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(Symbolbild) Auch in Potsdam wird über den Umgang mit Corona-Protesten debattiert

© dpa

Nach Demo mit hunderten Impfgegnern: Potsdam ringt mit Corona-Protesten

Nach dem Aufzug hunderter Impfgegner am Montagabend durch die Potsdamer Innenstadt diskutiert die Stadtpolitik, ob Gegendemos das richtige Mittel wären. Der Rathauschef spricht von einem "Dilemma".

Potsdam - Nach der am Montagabend überraschend gut besuchten Protestdemonstration von hunderten Impfgegnern und Corona-Verharmlosern in der Potsdamer Innenstadt diskutiert die Stadtpolitik darüber, ob und wie sie sich solchen Aufzügen unter Pandemiebedingungen entgegenstellen sollte. „Wir halten nichts davon, Rechtsradikalen, Verschwörungstheoretiker:innen, Corona-Leugner:innen und radikalen Impfgegner:innen die Straße zu überlassen“, hieß es bereits im Vorfeld der Demonstration in einer den PNN vorliegenden E-Mail der Fraktion Die Andere an den Oberbürgermeister.

Debatte im Bündnis

Darin zeigte sich Die Andere auch befremdet darüber, dass das Rathaus zum wiederholten Mal ohne Rücksprache mit Partnern eigene Aktionen unter dem Label des parteiübergreifenden Bündnisses „Potsdam bekennt Farbe“ plane – in diesem Fall war das eine große Videoleinwand am Rathaus, über die zum Beispiel Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) und andere Bündnispartner unter anderem zu mehr Impfungen aufriefen. Stattdessen müsse man Protest lautstark – „selbstredend unter den geltenden Hygieneregeln“ – vor Ort artikulieren, meint die linke Fraktion Die Andere. Dringend sei ein zeitnahes Strategietreffen nötig.

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Eine Antwort aus dem Rathaus erfolgte am Dienstag. Zu Beginn des neuen Jahres werde es einen Terminvorschlag für ein Strategiegespräch zu „Potsdam bekennt Farbe“ geben, teilte ein Sprecher mit. Zur Beratung wolle man das Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus in Brandenburg und auch das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam hinzuziehen, hieß es aus der Verwaltung.

Schubert: Ein Dilemma

Bereits im PNN-Interview hatte Rathauschef Schubert von einem Dilemma gesprochen, wenn es darum gehe, sich in der Pandemie gegen die Corona-Demos zu stellen. Das sei angesichts der geltenden Regelungen zur Eindämmung des Virus schwierig. Ähnlich sieht es der CDU-Fraktionsvorsitzende Matthias Finken: So sollten sich die Mitglieder des Bündnisses klar gegen solche Demos positionieren, „ohne selbst auf der Straße an der Verbreitung des Virus beizutragen“. 

Die Demoteilnehmer zeigten dagegen, „dass sie den Ernst der Lage nicht erkennen und ihre Verantwortung für die Allgemeinheit im Kampf gegen die Pandemie nicht übernehmen wollen“, so Finken. Auch SPD-Fraktionschefin Sarah Zalfen sagte, Gegendemonstrationen seien derzeit wegen der Infektionslage nicht das Mittel der Wahl. Die entscheidende Gegendemo sei jeden Tag an den Impfzentren zu beobachten. „Wir müssen aber noch eine Form finden, das deutlich zu machen“, sagte Zalfen.

Opferperspektive: Zunehmende Gewaltbereitschaft

In dem „Potsdam bekennt Farbe“-Bündnis sind neben der Stadtpolitik auch diverse Initiativen und Unternehmen engagiert, insgesamt mehr als 50 Mitglieder, darunter auch der Verein Opferperspektive. Dessen Sprecher teilte mit, angesichts der zunehmenden Gewaltbereitschaft aus dem Querdenker-Milieu – und weil landesweit die gewaltbereite radikale Rechte bei den Aufzügen „eine herausragende Rolle“ spiele –, sei es umso wichtiger, „dass die demokratische Zivilgesellschaft ganz klar ihre Solidarität mit den Betroffenen dieser Drohungen und Gewalt zeigt“. 

