. Wegen der weltweit steigenden Bevölkerungszahl ist damit zu rechnen, dass Personen- und Sachschäden künftig noch zunehmen werden. Seit dem Jahr 1900 haben mehr als zwei Million Menschen ihr Leben in Folge von Erdbeben verloren. „Erdbeben fordern unter allen Naturkatastrophen die meisten Opfer und erzeugen die größten Schäden", so Zschau. Innerhalb Europas bebt die Erde am häufigsten in der Mittelmeerregion. Vor allem Italien, Griechenland und die Türkei sind betroffen, weil sich dort die afrikanische unter die europäische Platte schiebt. Plattenkollisionen sind mit Erdbeben verbunden. Und da diese nicht an politischen, sondern an geologischen Grenzen auftreten, erstreckt sich das geologische Europa vom mittelozeanischen Rücken bis zum Ural. So gehören auch einige nordafrikanische Staaten der ESC an. Mehr als 500 Teilnehmer aus 50 Ländern, davon 39 Mitgliedstaaten und drei Staaten mit Beobachterstatus, diskutierten auf der Potsdamer Tagung über neueste Forschungsergebnisse und informierten sich über neue Methoden der Überwachung von Erdbebenherden. Noch immer wissen die Wissenschaftler zu wenig über die physikalischen Prozesse, die zu Erdbeben führen. Bisher können nur Aussagen darüber getroffen werden, wo es mit welcher Wahrscheinlichkeit und in welchem Zeitraum zu einem Erdbeben kommen kann. Neue technische Verfahren, wie das Erdkrusten-Deformationsmonitoring, erleichtern die Prognosen. Bei diesem Verfahren werden die satellitengestützten GPS-Deformationsmessungen (Global Positioning System) benutzt, um die horizontalen Verschiebungen der Erdoberfläche aufzuzeichnen und so Hinweise auf bevorstehende Erdbeben zu erhalten. Vor allem die extrem erdbebengefährdeten Regionen wie Japan und Kalifornien sind flächendeckend mit Messstationen ausgerüstet. Ein Gebiet, das immer wieder von sehr starken Erdbeben erschüttert wird, ist die anatolische Blattverschiebung in der Türkei. Dort gleiten zwei Platten aneinander vorbei. Während seit Jahrmillionen im Mittel die Bewegung im Innern der Platten gleich bleibt, verlangsamt sie sich an den Rändern. Verhaken die Platten, kommt es meist zu einem Erdbeben. Unklar ist allerdings, ob sich durch ein Erdbeben die aufgebaute Spannung vollständig entlädt oder nur weniger wird. Allerdings kann man die Spannungsumlagerung mit Hilfe von Radarmessungen nach Erdbeben modellieren. An der anatolischen Blattverschiebung hat sie sich in Richtung Istanbul verlagert. Statistische Daten und neue Messungen ergeben so eine Wahrscheinlichkeit von 60 Prozent, dass Istanbul in den nächsten 30 Jahren ein Erdbeben mit einer Stärke größer als 7 auf der Richter-Skala erlebt. Folgerichtig wurde die Zusammenarbeit der Seismologen mit Bauingenieuren intensiviert. Die besten Erdbebenprognosen nützen nichts, wenn die Häuser und Brücken einem Erdbeben nicht standhalten. Nur erdbebensicheres Bauen und eventuelles Nachrüsten schon vorhandener Bauten mindern das Risiko an Personen- und Sachschäden. Insbesondere mit der Bestimmung von Verschiebungen der Oberfläche mittels Satellitenradarverfahren kann inzwischen im Millimeter-Bereich festgestellt werden, wo die Häuser gut gegründet sind oder aber auf wackeligem Fundament stehen. „Werden in den nächsten 15 Jahren die Neubauten in Istanbul erdbebensicher gebaut, bedeutet das 20 Prozent weniger Todesopfer“, prognostiziert Prof. Jochen Zschau. „Erdbeben sind zugleich auch ein Fenster in das Erdinnere, denn seismische Wellen ermöglichen einen Einblick in den Aufbau unseres Planeten", verdeutlicht der Geologe. So können Erdbeben oder auch Erderschütterungen für die Vorhersage von Vulkanausbrüchen genutzt werden, weil sie im Vorfeld einer Eruption zunehmen. Allerdings gilt auch hier: es muss nicht zwangsläufig zu einem Ausbruch kommen.Kerstin Koch

Kerstin Koch

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