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Homepage: Potente Pollen

Die Allergie-Pflanze Ambrosia breitet sich auch bei uns zunehmend aus / Biologen für schnelles Eingreifen

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Nach dem Wetterbericht gab es im Radio kürzlich eine merkwürdige Ansage. Gewarnt wurde vor den Pollen der Ambrosia-Pflanze. Und zwar eindringlich. Ambrosia? Die Speise und Salbe, der die Götter der Griechen ihre Unsterblichkeit verdankten? Nomen ist in diesem Falle allerdings nicht Omen: Die Pollen des Beifußblättrigen Traubenkrauts oder auch Aufrechte Ambrosie genannt (Ambrosia artemisiifolia) gehören zu den potentesten allergenen Pollen weltweit. Mit dem Ambrosia der Griechen hat die Pflanze außer einer weitläufigen Verwandtschaft nichts zu tun. Denn die Griechen nannten eine aromatische Beifuß-Art Ambrosia. Offenbar wegen der Ähnlichkeit der Blätter – beides sind Korbblütler – wurde das Traubenkraut dann später Ambrosia getauft.

Vor rund 150 Jahren kam die Pflanze vermutlich mit Getreidelieferungen als blinder Passagier per Schiff aus Amerika nach Mitteleuropa. Heute nun erfreut sich die spät blühende Ambrosia an der Klimaerwärmung: aus verschiedenen Teilen Deutschlands wird ihre Vermehrung gemeldet, in Norditalien, der Schweiz, Frankreich und vor allem Ungarn gab es schon explosionsartige Ausbreitungen.

Die Biologen der Potsdamer Universität brauchten nicht lange zu suchen. Gleich hinterm Neuen Palais fanden sie eine der unscheinbaren Pflanzen,die sich auch in der hiesigen Region breit machen. Der harmlos wirkende, kleine Strauch wird nun im Botanischen Garten gezeigt – wohlgemerkt hinter Glas. Denn, wie Kustos Dr. Michael Burkart erzählt, hätten einige seiner Mitarbeiter schon Allergiereaktionen gezeigt. „Wir wollen nun die Öffentlichkeit sensibilisieren, zumal kaum jemanden weiß, wie die Ambrosia überhaupt aussieht“, erklärt er.

Da die Wissenschaftler vermuten, dass das brisante Kraut hauptsächlich durch verunreinigtes Vogelfutter verbreitet wird, sind gerade auch Gartenbesitzer zur Aufmerksamkeit aufgerufen. Das Brandenburger Landesamt warnt vor dem Traubenkraut, der Berliner Senat und die Biologische Bundesanstalt in Braunschweig haben gar dazu aufgerufen, die Bestände der Pflanze zu vernichten. Aber Vorsicht: nach Erkenntnis der Biologen sind nicht nur die Pollen der Pflanze für den Menschen gefährlich, auch bei direktem Kontakt können allergische Reaktionen hervorgerufen werden.

Wer sich also an die amtlichen Aufforderungen hält, sollte beim Ausreißen der blühenden Pflanzen Schutzhandschuhe und Mundschutz tragen. Die Blüten stehen in wurstförmigen Blütenständen über dem Laub. Die einjährige Ambrosia ist einhäusig, das heißt männliche und weibliche Blüten werden an ein und derselben Pflanze gebildet. Sie kann bis zu zwei Meter groß werden, in der Regel haben die Sträucher aber eher Kniehöhe.

Die Symptome der Ambrosia-Allergie ähneln der einer Gräserallergie: triefende, juckende Nase, tränende, geschwollene Augen, bei einem Viertel der Betroffenen kann sogar Asthma ausgelöst werden. Auch Nesselfieber trat auf. Nur eben, dass die Pollen um einiges penetranter sind als bei üblichen Allergie-Pflanzen. Die Pollen können tief in die Lunge eindringen und dort eine Entzündung oder Schwellung der Bronchialschleimhaut bewirken. In Norditalien wird von einem dramatischen Anstieg von Asthma-Anfällen berichtet. In Gebieten mit großer Verbreitung sollen über zehn Prozent der Bevölkerung allergische Reaktionen ausgebildet haben.

Die Problematik wird wohl am deutlichsten, wenn man die Pollen-Konzertation der Ambrosia – Hauptblütezeit zwischen August und Oktober – betrachtet: Eine einzelne Pflanze soll eine Milliarde Pollenkörner freisetzen können. Wobei bereits eine Konzentration von nur sechs Körnern pro Kubikmeter Luft als problematisch gilt. Auch der Potsdamer Biologe Burkart spricht von einer besonders aggressiven Pflanze. Nach dem Kontakt mit dem krautigen Gewächs hätten Kollegen auch über Kopfschmerzen geklagt. Bei sich selbst habe er zwar keine Reaktionen feststellen können. Doch die Ausbildung einer allergischen Reaktion kann jeden treffen, auch Menschen, die bislang keine Allergien hatten. Nach bisherigen Erkenntnissen der Mediziner lagern sich die Pollen in den oberen Atemwegen ab. Dort können sie die Produktion von körpereigenen Immunglobulin-E-Antikörpern anregen und so eine Sensibilisierung verursachen. Bei ausreichender Pollenkonzentration kann sich anschließend eine Allergie entwickeln.

Die Wissenschaftler sind derzeit vor allem wegen der Ausbreitung der Ambrosia besorgt. Michael Burkart meint zwar, man sollte keine Panik schüren. Doch nachdem nun Häufungen zu beobachten sind, etwa im Südwesten Deutschlands aber auch im Raum Cottbus, sei es Zeit zu handeln. Die Wissenschaft geht auch von erheblichen bislang unentdeckten Vorkommen aus. „Nun ist der Punkt erreicht, an dem eingegriffen werden muss“, so Burkart. Noch ein paar warme, lange Sommer und die Ausbreitung könnte Überhand nehmen. „In zwei Jahren ist es womöglich zu spät“, schätzt der Biologe. Allerdings weiß er auch, dass sich die Gefahr des Einschleppens durch verunreinigtes Vogelfutter nicht durch das Entfernen der Pflanzen lösen lässt. „Ein weiteres Problem sind die Samen, die 40 Jahre im Boden keimfähig bleiben können“, ergänzt Burkart. An Stellen entfernter Ambrosia-Populationen müsse also jahrzehntelang nachgesorgt werden.

Die Experten verweisen nun auch auf die ökonomischen Folgen des Allergie-Krauts. Auf einem Workshop an der Uni Frankfurt wurde in diesem Jahr geschätzt, dass die Ambrosie bereits heute im deutschen Gesundheitswesen Kosten von etwa 32 Millionen Euro jährlich verursacht. Bei der zu erwartenden weiteren Ausbreitung sei eine Vervielfachung der Kosten absehbar.

Für die Allergiker bleibt als Fazit, dass sie nun einen Feind mehr haben. Besonders schlimm ist, dass die Ambrosia bis zum ersten Frost blüht. So könnte sich die schwere Zeit für die Betroffenen um mindestens zwei Monate verlängern, warnen die Biologen. Die Ungarn haben die Ambrosie daher kurzerhand per Gesetz verboten. Was das Kraut sicherlich kaum beeindrucken wird.

Die Ambrosia artemisiifolia wird zurzeit im Botanischen Garten der Universität Potsdam gezeigt, Maulbeerallee 2, Tel. 0331 / 977 1962, geöffnet ist täglich von 9.30 bis 16 Uhr.

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