Landeshauptstadt: Potsdam hat nichts zu verlieren
Sozialwissenschaftler geben Potsdam gute Noten in Krisenfestigkeit: Unter 412 untersuchten Gemeinden kam Potsdam auf Platz 13
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Die schlechte Nachricht zuerst: Die Krise steht nicht bevor, „sondern wir befinden uns bereits mittendrin“. Das sagt Matthias Günther, Sozialwissenschaftler beim Eduard-Pestel-Institut für Systemforschung in Hannover. Und er meint ausdrücklich nicht die „so genannte Finanzkrise“. Sorgen bereiten ihm stattdessen der Klimawandel, das weltweite Nord-Süd-Gefälle im Lebensstandard und die knappen Öl- und Rohstoffreserven. Tatsachen, die zu einer „größeren Weltwirtschaftskrise“ mit bis zu 25 Prozent Einbruch beim deutschen Bruttoinlandsprodukt führen könnten, so Günther. Darauf aber sei Deutschland nicht vorbereitet: „Ich habe Bedenken, ob wir das in der gegenwärtigen Konstellation überhaupt überstehen würden.“
Hier kommt – zumindest für Potsdam – eine gute Nachricht ins Spiel: Denn bei einer Studie zur Krisenfestigkeit von 412 Kreisen und Städten, die der Sozialwissenschaftler in dieser Woche vorstellte (PNN berichteten), landete die Landeshauptstadt auf dem beachtlichen Platz 13. In Brandenburg wird Potsdam nur noch von der Uckermark (12) und dem Landkreis Dahme-Spreewald (7) überrundet. Das benachbarte Potsdam-Mittelmark (27) und Berlin (52) kamen immerhin ins obere Drittel der Gesamtwertung.
Für den Krisentest untersuchten die Forscher Kennzahlen aus den Bereichen Soziales, Wohnen, Verkehr, Flächennutzung, Energie und Wirtschaft. Anders als in den meisten Rankings sei es aber nicht darum gegangen, „wer wirtschaftlich der Schönste, Größte, Stärkste“ ist, erklärt Günther. Deshalb wurde zum Beispiel eine niedrige Zahl von Arbeitsplätzen in der Industrie – hier ist Potsdam bundesweit Spitze – positiv bewertet. Denn die Industrie sei wenig krisenfest.
Bestnoten bekam Potsdam auch beim Verkehr: Mit 414 Fahrzeugen pro 1000 Einwohnern – anderswo sind es 906 – und der guten Nutzung des Nahverkehrs sind die Potsdamer vergleichsweise unabhängig vom Benzinpreis. Gut wird auch die Wohnsituation eingeschätzt. Die hohen Zuzugszahlen und die hohe Mieterquote deutet Günther so: „Potsdam ist eine extrem attraktive Stadt mit einer hochgradig flexiblen Bevölkerung.“
Anlass zum Zurücklehnen besteht trotzdem nicht: Denn bei sieben der insgesamt 18 untersuchten Indikatoren landete die Landeshauptstadt am unteren Ende der Bewertungsskala. „Potsdam ist entweder ganz oben oder ganz unten“, sagt Günther. Besonders schlecht sieht es etwa beim Thema Energie aus, wo Potsdam zum Zeitpunkt der Erhebung im Jahr 2008 praktisch keine Möglichkeiten zur unabhängigen Energieerzeugung durch Windkraft, Solarthermie oder Biogas nutzte. Auch in der hohen Quote von Hartz-IV-Empfängern sieht Günther ein Problem. Im Krisenfall berge sich hier „riesiges Konfliktpotenzial“.
Mit der Studie, so der Forscher, habe das Pestel-Institut eine überfällige Diskussion anstoßen wollen – ganz im Sinne des Institutsgründers Eduard Pestel, der als Mitinitiator des „Club of Rome“ bereits in den 1960er Jahren die Abkehr vom Wirtschaftswachstums-Diktum zugunsten von mehr sozialer Nachhaltigkeit forderte. Auch Günther plädiert für „bewussten Verzicht“ und „Entglobalisierung“. Dabei seien nicht nur der Bund, sondern auch die Kommunen gefragt, betont er: „Das wird nur aus den Regionen heraus funktionieren.“ Jana Haase
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