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Landeshauptstadt: Von Eisenstein verehrt

Guido Seeber machte Babelsberg zur Filmstadt: Sein Nachlass in der Kinemathek Berlin birgt noch einige Schätze

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Es ist ein augenzwinkernd choreografiertes Ballett der Streichhölzer: Auf der Leinwand fügen sich die Hölzchen zu immer neuen Figuren. Ein großer Stern wird zu einem Vogel, der die Flügel ausbreitet und davonfliegt, der Zuschauer sieht das Konterfei Napoleons, tanzende Männchen, Sektgläser, einen bellenden Hund. Ein Schauspiel, das – so will es der Plot des Kurzfilms – ein kriegsversehrter Streichholzverkäufer im Alkoholrausch halluziniert. Es handelt sich um den ersten deutschen Animationsfilm überhaupt: „Die geheimnisvolle Streichholzdose“ entstand im Jahr 1910. Regisseur war Guido Seeber. Der Mann also, der wenig später auch in Neubabelsberg der erste war und dort ein Glasatelier bauen ließ – die Keimzelle des legendären Filmstudios, das jetzt seinen 100. Geburtstag feiert.

Das Jubiläum hat die Deutsche Kinemathek Berlin zum Anlass genommen, Seebers Nachlass, der seit 1985 in den Archiven lagert, neu zu sichten und teilweise online verfügbar zu machen. Dafür hat die Babelsberger Firma „TeleFactory“ gut 80 Minuten Filmmaterial – unter anderem den Streichholz-Film – digitalisiert und restauriert. Das bisher eher im Stillen voranschreitende Projekt stieß bei der Berlinale auf reges Interesse: Mehr als 100 Gäste kamen zu einem Informationsabend in die Kinemathek am Potsdamer Platz.

Zu entdecken gibt es in der Tat noch einiges, wie Werner Sudendorf, der Leiter der Sammlungen der Kinemathek, erklärte: Allein etwa 2000 Fotos und 1700 Glasplatten umfasse der Nachlass, hinzu kommen Kameratechnik sowie unzählige Manuskripte und die Filmschnipsel.

Auf denen hat Guido Seeber seine Experimente mit der Kamera festgehalten: Von der Doppelbelichtung, mit der er später den Schauspieler Paul Wegener in einer Doppelrolle im Stummfilm „Der Student von Prag“ auftreten lassen konnte, bis hin zum ersten Kameraschwenk der Kinogeschichte. Den machte Seeber am 31. Juli 1900, als er in Bremerhaven die Einschiffung von Soldaten auf der „Straßburg“ filmte. Um das ganze Schiff mit dem Gewimmel auf Deck zeigen zu können, nahm der damals 21-Jährige die Kamera vom Stativ und bewegte sie von Hand: Das Bild ruckelt ziemlich, aber die Idee der bewegten Kamera war geboren.

Seeber, der sich selbst als „Kamerakünstler“ verstand, habe auf das Kurbeln mit der Hand geschworen. Den damals neuen maschinenbetriebenen Kameras stand er bis zu seinem Tod 1940 skeptisch gegenüber: Denn nur mit der Handkurbel konnte er die Geschwindigkeit manuell beeinflussen – und so die Handlung des Films beschleunigen oder verzögern.

Vom guten Ruf des einfallsreichen Filmpioniers, der 1925 in Berlin die erste „Kino- und Photo-Ausstellung“ am Funkturm organisierte, um neue Technik aus aller Welt zu präsentieren, zeugt auch eine Widmung, die der russische Regisseur Sergej Eisenstein („Panzerkreuzer Potemkin“) dem gebürtigen Chemnitzer im Jahr 1929 in ein Buch schrieb: „Dem Großmeister des Trickfilms in tiefster Ehrfurcht.“

Mit der Digitalisierung seines Filmmaterial beschäftigte sich die Babelsberger Firma „TeleFactory“. Durch Schimmel, Schrammen und Schmutz haben die Filmstreifen in den vergangenen Jahrzehnten erheblich gelitten, sind teilweise auch ganz wellig, wie TeleFactory-Chef Jens Theo Müller berichtete. Die Schäden wurden korrigiert: Mit speziellen Computerprogrammen konnten die Filme Bild für Bild optimiert werden.

Für Müller ist diese Arbeit auch eine Verpflichtung gegenüber dem Standort: Seine Firma, die sich neben Filmrestaurierung auch auf Werbeproduktionen spezialisiert hat, sitzt auf dem Studiogelände im FX-Center. Das insgesamt rund 63 000 Euro teure Projekt wurde vom Medienboard Berlin-Brandenburg mitgefördert.

Ein Teil des restaurierten Seeber-Schatzes soll später über die Internetseite der Kinemathek verfügbar werden. Auch eine Veröffentlichung auf DVD kann TeleFactory-Chef Müller sich vorstellen – bislang gebe es dafür jedoch keine Interessenten. Die Kinemathek will zudem ein Buch Seebers zur Kameratechnik erstmals im Internet veröffentlichen, wie Projektleiter Ralf Forster berichtete. In dem mehrere Hundert Seiten umfassenden Manuskript aus den 1930er Jahren schreibt Seeber über die Entwicklung der Kameratechnik.

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