Landeshauptstadt: Stolze Potsdamerinnen
Ein Forschungsprojekt zeigt: Junge Migrantinnen fühlen sich wohl in der Stadt. Und sie erzählen gern, dass sie in Potsdam leben
Stand:
Toleranzedikt, Holländerviertel, hugenottische Einwanderer – Potsdam rühmt sich gerne damit, schon seit Kaiserszeiten anderen Kulturen eine Heimat zu bieten. Doch wie sehen heutige Potsdamer Jugendliche mit Migrationshintergrund die Landeshauptstadt? Identifizieren sie sich mit ihr, an welchen Orten fühlen sie sich zu Hause und an welchen nicht?
Diese und andere Fragen untersucht derzeit ein dreijähriges Forschungsprojekt des Vereins Christliches Jugenddorfwerk Deutschland (CJD) unter dem Titel „Identitäten Jugendlicher, Interkulturalität und kommunaler Raum“, das vom Europäischen Integrationsfonds gefördert wird. In drei Städten – Potsdam, Hamburg und Kiel – führen die Projektleiterinnen Susanne Rathlau und Silke Gary seit 2012 dazu Befragungen mit Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren durch.
Nun startete die dritte und letzte Phase des Projekts mit einem Workshop im Potsdamer Mädchentreff „Zimtzicken“. Sieben Mädchen stehen am Samstag vor einer Stadtkarte, auf der sie mit Pinnadeln Orte markieren sollten, mit denen sie sich identifizieren. Ihre Eltern stammen aus Vietnam, dem Kongo, Palästina oder der Türkei, geboren oder aufgewachsen sind jedoch alle in Potsdam. „Im Vergleich mit anderen Städten ist Potsdam ganz ok“, findet die 18-jährige Leaticia Mputu, die schon im vergangenen Jahr an dem Projekt teilgenommen hat. „In Dortmund oder Essen ist es zum Beispiel ganz anders: Dort gibt es mehr Migranten und man findet leichter Anschluss.“
Tatsächlich ist Potsdams Ausländeranteil mit 4,6 Prozent eher gering – in München beispielsweise beträgt er über 20 Prozent – doch der weitere Verlauf des Workshops zeigt, dass dies keinesfalls bedeutet, dass die Teilnehmerinnen sich in ihrer Heimatstadt nicht wohlfühlen. Die Mädchen teilen sich in zwei Gruppen, beide sollen sich für jeweils zwei Identifikationsorte entscheiden. Bei beiden ist die Wahl unter anderem auf den Park Sanssouci gefallen. Die Projektleiterinnen zeigen sich überrascht bis irritiert: „Das ist ja nun ein sehr touristischer Ort“, sagt Rathlau diplomatisch. „Dieser Ort repräsentiert Potsdam einfach am meisten“, findet Mputu, von den anderen kommen ähnliche Aussagen.
„Sanssouci repräsentiert unsere Stadt und ich finde, wir können stolz darauf sein, dass wir so etwas haben“, begründet die 17-jährige Thanh-Ni Nguyen, die vietnamnesische Wurzeln hat. Sie ist gerne Potsdamerin: „Wenn ich woanders bin und erzähle, dass ich aus Potsdam komme, dann fühle ich mich schon gut“, sagt Nguyen und grinst.
Um diese Identifikation zu unterstreichen, suchen die Mädchen als Teil des Workshops die ausgewählten Orte auf, um sich dort unter der Überschrift „Wir sind Potsdam!“ fotografieren zu lassen. Eine Gruppe wandert zum Brandenburger Tor, die andere zur Freundschaftsinsel. „Spaß haben und mit Freunden zusammen sein – das verbinde ich mit der Freundschaftsinsel“, sagt Nassar, deren Eltern aus Palästina stammen.
Es gibt aber auch Orte, die die drei Mädchen meiden: „Den Schlaatz“, sagen sie fast unisono. „Es ist gefährlich dort“, begründet Lan Nguyen, „wir sind dort schon öfters auf der Straße beleidigt und angepöbelt worden, nicht nur von deutschen, sondern auch von türkischen Jugendlichen.“ Solche Aussagen habe sie schon in mehreren Interviews gehört, die sie im Rahmen des Projektes geführt habe, sagt Silke Gary: „Man redet meist nur von dem Verhältnis zwischen Migranten und Deutschen, doch dass es auch Diskriminierung zwischen Migrantengruppen gibt, wurde bislang eher vernachlässigt.“
In der ersten Phase des Projekts hatten Gary und Rathlau in allen drei Städten eine Umfrage zum Thema Identitätsbildung und Umgang zwischen Menschen verschiedener Herkunft durchgeführt, in der zweiten Phase wurden sogenannte Tiefen-Interviews mit 200 Personen geführt. „Als eigentliche Verständigungshürde zwischen den Kulturen hat sich dabei weniger die Sprache herausgeschält, sondern vor allem rassistische Vorurteile gegenüber Menschen, die anders aussehen“, sagt Susanne Rathlau. Insgesamt sechs Workshops soll es geben, zwei pro Stadt. In Potsdam soll der nächste am 7. Dezember stattfinden – dann auch mit männlichen Teilnehmern.
Am Ende des wissenschaftlich-pädagogischen Projekts sollen konkrete Handlungsempfehlungen für die Praxis stehen: „Wir wollen versuchen, neue Formen von Jugendarbeit und interkulturellem Dialog zu entwickeln, bei denen es weniger darum geht, was das Trennende, sondern was das Gemeinsame zwischen den Kulturen ist“, sagt Gary. Fürs Erste kann auf jeden Fall festgestellt werden, dass die Teilnehmerinnen sich ganz natürlich als Potsdamerinnen fühlen und die Stadt als ihr Zuhause empfinden. Bei der Frage, was ihre Heimat sei, seien die Mädchen allerdings ins Schwanken geraten, sagt Gary: „Das war für sie zwar schon das Land ihrer Eltern, aber eigentlich doch eher Deutschland. Letztlich meinten sie, beides sei ihre Heimat.“ Beeindruckt habe sie, wie selbstverständlich sich die Mädchen als Teil Potsdams verstanden hätten; bei einem früheren Projekt in einer sächsischen Kleinstadt sei dies ganz anders gewesen: „Dort hatten die befragten Migranten eher Angst und fühlten sich nicht wirklich als Teil der Stadt. Ich denke, in dieser Hinsicht kann man Potsdam ein gutes Zeugnis ausstellen.“ Erik Wenk
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: