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Andreas Dresen im Interview: „Vom roten Teppich in die Gummistiefel“
Regisseur Andreas Dresen spricht über seine Arbeit als Berlinale-Juror – und erklärt, warum er sich gleich danach eine Nachtschicht im Tagebau verordnet hat.
Stand:
Herr Dresen, ich erreiche Sie heute nach einer Nachtschicht im Tagebau – Ihr neues Filmprojekt?
Ja. Das soll ein Dokumentarfilm werden, ein 15-Minüter für die ARD. Dort ist für den Herbst ein Projekt mit dem Titel 16 Mal Deutschland geplant. 16 Regisseure erzählen jeweils über ihr Bundesland. Das Ganze ergibt dann eine Art Gesamtporträt von Deutschland. Der RBB hat mich gebeten, den Film über Brandenburg zu drehen. Als ich damals „20 mal Brandenburg“ geleitet habe, habe ich schmerzlich die Tagebaulandschaften vermisst, die leider keiner drehen wollte. Deshalb habe ich mich jetzt für die ARD in die Spur gemacht und recherchiere gerade.
Das muss ein Kulturschock sein nach zehn Tagen Berlinale-Glamour.
Vom roten Teppich in die Gummistiefel! Aber das hilft, sich wieder zu erden. Auf der Berlinale befindet man sich doch in einer Art Parallelwelt: Man guckt Filme, unterhält sich mit tollen Kollegen – das ist alles großartig, aber hat mit dem wahren Leben relativ wenig zu tun, es entrückt einen ein bisschen. Insofern tat mir das ganz gut, mir gestern auf dem Bagger den Wind um die Nase wehen zu lassen.
Für Sie war es eine besondere Berlinale, weil Sie als Jury-Mitglied über die Bären mitentschieden haben. Sie stehen deswegen immer noch unter Schweigepflicht.
Ich darf nicht über das Wettbewerbsprogramm und die Jurydiskussionen reden – und das ist auch gut so, weil wir als Jury ja geschlossen auftreten und geschlossen unser Urteil abgeben. Und da ist es hinterher nicht gut, Dinge an die Öffentlichkeit zu tragen, wer was vielleicht denkt oder gesagt hat. Das, was wir in Form der Preise entschieden haben, manifestiert sich als Haltung unserer Gruppe. Da sollte kein einzelner mit dem Kopf rausgucken.
Sie haben in neun Tagen alle 19 Wettbewerbsfilme gesehen. Schwirrt einem da nicht irgendwann der Kopf?
Also, ich hatte schon Berlinalen, da habe ich bis zu 40 Filme geguckt, unter denkbar schwierigeren Bedingungen als jetzt in der Jury, weil ich mich dann auch noch nach Karten anstellen musste. Insofern fand ich das gar nicht schlimm. Ich liebe das ja: Filme zu gucken.
Haben Sie sich auf Ihr Jury-Amt besonders vorbereitet?
Nein. Ich habe ganz normal mit den Kollegen die Filme geguckt und dann haben wir sehr intensive Gespräche geführt. Man sitzt da jetzt nicht mit einer Strichliste oder einem Stimmzettel im Zuschauerraum. Ich reflektiere über die Dinge zuallererst ganz emotional, als Zuschauer, und in zweiter Linie fachlich, wenn man dann gemeinsam ins Gespräch kommt.
Sind Sie jemand, der im Alltag nach einem Kinobesuch gern redet oder lieber seinen Gedanken nachhängt?
Das hängt sehr vom Film ab und wie er einen trifft und berührt. Man muss auch nicht sofort reden, wenn man aufsteht und das Kino verlässt. Man kann sich ja eine kleine Pause gönnen. Ich rede mit Freunden oder Kollegen eigentlich gerne später über Filme, weil man dann gemeinsam auf eine andere Art reflektiert. Das ist etwas sehr Schönes und Intensives und kann das Erlebnis noch einmal vertiefen. Das hat mir bei dieser Berlinale übrigens insofern ein klein bisschen gefehlt, weil wir zwar in der Jury äußerst intensiv über die Filme gesprochen haben, ich mich aber mit den anderen Kollegen, die man sonst auf dem Festival trifft, nicht unterhalten konnte über das, was ich da gesehen habe.
Die Schweigepflicht
Das fiel mir schon schwer, weil diese Gespräche auch die besondere Festivalatmosphäre ausmachen. Man trifft sich und sagt: Mensch, was hast Du gesehen, wie hat Dir das gefallen? Das ging in diesem Fall nicht so wie sonst. Dafür haben wir im Kreis der Jury aber umso intensiver diskutiert.
Wie lief der Austausch mit den anderen Jury-Mitgliedern im Festival-Alltag?
Wenn es zeitlich irgendwie ging, haben wir uns nach jedem Film sofort zusammengesetzt und ausgetauscht, für eine halbe Stunde etwa. Alle zwei, drei Tage hatten wir eine größere Sitzung – die ging dann so über drei bis vier Stunden –, bei der wir das Gesehene rekapituliert und ausführlicher diskutiert haben. Und dann ganz zum Schluss natürlich die abschließende Sitzung, die über sieben Stunden ging, und bei der wir über die Preise entschieden haben.
Ein Marathon.
Ja. Aber mit diesen Kollegen total angenehm! Das sind einfach tolle Leute, die ich über ihre Arbeiten vorher kannte und geschätzt habe. Und das ist dann großartig, mit solchen Menschen zusammen zu sitzen und auf so intensive und tiefe Art über Filme sprechen zu können. Da lernt man auch viel und das habe ich sehr genossen.
Gab es jemanden aus der Jury, auf den Sie sich im Vorfeld besonders gefreut haben?
Ja, Wong Kar-Wai natürlich
den Regisseur und Jury-Präsidenten
oder den Schauspieler Tim Robbins – „Dead Man Walking“ ist einer meiner Favoriten. Aber auch jemand wie die dänische Regisseurin Susanne Bier. Ich hatte mit allen großes Glück, das war eine sehr, sehr gut besetzte Jury.
Sie haben sich schon für den nächsten Jury-Job verpflichtet – beim Internationalen Studentenfilmfestival Sehsüchte, das die Filmhochschule Babelsberg im April ausrichtet. Was erwarten Sie sich?
Ich freue mich vor allen Dingen darauf, die Handschrift von jungen Regisseuren kennen zu lernen, die von Filmhochschulen aus aller Welt kommen. Ich hoffe, dabei viel Neues zu erfahren: Neue Tendenzen, wie man an Film rangeht. Eine frische Haltung, die noch nicht davon geprägt ist, dass die Filme auf einem Markt bestehen müssen, sondern erstmal nur von der Leidenschaft, Dinge auszuprobieren. Eine sehr viel experimentellere, offenere Sicht auf Film. Und das kann sehr inspirierend sein.
Das Interview führte Jana Haase
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