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Landeshauptstadt: Potsdam handgemalt

Eine vergessene Kunst: Ruben Atoyan zeichnete Potsdams Stadtpanorama in Tusche und Aquarell – es ist das erste seit 1858

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Dieser Mann kann fliegen, ohne dafür den Boden zu verlassen. Er hat Rom aus der Vogelperspektive gezeichnet, Jerusalem, Moskau, Venedig, Berlin – und jetzt auch Potsdam. Dafür setzt sich Ruben Atoyan aber nicht ins Flugzeug. Er läuft stattdessen wochenlang durch Straßen, Gassen und Parks, skizziert Fassaden, notiert Abstände, zählt Fenster, erkundet Hinterhöfe und steigt auf die höchsten Gebäude, um auch Dächer, Schornsteine und Antennen studieren zu können. Für den Kartografen und Künstler zählt jedes Detail. Am gestrigen Mittwoch stellte der gebürtige Armenier, der in der weißrussischen Hauptstadt Minsk lebt, in Potsdam sein neuestes Werk vor: Eine handgezeichnete Panoramaansicht der Landeshauptstadt, die als Stadtplan oder Poster im Handel erhältlich ist.

Weit mehr als ein Jahr Arbeit stecken in dem Panorama: Allein die Zeichnung der Originalkarte mit Tusche und Aquarell auf Bristolkarton im Format 97 mal 67 Zentimeter dauerte gut ein Jahr, wie Atoyan berichtete. Vorangegangen waren wochenlange Streifzüge durch Potsdam zur Recherche: Rund 50 Kilometer Fußweg legte Atoyan zurück, ausgerüstet mit Skizzenblock, Feder und Kamera. 2008 begann er mit der Arbeit. Schritt für Schritt entstand ein Potsdam-Album mit Hunderten Skizzen, erzählt der schmächtige Mann mit den Adleraugen.

Die größte Herausforderung seien die zahlreichen Skulpturen im Stadtbild gewesen: „Ich wollte gern viele Details zeigen, musste für die Karte aber auch vereinfachen“, beschreibt Atoyan das Dilemma. Auch über das Format der Potsdam-Karte diskutierte er lange mit seiner Verlegerin, der Polin Elzbieta Kuzmiuk, mit deren Terra Nostra Verlag er seit 1994 zusammenarbeitet. Man habe sich schließlich für einen vergleichsweise großen Ausschnitt entschieden, damit nicht nur das unmittelbare Zentrum, sondern auch die Schlösser zur Geltung kommen. 34 Quadratkilometer umfasst das Panorama – mit der beigelegten Lupe eröffnen sich dem Betrachter unzählige Einzelheiten. Babelsberger oder Bewohner der Plattenbaugebiete im Süden werden ihr Haus aber vergeblich suchen, die Karte endet auf Höhe des Brauhausbergs.

Dafür hat Atoyan anderswo gezeichnet, was es noch nicht gibt: So ist etwa das Landtagsschloss am Alten Markt komplett, auch der Palast Barberini steht bereits am Havelufer. Aber auch „untergegangene“ Gebäude wie das „Haus des Reisens“ am Platz der Einheit verewigte der 58-Jährige. „Die Welt ändert sich viel schneller, als wir das zeichnen“, erklärt die Verlegerin Elzbieta Kuzmiuk. Man habe daher Baupläne genutzt, auch topografische Karten und Luftbilder liegen dem Panorama zugrunde.

Aber auch mit den Arbeiten seiner Vorgänger befasste sich Atoyan zur Vorbereitung. Dafür musste er allerdings ins Archiv gehen. Denn das letzte bekannte Stadtpanorama von Potsdam stammt aus dem Jahr 1858, wie Wolfgang Crom, der Leiter der Kartenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin, weiß. Angesichts von Internetdiensten wie „Google Street View“ ist das Zeichnen von Stadtpanoramen eine seltene Kunst geworden. Anders als etwa bei Luftbildern können auf einer solchen Panoramakarte verschiedene Perspektiven vereint werden – damit möglichst viele Straßenfronten sichtbar sind. Aus dem gleichen Grund verbreiterte Atoyan die Straßen in seinem Panorama optisch auch etwas.

Seine Technik entwickelt der gebürtige Armenier seit mehr als 25 Jahren. Nach dem Kartografie-Studium in Moskau arbeitete Atoyan ab 1977 zunächst im Staatlichen Kartographischen Amt in Tiflis, dann am Staatlichen Institut für Geodäsie in Jerewan, wo er die erste dreidimensionale Panoramakarte von Armenien anfertigte. Mittlerweile hat Atoyan mehr als 120 Städte kartografiert, bereits zweimal bekam er den Preis der Internationalen Kartographischen Gesellschaft, der als Kartografen-„Oscar“ gilt. Momentan arbeitet er an einem Panorama der Schweizer Hauptstadt Bern.

Was ihm in Potsdam am meisten gefallen hat? Ruben Atoyan blickt einen Moment auf seine Karte, dann zeigt er auf die Friedenskirche im Park Sanssouci. Er schwärmt von dem malerisch gelegenen Gotteshaus – und der großen Christusfigur im Innenhof. Wenn man die Lupe zur Hand nimmt, kann man die Skulptur mit den ausgebreiteten Armen erkennen.

Panoramakarte von Potsdam, erschienen bei Edition Panorama Berlin. Faltkarte mit Lupe für 7,80 Euro, Poster für 9,80 Euro.

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