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Der damals neugewählte Reichskanzler Adolf Hitler und Franz von Papen (M) auf dem Weg zur Eröffnungssitzung des neuen Parlaments in der Potsdamer Garnisonkirche am 21. März 1933.

© dpa

Potsdam unterm Hakenkreuz: Warum Potsdam eine Sonderausstellung zur NS-Zeit braucht

Potsdam fehle eine Aufarbeitung und eine umfangreiche Darstellung zur NS-Zeit, mahnen Historiker. Nun kommt Bewegung in die Debatte.

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Potsdam - Potsdam fehlt eine Sonderausstellung, die das Thema Nationalsozialismus in der Stadt umfassend darstellt. Zu diesem Ergebnis kommen übereinstimmend verschiedene Geschichts- und Politikwissenschaftler. Die Landeshauptstadt habe bisher wenig getan, ihre Vergangenheit während der NS-Zeit aufzuarbeiten und die Ergebnisse in der Stadt sichtbar zu machen, so Gideon Botsch vom Moses Mendelssohn Zentrum für Europäisch-jüdische Studien (MMZ). „Potsdam ist für die Nationalsozialisten als Symbol eines Preußen-Mythos von Bedeutung gewesen, so während des Reichsjugendtags der Hitler-Jugend 1932 und während des Tags von Potsdam im März 1933“, erklärte Botsch gegenüber den PNN.

Markus Wicke vom Förderverein des Potsdam Museums hatte unlängst auf einer Diskussionsveranstaltung zum Gedenkkonzept der Stadt kritisiert, dass es keinen systematischen Überblick über die Zeit von 1933 bis 1945 in Potsdam gebe. „Das finde ich ein bisschen verrückt“, sagte er. So sei beispielsweise das jüdische Leben nicht wirklich wahrnehmbar. Wicke regte vor diesem Hintergrund eine Sonderausstellung an, die das Thema Nationalsozialismus in Potsdam umfassend und nicht schlaglichtartig aufarbeite. Auch der Potsdamer Politologe Heinz Kleger hatte bei der Veranstaltung gesagt, dass das Gedenken an die NS-Zeit in Potsdam durchaus umfassender und übersichtlicher sein könnte. Das „Konzept zur Erinnerungskultur in der Landeshauptstadt Potsdam“ sei zwar sinnvoll und nützlich. „Das ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagte Uni-Professor Kleger.

Potsdam hatte wichtige Funktionen für den NS-Staat

Gideon Botsch, der am Mendelssohn-Zentrum mit dem Schwerpunkt Antisemitismus- und Rechtsextremismusforschung arbeitet, erinnerte zudem daran, dass die Stadt Potsdam auch ganz praktische Funktionen für die Verwaltung des NS-Staats gehabt habe: „Für die ideologisch-weltanschauliche Indoktrination und als Militärstandort auch für den Rassen-, Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg.“ Darüber hinaus hätten Industriebetriebe, wie das „arisierte“ Orenstein&Koppel-Werk in Babelsberg, für die Kriegswirtschaft produziert. Botsch betont, dass Potsdam ein Ort nationalsozialistischen Terrors war, wofür nicht nur Erbgesundheitsgericht und Volksgerichtshof stehen würden. „Auf der anderen Seite finden wir aber auch Angehörige des Widerstands, vor allem militärischer und nationalkonservativer Widerstandsgruppen, die einen Bezug zu Potsdam haben“, so der Politikwissenschaftler, der auch Lehrbeauftragter an der Universität Potsdam ist.

Das MMZ hatte in seiner Stellungnahme zum Gedenkkonzept der Landeshauptstadt bereits im Februar 2013 darauf aufmerksam gemacht, dass die „Erinnerung an jüdisches Leben in der Landeshauptstadt deutlich unterrepräsentiert“ sei. „Dieser Zustand hat sich durch die Verlegung weiterer Stolpersteine und die Eröffnung des NS-Teils der Gedenkstätte Lindenstraße nur unwesentlich verbessert“, sagt Botsch nun. Bereits vor zwei Jahren hätten die MMZ-Forscher darauf aufmerksam gemacht, dass der Gebäudekomplex Dortustraße Ecke Brandenburger Straße für ein Gedenken an die Jüdische Gemeinde Potsdams und ihre Vernichtung in den Jahren 1941 bis 1943 gut geeignet wäre. „Es stünde der Landeshauptstadt gut zu Gesicht, wenn sie die Beschäftigung mit dem Thema Nationalsozialismus intensiver fördert“, sagte Botsch den PNN. Eine Ausstellung über „Potsdam im Nationalsozialismus“ wäre ohne Zweifel ein guter Anfang. Die Potsdamer zeit-, militär- und kulturgeschichtlichen Forschungszentren – darunter auch das Moses Mendelssohn Zentrum – könnten an der Erarbeitung beteiligt werden, schlägt der Politikwissenschaftler Gideon Botsch vor.

