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Ab nach Frankreich. Der Potsdamer Vladislav Davidenko freut sich seit Monaten auf das Spiel der deutschen gegen die ukrainische Mannschaft bei der Europameisterschaft. Heute macht er sich auf den Weg, um am Sonntagabend live in Lille dabei zu sein. Auch sein Sohn, der elfjährige Valentin, rüstet sich für das Turnier.

© Andreas Klaer

EM: Vor dem Spiel Ukraine gegen Deutschland: Potsdam in Gelb und Blau

Fast 700 Ukrainer leben in Potsdam. Die Fußballfans unter ihnen fiebern dem ersten Spiel bei der Europameisterschaft in Frankreich entgegen.

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Mindestens 820 Kilometer sind es laut Routenplaner von Potsdam ins nordfranzösische Lille, wo am Sonntagabend (21 Uhr) die deutsche Fußballnationalmannschaft bei der Europameisterschaft auf die Auswahl der Ukraine trifft. Der Potsdamer Vladislav Davidenko wird sich am Samstag mit seinem Auto dorthin auf den Weg machen. Er will unbedingt live dabei sein. Für ihn ist es ein ganz besonderes Spiel. „Ich habe mich schon bei der Auslosung sehr gefreut, dass Deutschland und die Ukraine in eine Gruppe gekommen sind“, sagt er.

Davidenko verbindet beide Länder in seiner eigenen Lebensgeschichte: Der 50-Jährige ist in der Ukraine geboren, lebt seit 28 Jahren in Deutschland, seit 1998 in Potsdam. Während des Spiels werden seine Sympathien aber einseitig verteilt sein. „Ich bin gelb-blau“, sagt er. „Du weißt, wo deine Wurzeln sind.“ Davidenko ist als Ukrainer in Potsdam alles andere als allein: 686 Menschen mit ukrainischem Pass lebten laut Einwohnerstatistik 2014 in der Stadt. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Ein Jahr zuvor waren es noch deutlich mehr (715).

Er interessiere sich für Fußball, als richtigen Fußballfan wolle er sich aber gar nicht bezeichnen, so Davidenko, der ein Gastronomieunternehmen führt. Dafür dreht er zu den großen Turnieren umso mehr auf: Als sich die Ukraine im Jahr 2006 erstmals für eine Weltmeisterschaft qualifizierte und das Team dann auch noch Potsdam als Quartier wählte, waren das Festwochen für ihn. Und auch zur Europameisterschaft 2012, die in Polen und der Ukraine stattfand, machte sich Davidenko auf den Weg. Mit dabei war seine ukrainische Flagge, auf die er den Heiratsantrag für seine Frau geschrieben hatte.

Die Aussichten für das Turnier in Frankreich schätzt Davidenko vorsichtig optimistisch ein. Mit den schnellen Außenstürmern Konoplianka und Yarmolenko habe die Mannschaft gegen Polen und Nordirland eine Chance. Gegen die deutsche Mannschaft werde es schwieriger. „Die sind technisch einfach zu überlegen.“ Aber vielleicht helfe es ja, wenn es stark regne, sagt er mit Verweis auf die jüngste Niederlage der deutschen Mannschaft gegen die Slowakei. Dabei wäre ein gutes Abschneiden sehr wichtig für die Stimmung im Land: „Die Ukraine braucht positive Nachrichten.“

Eher nüchtern betrachtet hingegen Natalya Prosulenko die Sache mit der Fußball-EM. Sie kenne sich nicht so aus mit dem Sport, sagt sie den PNN. Aber sie werde die deutschen und ukrainischen Spiele dennoch gemeinsam mit ihrem Mann schauen, auch am Sonntag. „Privat bei Freunden“, so die 39-jährige Übersetzerin, die seit sechs Jahren in Potsdam wohnt. Da seien dann alle möglichen Nationalitäten dabei, „Polen, Kubaner und so“. Ukrainische Fähnchen werde sie jedenfalls nicht dabei haben. „Vielleicht ein T-Shirt mit der Aufschrift ,Ich liebe die Ukraine’“. Ihr Tipp für Sonntag? Deutschland werde wohl gewinnen.

