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Der Rabbiner Walter Homolka über die Ordinierung Potsdamer Rabbiner in Polen, Schuld und Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg und die Renaissance des jüdischen Lebens
Stand:
Herr Homolka, am Dienstag hat das Potsdamer Abraham Geiger Kolleg im polnischen Wroclaw (Breslau) vier Rabbiner und drei Kantoren ordiniert. Am Tag davor jährte sich der deutsche Überfall auf Polen, der den Zweiten Weltkrieg auslöste, zum 75. Mal. Warum haben Sie gerade dieses Datum für die Amtseinführung der Rabbiner gewählt?
Das ganze Jahr 2014 verweist für uns auf Breslau. Vor 160 Jahren wurde dort das Jüdische Theologische Seminar gegründet, in dessen Tradition wir stehen. Dazu kommen der 140. Todestag von Abraham Geiger, der lange in Breslau wirkte, und schließlich das dramatische dritte Datum: der deutsche Überfall auf Polen vor 75 Jahren. Der Erinnerung daran wollten wir einen Schwerpunkt geben, auch für die Breslauer Bevölkerung. Daher haben wir für den 1. September ein Gedenkkonzert mit dem Catori-Quartett des Brandenburgischen Staatsorchesters organisiert. Der Blick soll dabei von der Vergangenheit auch in die Zukunft gehen: Deutschland stellt sich der Schuld des Zweiten Weltkriegs gegenüber seinen Nachbarn. Es trägt aber auch die Verantwortung. Mit der Ausbildungsstätte für Rabbiner in Potsdam wird durch den Bund, die Länder und vor allem Brandenburg ein großer Beitrag zur Renaissance des jüdischen Lebens in Europa geleistet. Insofern schließt sich hier ein Kreis.
In Polen war bis zum Krieg die größte jüdische Gemeinschaft Mitteleuropas zu Hause. Die Deutschen haben dieses Leben ausgelöscht.
Man muss sich bewusst machen: Im heutigen Polen ist auch ein Teil des deutsch-jüdischen Erbes beheimatet. Diese Schnittmenge von polnischer und deutscher Geschichte war in der Vorbereitung der Ordinationsfeier für uns immer präsent. Vor dem Hintergrund der wechselvollen polnischen Souveränität ist es nicht einfach, darauf zu verweisen, dass es hier um polnische und zugleich auch um deutsche Geschichte geht. Auf jeden Fall ist das heutige Polen Kernland des europäischen jüdischen Geisteslebens.
Und gleichzeitig waren in Ostpolen die größten der NS-Vernichtungslager zu finden.
Genau in diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Diese Vernichtungslager befanden sich zwar auf polnischem Gebiet, aber nun mal in deutscher Verantwortung. Bei der Planung der Ordinationsfeier war deutlich zu spüren, was für ein sensibles Thema dies ist. Ich bin daher froh, dass es uns gelungen ist, die polnische Seite eng mit einzubeziehen: Wir blicken in die Vergangenheit, wir schauen aber auch auf das deutsch-polnische Verhältnis und wir setzen ein Zeichen für die Wiedergeburt des jüdischen Lebens in Europa – bei der Deutschland eine wichtige Rolle übernommen hat.
Die Frage des Gedenkens an die NS-Opfer ist in Polen umstritten. Es gab wiederholt Auseinandersetzungen zur Gewichtung zwischen jüdischen und polnischen Opfern.
Deswegen hatten wir das Gedenkkonzert am 1. September musikalisch so aufgebaut, dass sich jeder darin wiederfinden kann. Das Catori-Quartett des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt (Oder) und das Kantorenseminar des Abraham Geiger Kollegs wirkten hier zusammen und spielten für alle. Es war uns wichtig, deutlich zu machen, dass der deutsche Überfall damals insgesamt Leid verursacht hat und wir alle Opfer im Blick haben.
Welche Reaktionen gab es vor der Veranstaltung in Polen?
Sowohl von jüdischer als auch von nichtjüdischer Seite gab es nur positive Resonanz. Es wurde anerkannt, dass wir auf beide Seiten zugehen: Vonseiten der Regierung waren der Staatssekretär für Religionsfragen und der Beauftragte des Außenministers für jüdische Angelegenheiten da. Aber auch der Woiwode von Niederschlesien und der Breslauer Stadtpräsident waren nicht nur Gäste, sondern nahmen großen Anteil im Vorfeld.
In Polen gibt es auch Antisemitismus.
Über 60 Prozent der Polen glauben, dass Juden ihre Opferrolle dazu benutzen würden, daraus heute Kapital zu schlagen. Ebenso viele meinen, Juden hätten zu viel Einfluss in Polen. Und sie glauben, Israel würde einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser führen. Das ist insgesamt natürlich sehr bedenklich bei lediglich 9000 Juden in Polen. Dagegen kann man nur Transparenz und Begegnung setzen. Deshalb haben wir auch ein Jugendtreffen organisiert, um den Begegnungscharakter zu unterstreichen.
Auch in Deutschland gibt es eine Diskussion um zunehmenden Antisemitismus. Inwiefern betrifft das auch die Rabbinerausbildung in Potsdam?
Es hat auch früher schon eine latent antisemitische Stimmung bei 20 Prozent der deutschen Bevölkerung gegeben. Heute scheut sich man aber nicht mehr, auch seinen Namen unter die Schmähbriefe zu setzen, die den Zentralrat der Juden erreichen. Es ist wichtig, hier Flagge zu zeigen: Judenhass hat in Deutschland keinen Platz. Das hat Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede während der Ordination ganz deutlich gemacht: Die deutsche Politik werde sich auch in Zukunft konsequent gegen jeden Antisemitismus richten.
Deutsche Juden werden immer wieder auch auf für Handlungen Israels verantwortlich gemacht.
Wir Juden in der Diaspora sind nicht Vertreter des Staates Israel. Dafür gibt es die Botschaften. Und jüdische Repräsentanten haben stets die Meinung vertreten, dass konstruktive Kritik an Israels Politik möglich sein muss. Gleichzeitig sprechen wir über eine der wenigen Demokratien in der Region. Ringsum versinken Staaten im Chaos oder unterliegen dramatischen inneren Spannungen. Insofern verstehe ich nicht, dass man die Haltung Israels oft zum Anlass nimmt, das Existenzrecht dieses Landes in Zweifel zu ziehen. Da wird mit zweierlei Maß gemessen.
Abraham Geiger hatte bereits 1836 die Gleichstellung der jüdischen Theologen-Ausbildung mit den christlichen gefordert. Knapp 180 Jahre später wurde dies durch die „School of Jewish Theology“ an der Uni Potsdam verwirklicht. Sie hatten großen Anteil daran.
Viele waren daran beteiligt, dass dies gelang. Wenn sich nicht Brandenburg, der Bund und die Kultusministerkonferenz sehr eingesetzt hätten, wäre uns das nicht gelungen. Natürlich hat das Vorhaben auch den Mut erfordert, die Empfehlungen des Wissenschaftsrats von 2010 umzusetzen. Entscheidende positive Signale kamen dabei aus dem Brandenburger Landtag.
Es gab auch Rückschläge.
Das ist ein Phänomen der Demokratie, dass man für sein Anliegen auch Relevanz nachweisen muss. Das erfordert Überzeugungsarbeit.
Gab es auch so etwas wie eine latente Ablehnung der Institutionalisierung der Jüdischen Theologie in Brandenburg?
Das konnte ich nicht feststellen. Da wir aber aus der Bundesförderung kamen, mussten wir in Brandenburg erst für unser Anliegen werben, damit der nächste Schritt gelang: die Institutionalisierung der Jüdischen Theologie an der Universität Potsdam. Hier haben Wissenschaftsministerin Sabine Kunst und Universitätspräsident Oliver Günther an einem Strang gezogen. Und es ist etwas sehr Sichtbares für Brandenburg dabei herausgekommen.
Fast hätte Thüringen das Vorhaben komplett übernommen. Was hielt das Abraham Geiger Kolleg dann doch in Potsdam?
Das Interesse von Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und Oppositionsführer Bodo Ramelow hat dazu beigetragen, dass alle politischen Kräfte in Brandenburg überzeugt werden konnten: Die Rabbinerausbildung Deutschlands muss in Potsdam bleiben. Wir hatten in Potsdam aber auch Rückhalt bei der Wissenschaftsministerin und bei der rot-roten Koalition, ebenso bei der Opposition. Brandenburg musste nicht nur Geld finden, sondern auch gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen. Und die Uni Potsdam hat sich auch sehr bemüht, geeignete Strukturen zu schaffen. Da sind drei Jahre bis zur Projektverwirklichung eigentlich vergleichsweise wenig. In Thüringen sind wir nach wie vor engagiert: Bei der Kantorenausbildung kooperieren wir mit der Musikhochschule Weimar.
Aus Potsdam soll ein neuer, weltoffener Typ von Rabbinern kommen.
In einer Zeit, in der Religion nicht selbstverständlich ist, brauchen wir weltoffene Absolventen. Und an der Uni Potsdam kann im breiten Diskurs Gesprächsfähigkeit eingeübt werden. In einer pluralistischen Gesellschaft ist das eine Grundvoraussetzung für die Ausübung des geistlichen Amts. Wer als Jude nicht über den eigenen Tellerrand schauen kann, ist auch kein guter Rabbiner.
Wie hat sich die Potsdamer Rabbinerausbildung entwickelt?
Die fünfzehn Jahre unseres Bestehens sind eine Erfolgsstory. Unsere Rabbiner und Kantoren arbeiten in jüdischen Gemeinden der ganzen Welt: in den USA und in Israel, aber auch in Frankreich, wo Jonas Jacquelin an die traditionsreiche Synagoge in der Rue Copernic von Paris geht. Julia Margolis wird Rabbinerin in Johannesburg, wo bereits unser Absolvent Adrian Schell arbeitet. Wir haben internationales Terrain gewonnen, aber genauso sind wir in Deutschland präsent, etwa mit Kantor Alexander Zacharenko, der in der Landesgemeinde Thüringen arbeiten wird. Damit beweisen unsere Absolventen auch eine große Bandbreite von jüdischen Traditionen, in denen sie sich zu Hause fühlen und an die sie sich anpassen können.
Und wie geht es weiter?
Diese Arbeit wollen wir konsequent weiterführen, so mit Kooperationen in Polen wie mit Tschechien und Ungarn. Aktuell haben wir aus diesen Ländern auch Studierende, die später helfen sollen, dort jüdisches Leben weiterzuentwickeln. Zentralratspräsident Dr. Dieter Graumann sprach einmal von der Qualitätsmarke „Rabbis made in Germany“. Diese Vision wollen wir umsetzen und damit auch „Botschafter“ ausbilden, die der jüdischen Gemeinschaft in aller Welt ein zeitgenössisches Verständnis von Deutschland vermitteln können. Dass Bundesaußenminister Steinmeier sich zwischen den drängenden Fragen in Syrien, dem Nahen Osten und der Ukraine die Zeit genommen hat, zur Ordination in Wroclaw zu kommen, sehe ich als besondere Würdigung unserer Arbeit. Die Nachfrage nach unseren Absolventen übersteigt das aktuelle Angebot. Das ist aber ein sehr schönes Problem.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
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