Homepage: Streitfall: Neonazis oder Rechte?
Reicht es, ein Judenfeind zu sein, um als rechtsextrem zu gelten? Oder muss man einen Parteiausweis von NPD oder DVU haben?
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Reicht es, ein Judenfeind zu sein, um als rechtsextrem zu gelten? Oder muss man einen Parteiausweis von NPD oder DVU haben? Oder ist nur rechtsextrem, wer zuschlägt? Diskussionen über Rechtsextremismus drehen sich wegen Begrifflichkeiten oft im Kreis: Was ist das Phänomen, gegen das alle kämpfen wollen? Nur wenige Antworten gaben am Mittwochabend die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion, die der Studierendenausschuss (AStA) der Uni Potsdam organisiert hatte – als Beginn einer Veranstaltungsreihe zum Thema Rechtsextremismus.
Der CDU-Innenexperte Sven Petke hob aus seiner Sicht die Erfolge des Kampfes gegen Rechts hervor: „Mitte der 90er konnten man in Potsdam gegen Mittag Gruppen von Typen mit Springerstiefeln und Bomberjacken begegnen – heute würde dies Dank der gestiegenen Konsequenz der Polizei so nicht mehr passieren.“ Eine freie und sich offen bekennende rechte Szene gäbe es in Brandenburg nicht mehr. Doch müssen Rechte auch Bomberjacken tragen? Eher nicht, meinte kurz zuvor Martina Weyrauch, Leiterin der Landeszentrale für Politische Bildung. „Der Kleidungsstil von Neonazis ist unauffälliger geworden, sie passen sich mehr an und kümmern sich um die Leute vor Ort.“ Dies sei das Bedrohliche, so Weyrauch.
Eine Einschätzung, der auch Jürgen Dittberner, Politikwissenschaftler der Uni Potsdam, nicht widersprach: Allerdings lenkte er seinen Fokus stärker auf die Frage, ob in der Diskussion überhaupt Begriffe wie Nazis verwendet werden dürften. „Ich möchte keine Verniedlichung der Herrschaft von Hitler, in dem nun den modernen Rechten das Nazi-Etikett angeheftet wird.“ Zudem sei Deutschland durch das Grundgesetz gegen eine Machtübernahme wie 1933 gesichert, ebenso bleibe der Wählerzuspruch für Parteien wie DVU und NPD im Vergleich eher gering – in Ländern wie Belgien und Italien hätten rechte Parteien wesentlich mehr Wähler.
Für solche Äußerungen erntete Dittberner freilich Proteste aus dem Publikum, die ihn zusammen mit Petke trafen. „Bis zu 30 Prozent der jungen Leute hier würden rechte Parteien wählen und sie sprechen von Erfolgen“, entrüstete sich Thomas Uhlig von dem Potsdamer Kulturverein Rosenweiss e.V. So würden sich etwa in der Prignitz Männer mit rechtsextremen Gedankengut an den Suppenküchen treffen, abends an Tankstellen herumlungern und die Freiwilligen Feuerwehren dominieren. Widerspruch von Petke: „Meine Eindruck ist ein anderer“. Später räumte Petke aber ein, dass die Politik einen Teil der Jugend nicht mehr erreiche.
Wie dieser Trend gestoppt werden kann, darauf wusste auch Sigrun Hasseln, Richterin in Cottbus, keine endgültige Antwort: „Es geht jedenfalls nicht, dass Eltern gegen ihre rechtsextremen Kinder demonstrieren“. Wichtig sei eher der Aufbau langfristiger „stinknormaler“ Strukturen für Jugendarbeit mit fest angestellten Mitarbeitern statt kurzlebiger Aktionsprogramme auf ABM-Basis. Da nickte Petke: „Wir müssen auch Projekte wie das Tolerante Brandenburg bewerten, ob die Euros dafür sinnvoll angelegt sind oder nicht.“ Über Gelder für langfristige Jugendarbeit sagte er allerdings nichts mehr. Henri Kramer
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