Dazu könnten neben öffentlichen Statements auch Demonstrationen gehören, „bei denen natürlich mit Maske und Abstand“ teilgenommen werden müsse, so der Verein. Auch der Linken-Fraktionschef Stefan Wollenberg sieht Handlungsbedarf: „Wir dürfen einer kleinen, aber lauten Minderheit nicht die Straße überlassen.“ Man müsse dagegen Formen des Protests finden, die auf der Straße sichtbar würden, aber eben auch dem Infektionsschutz genügen.

Polizei: Nicht zu lasch agiert

Bei den Protesten gegen eine Impfpflicht und die Corona-Politik hatten sich am Montagabend am Schluss hunderte Menschen am Filmmuseum versammelt. Bei anderen Protesten in den vergangenen Wochen waren stets deutlich weniger Teilnehmer gekommen, in einschlägigen Telegram-Chatgruppen hatten sich Impfgegner und Coronaverharmloser schon enttäuscht geäußert - was sich seit Montag geändert hat

Die Polizei trat wiederum am gestrigen Dienstag Vorwürfen aus der linken Szene entgegen, zu wenig auf die Einhaltung der Maskenpflicht bei den Demonstranten geachtet zu haben. So habe man die Identitäten von zwölf Versammlungsteilnehmern festgestellt, die gegen die Eindämmungsverordnung verstoßen hätten, so ein Polizeisprecher auf Anfrage. Es seien Ordnungswidrigkeitsanzeigen mit möglichen Bußgeldern anhängig. 

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Man könne aber nicht von hunderten Teilnehmern die Personalien aufnehmen, schränkte der Sprecher ein. Die Einhaltung der Maskenpflicht habe man mit Lautsprecherdurchsagen mehrfach eingefordert. Zudem sei die Polizei vor allem für die Strafverfolgung zuständig – die Kontrolle der Maskentragepflicht sei eher Sache des Ordnungsamts.

Ein Brief wurde verlesen

Bei den Protesten sprachen zum Beispiel der frühere AfD-Bundestagsdirektkandidat in Potsdam, Tim Krause, aber auch die Mutter eines Kindes von der Montessori-Oberschule in Potsdam-West. Sie verlas einen nach eigenen Angaben von einer 40-köpfigen Elterninitiative erstellten Brief gegen „sämtliche Coronamaßnahmen“ an Schulen und Impfungen von Kindern. 

Man begrüße auch die „teilweise Herdenimmunität“ an der Schule, heißt es in dem Brief, ein Großteil der Schüler habe sich schon angesteckt. Dramatisch sei die Ausgrenzung ungeimpfter Schüler, die anders als ihre geimpften Mitschüler in Quarantäne müssen, wenn es Infektionen in den Klassen gibt. Dafür gab es von den Demonstranten Applaus.

Schulleitung distanziert sich und widerspricht

Am Mittwoch meldete sich dazu Sebastian Raphael zu Wort, der Schulleiter der Montessori-Schule. Er teilte mit, "der in Eigeninitiative von einer Minderheit der Eltern" verfasste Brief spiegele nicht die Meinung der Schulleitung, des Kollegiums oder der Gesamtelternvertretung wider. Die Stellungnahme sei auch nicht mit den gewählten Organen der Schulgemeinschaft abgestimmt, wie es an der Schule üblich sei. "Als staatliche Schule setzen wir alle beschlossenen Maßnahmen in engem Austausch mit dem Gesundheitsamt um", so Raphael. Dabei erlebe man viel Verständnis und Kooperation unter den Schüler:innen und bei den Eltern.

Er widerspreche auch der Falschaussage, ein Großteil der Schüler habe sich schon angesteckt. "Bisher infizierten sich im laufenden Schuljahr rund 8,3 Prozent der Schüler*innen nachweislich mit Corona." Zudem verwahre er sich gegen die Unterstellung, "dass Eltern an der Schule Angst vor negativen Konsequenzen für sich oder ihre Kinder befürchten müssten, wenn sie sich zu ihrer Meinung bekennen oder Kritik äußern". Seitens des Gesamtelternsprechers sei noch zu ergänzen, "dass es ein bisher einmaliger Vorgang ist, die Schule mit einem solchen Brief, der den allermeisten Familien und der Gesamtelternvertretung nicht bekannt ist, durch öffentliches Verlesen in diesem Umfeld in Misskredit zu bringen", hieß es in der Stellungnahme aus der Schule.

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