Toll sei es bei der WM 2006 in Deutschland gewesen, erzählt Prosulenko. Vor allem an das Viertelfinalspiel zwischen der Ukraine und Italien könne sie sich noch gut erinnern. Da seien alle auf einmal für ihr Heimatland gewesen. „Alle waren plötzlich Ukrainer.“ Italien gewann das Match relativ klar mit 3:0 – und wurde anschließend sogar Weltmeister.

Gerade wegen der seit Jahren angespannten politischen Situation in der Ukraine hoffe sie auf einen Erfolg bei der EM, so Prosulenko. Obwohl sie mittlerweile für beide Nationalmannschaften sei, für die deutsche und die ukrainische. Sie stamme aus Donezk. Ihre Eltern seien vor zwei Jahren auf einer Urlaubsreise gewesen. In dieser Zeit sei die Stadt von den russischen Separatisten übernommen und eine „Volksrepublik Donezk“ ausgerufen worden. „Sie konnten nicht mehr zurück. Das war schlimm.“ Warum ihre Eltern nicht nach Deutschland gezogen sind, dort wo ihre Tochter wohnt? „Sie hatten nur ein Touristenvisum, das nach drei Monaten ablief“, so Prosulenko. Jetzt wohnen sie in einem kleinen Dorf in der Nähe von Kiew.

Auch Lesya Richter belastet die Situation in ihrem Heimatland. Es sei eine andere Stimmung als 2006. Sie werde in ihrem Wein-Bistro „Lewy“ in der Dortustraße diesmal wohl keine Spiele übertragen oder ukrainische Fähnchen aufhängen, um russische Staatsbürger nicht zu verärgern, sagt die 42-Jährige. Ohnehin habe ihr Koch eine andere Meinung über den Konflikt um den Donbass und die Halbinsel Krim. „Aber wir reden nicht über Politik. Dadurch funktioniert die Zusammenarbeit.“.

Dennoch wünsche sie sich, dass die Stimmung so gut werde wie 2006, als die ukrainische Nationalmannschaft in Potsdam ihr Quartier aufgeschlagen hatte. „Da gab es ein ukrainisches Dorf auf dem Luisenplatz. Alle feierten miteinander. Das war toll.“

Für den Sonntag rechnet sie mit einem klaren Sieg der DFB-Auswahl. „4:1 oder 4:0 wird Deutschland gewinnen“, sagt Richter, die seit 2004 in Potsdam lebt und mit einem Deutschen verheiratet ist. Gibt es da nicht manchmal Krach? „Ach, zur Not trennen wir eben das Bett. Und nach einiger Zeit schieben wir es wieder zusammen“, scherzt sie. Aber das Erreichen des Viertelfinales für die Ukraine wie vor zehn Jahren wäre schon toll.

Die beiden hatten bis vor einigen Jahren zwei Motorräder. Die mussten dann aber verkauft werden, um das Wein-Bistro eröffnen zu können, so Richter. Jetzt wollen sie das Spiel am Sonntag vielleicht an der „Spinnerbrücke“ sehen, dem Berliner Biker-Treff an der Avus zur Autobahn A 115. „Oder eben im Garten mit den Nachbarn.“

Davidenko wird sich das Spiel von Reihe 70 im Stade Pierre Mauroy in Lille anschauen – seine gelb-blaue Fahne nimmt er natürlich mit. Den Weg dorthin wird er nicht allein antreten. „Wir sind zwei Ukrainer und zwei Deutsche.“ Vor Ort komme noch ein Freund aus Kiew dazu. „Aber wenn Deutschland mit mehr als zwei Toren Unterschied gewinnt, müssen die Deutschen mit dem Zug zurück fahren“, sagt er – und lacht.

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