Landeshauptstadt: Sommer, Friedhof, Sanssouci
Jugendliche aus aller Welt pflegen in Potsdam jüdische Familiengräber
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Jugendliche aus aller Welt pflegen in Potsdam jüdische Familiengräber Sie sehen wie eine Touristengruppe aus, die sich auf dem Weg zum Belvedere in die Puschkinallee verirrt hat. Das sind die 15 Jugendlichen aus Dänemark, Polen, Russland, Chile, der Türkei, Frankreich, Kanada, Tschechien und Korea, die am Dienstagmorgen vor dem Eingangstor zum Jüdischen Friedhof stehen, in gewisser Weise auch. Hauptsächlich aber sind die Jugendlichen wegen des 19. Internationalen Workshops der „Vereinigung Junger Freiwilliger“ und der Stadt Potsdam in die Stadt gekommen. Für kostenlose Unterkunft und Verpflegung jäten sie in diesem Sommer auf dem Friedhof zwei Wochen lang das Unkraut von den Familiengräbern, fünf Stunden täglich. Erst dann steht das gewöhnliche Sightseeing auf dem Programm. Der Eintritt in die Schlösser ist für sie kostenlos. Die Stadtverwaltung freut sich. In jedem Jahr schickt sie die Jugendlichen dorthin, wo die finanziellen Mittel für die Friedhofspflege knapp sind. Auf dem Pappelberg, den ehemaligen sowjetischen Friedhof in der Michendorfer Chaussee oder eben auf den 1743 errichteten Jüdischen Friedhof auf dem Pfingstberg, der früher einmal Judenberg hieß, wie Stadtkonservator Andreas Kalesse erklärt. Die meist aus dem Ende des 19. Jahrhunderts stammenden Familiengräber an der Mauer sind völlig überwuchert. „Hier ist Handarbeit nötig, die wir nie bezahlen könnten“, sagt Stadtkonservator Andreas Kalesse. Als kleines Dankeschön stiftet die Stadt den befristeten Friedhofsgärtnern 300 Euro. Eine Hand wäscht die andere. Julia, 20, aus Dänemark findet es super für zwei Wochen Deutschland nur die Anreise bezahlen zu müssen. Sie hängt im Urlaub nicht gerne herum und interessiert sich für jüdische Geschichte, die Familie ihres Vater ist jüdisch. Sie hofft in Potsdam mehr über die Religion zu erfahren. Deshalb hat sie sich für das Workcamp angemeldet. Julia spricht etwas Deutsch und sieht sich in der 1911 erbauten Trauerhalle die Ausstellung über Juden in Potsdam an. Rund 1000 Juden leben heute in der Stadt, erfährt sie von Stadtkonservator Kalesse, meist aus Russland zugezogene. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren es einige Hundert. Jana aus Tschechien kennt jüdische Friedhöfe aus Prag, ihrer Heimatstadt, in der Synagogen zum Stadtbild gehören. Sie mag die Ruhe, geht gern dort spazieren. Im unteren Geschoss der Trauerhalle, in dem Raum, in dem die Toten nach jüdischem Ritual gewaschen werden, wird Jana dann doch etwas mulmig. Eine weiße Wanne aus Marmor steht dort mit einer hölzernen Kopfstütze. An der Wand hängen Gebete. Ein Fahrstuhl transportiert die Toten in die Trauerhalle, erklärt der Stadtkonservator. Vom Friedhof aus schließt er die Eingangstür zur Halle auf, dann die Brandschutztür, die nach dem Anschlag 2001 eingesetzt wurde. Gleich rechts ragt er aus dem Boden, der schwarz umrahmte, sarggroße Tunnel in den Keller. Der Potsdamer Friedhof ist der einzige in Brandenburg, an dem man sich nach der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, begraben lassen kann, erklärt Kalesse. Ji-Eun aus Korea guckt sich neugierig um. Über das Judentum weiß sie nicht viel, sie ist Buddhistin, das will sie jetzt nachholen. Am Dienstag ist für die Workcamper aber erst einmal eine Stadtführung durchPotsdam dran. Marion Hartig
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