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Der Historiker Thomas Schaarschmidt vom Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) ergänzte dazu, dass die Teile zum Nationalsozialismus in der Dauerausstellung des Potsdam Museums allein schon aufgrund des geringen Raums, der zur Verfügung stehe, nur eine sehr beschränkte Sicht auf die Potsdamer Stadtgesellschaft in der NS-Diktatur vermitteln würden. Daher sei Markus Wickes Vorschlag für eine Sonderausstellung zur NS-Zeit in Potsdam sehr zu begrüßen. „Sie könnte den Anstoß für eine intensivere Erforschung der Stadtgeschichte geben, an der sich die Potsdamer Forschungsinstitute ebenso beteiligen sollten wie die Universität“, so Schaarschmidt.

Die NS-Geschichte Potsdams sei bisher nur punktuell erforscht. Schwerpunkte würden der „Tag von Potsdam“, Zwangsarbeit, die NS-Rassenhygiene, Justiz, Babelsberg als Filmstadt und mit Abstrichen die Judenverfolgung bilden. „Weiße Flecken gibt es aber hier schon beim Boykott jüdischer Geschäfte am 1.4.1933“, so der Historiker. Da dieser „reichsweit“ angesetzt war und es in Potsdam zahlreiche Geschäfte jüdischer Inhaber gab, könne er nicht spurlos an der Stadt vorübergegangen sein. „Mit diesen Forschungslücken hatten wir auch zu kämpfen, als wir bei der Gestaltung des Ausstellungsteils zum Nationalsozialismus in der Gedenkstätte Lindenstraße versuchten, den Gerichts- und Haftort in den Kontext des NS-Systems in Potsdam einzuordnen“, erinnert sich Schaarschmidt. „Besonders wichtig war uns dabei, die Fixierung der kommunalen Erinnerung an die NS-Zeit auf den 21.3.1933 und den 14.4.1945 zu überwinden.“

Rückstand der Forschung in Ostdeutschland

Auf die Frage, warum die NS-Zeit in Potsdam bisher nur wenig erforscht ist, sagte Schaarschmidt, dass der Forschungsstand zu einzelnen Städten und Regionen in Ostdeutschland uneinheitlich sei. Selbst zu Berlin hätten bis vor Kurzem für wichtige Bereiche wie die kommunale Verwaltung und die nationalsozialistischen Funktionsträger grundlegende Forschungen gefehlt. Diese Lücken seien in den letzten Jahren zumindest teilweise geschlossen worden. „Der Rückstand, den es in Ostdeutschland aufgrund der Blickverengung der NS-Forschung vor 1989/90 gab, ist weitgehend überwunden“, so Schaarschmidt. Wo wie in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg die Initiative ergriffen worden sei, würden heute innovative Untersuchungen vorliegen, die über den regionalen Rahmen hinaus Impulse für die NS-Forschung geben können.

Potsdams Stadtverwaltung teilt indes die Auffassung, dass eine Aufarbeitung und umfassende Darstellung zur NS-Zeit in Potsdam fehle. Das sei auch im Rahmen der Erstellung der Erinnerungskonzeption als Defizit erkannt worden. „Daraus wollen wir die notwendigen Schlüsse ziehen und uns dem Thema intensiv widmen“, sagte Sprecher Stefan Schulz. Derzeit gebe es dazu zwei Ansätze. Zum einen prüfe das Potsdam Museum, ob und wie ein Ausstellungsprojekt zu dem Thema realisiert werden könnte. „Dazu ist aber eine gründliche wissenschaftliche Erarbeitung nötig“, so Schulz. Zum anderen werde im Fachbereich Kunst und Museum in Kürze eine Stelle eines Referenten für Erinnerungskultur besetzt, die unter anderem eine Art Fachaufsicht über die kommunale Stiftung Lindenstraße – zur NS-Zeit Erbgesundheitsgericht und Volksgerichtshof – ausüben soll. Diese könnte in Zusammenarbeit mit dem ZZF und dem Potsdam Museum auch ein solches Projekt zur NS-Zeit in Potsdam umsetzen. „Über beide Ansätze müssen wir uns verständigen“, so Schulz. „In jedem Fall ist das Thema seitens der Stadt erkannt und auf dem Weg.“

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