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Landeshauptstadt: Totenstille, Technikchaos und Siegerlaunen

Wie die Potsdamer Parteien am Wahlabend bei ihren Parties feierten, litten, zitterten und sich freuten

Stand:

Um 18 Uhr war es gewiss: Die Bundes-CDU und Kanzlerin Angela Merkel können weiter regieren. Und auch die erste Prognose für Brandenburgs Christdemokraten sah leichte Gewinne. Da klatschten in der CDU-Wahlzentrale „Dock 09“ in Babelsberg die rund 150 Gäste – doch euphorisch war die Stimmung nicht. Das lag an zwei Dingen: Allzu verwinkelt sind die Räumlichkeiten in dem Bürotrakt in der Ahornstraße. Und immer wieder sahen die Besucher in den aufgehängten Fernsehschirmen zwei Wörter: „Kein Signal“ – der Empfang via DVB-T klappte nicht so recht, immer wieder waren die Nachrichten unterbrochen. „Ist das nervig“, stöhnte mehrere Zuschauer. Und gerade das für die Fortsetzung von Rot-Schwarz in Brandenburg lange Zeit noch unklare Ergebnis zwang einige CDU-Politiker noch zur Zurückhaltung: „Ich bin immer noch gespannt wie ein Flitzbogen, was hier herauskommt“, so Potsdams CDU-Landtagskandidat Steeven Bretz eine halbe Stunde nach den ersten Prognosen. Er selbst blieb in seinem Wahlkreis chancenlos – wird aber dank eines günstigen Listenplatzes wohl in den Landtag ziehen dürfen. Wegen seines aussichtslosen 32. Listenplatz wird Wieland Niekisch, der zwei Potsdamer CDU-Direktkandidat, seinen Platz im Parlament verlieren – das einstige Parteischwergewicht erschien erst gar nicht zur Party.

Die SPD-Anhänger klatschten vor allem wegen dem gescheiterten Wiedereinzug der rechtsradikalen DVU in den Brandenburger Landtag. Es bliebfats die einzige Freude für die Genossen in Potsdam. Bei den sozialdemokratischen Hochrechnungen für das Land Brandenburg und Deutschland blieb die Stimmung im Thalia-Kino, in das die SPD eingeladen hatte, verhalten bis bodenlos enttäuscht. Der knappe Vorsprung vor den Linken im Land wurde artig beklatscht. Totenstille herrschte allerdings, als die 22,5 Prozent im Bund angezeigt wurden. Vor allem diese Zahl sorgte für eins: Lange Schlangen am Tresen mit alkoholischen Freigetränken. SPD-Landesvorsitzender und Ministerpräsident Matthias Platzeck versuchte eine halbe Stunde nach den ersten Prognosen zwar Optimismus zu versprühen. Doch selbst dem Positivdenker fiel es schwer, gute Stimmung zu verbreiten. SPD-Direktkandidatin Andrea Wicklein sagte nur „ich bin erschüttert“. Auch im Laufe des Abends, als sich andeutete, dass die Sozialdemokraten zumindest die Pole Position in Brandenburg verteidigen konnten, wollte keine gute Stimmung aufkommen. Zu schwer lastete das schlechte Bundesergebnis, aber auch die Zitterpartien bei Landtagskandidatin Klara Geywitz und Bundestagskandidatin Andrea Wicklein auf den Genossen. Dass Landtagsanwärter Mike Schubert deutlich gegen Platzhirsch Hans-Jürgen Scharfenberg von den Linken verlor, wurde nur mit „erwartungsgemäß“ kommentiert.

Auf diesen Jubel haben dieBündnisgrünen in Potsdam 19 Jahre warten müssen, denn der Einzug ins brandenburgische Landesparlament gelang dem damaligen Bündnis 90 genau im Wendejahr 1990 – und danach nie wieder. Desto größer gestern Abend die Jubelschreie und Umarmungen im Potsdamer Restaurant Walhalla, als die Prognose mehr als 5 Prozent Wählerstimmen und somit den Einzug in das Landesparlament voraussagte. Bei Störtebecker-Biobier und Biospeisen richteten sich die Anhänger von Bündnis 90/Grüne auf einen fröhlichen Abend ein. Die Siegerlaune stand den Grünen ins Gesicht geschrieben. Dazu trugen auch 15 Minuten Freibier bei. Von den Grünen war immer das Gleiche zu hören. Nils Naber, Fraktionschef im Potsdamer Stadtparlament: „Jetzt können wir endlich daran gehen, landespolitische Arbeit auch auf parlamentarischer Ebene zu leisten.“ Inwieweit dabei die andere neue Landtags-Partei, die FDP, an der Seite der Grünen mitmacht, ist offen. Aber der Potsdamer Kreisgeschäftsführer der Grünen, Benjamin Grochowski, wusste zumindest zu berichten: „Ich war um 18 Uhr mit dem Auto unterwegs und bekam einen Anruf von der FDP – mit dem Glückwunsch zum Einzug in das Landesparlament.“

Gefeiert, wenn auch etwas gesetzter, wurde auch bei den Potsdamer Liberalen ohne Unterbrechung. Die ersten Prognosen von acht Prozent im Land und über 15 Prozent auf Bundesebene haben die Anhänger der FDP jubeln lassen. Dauerapplaus und jede Menge „Bravo“-Rufe. Mehr als 100 Mitglieder und Freunde der Partei sind ins Logenhaus in Potsdam gekommen, um den Wiedereinzug ins Landesparlament zu feiern. Mit dabei, der alte und neue Potsdamer FDP- Bundestagsabgeordnete Heinz Lanfermann sowie Linda Teuteberg. Die 28-Jährige Potsdamerin freute sich über das Ergebnis, umarmte ihren Mann Björn, der für die FDP in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung sitzt, und geht nun von einer Oppositionsrolle im Landtag aus. Sie war in ihrem schwarzen Kleid der leuchtende Stern des Abends, gefragt vor jeder Kamera. Dezent zurück hielt sich dagegen der Kreischef der FDP Potsdam, Marcel Yon. Der Erfolg, so Yon, habe sich angekündigt. Auch die Mitgliederzahlen der FDP Potsdam seien das dritte Jahr infolge um 20 Prozent gestiegen. Jetzt gebe es 185 Mitglieder.

Die Wahlkampfparty der Linken in ihrem Quartier im Hauptbahnhof ist gut besucht, die Anhänger drängen sich bis in den Gang. Dann braust der Beifall hoch, 27,5 Prozent im Land, zweitstärkste Partei – die Stimmung ist gut. Da geht fast unter, dass auch die Wahlgewinnerin des Abends der Prognose nach 0,5 Prozent gegenüber der vorangegangenen Wahl verloren hat. Großer Applaus auch, als klar ist, dass der Landtag „Nazi-frei“ sein wird, wie Landeschef Thomas Nord sagte. „Wir waren an den Themen dran“, ruft Dagmar Enkelmann der Anhängerschaft zu, „Mindestlohn, raus aus Afghanistan, Hartz IV muss weg, Rentenklau“. „Wir sind vor Ort, das wird honoriert“, ruft ein begeisterter Hans-Jürgen Scharfenberg, Stadt-Fraktionschef und Landtagsabgeordneter. Wohl auch Grund für die Hochstimmung: Auf die Frage, ob er jetzt Minister wird, antwortet Scharfenberg so: „Da sage ich weder ja noch nein.“ Ambitionen lassen sich auch auf die entsprechende Frage bei Anita Tack heraushören: „Wir streiten erst um die Inhalte, dann um Personalien.“ Aber natürlich, so Tack, im Bau- und Verkehrsministerium von Reinhold Dellmann (SPD) müsse „vieles vom Kopf auf die Füße gestellt werden.“ pst

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