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Homepage: „Wir brauchen eine Kultur des Ausprobierens“

Der Soziologe Fritz Reusswig über Folgen des Klimawandels, modische Öko-Autos und klimafreundliche Kartoffelchips

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In Potsdam beschäftigen sich zahlreiche Forscher mit dem Klimawandel und seinen Folgen. Sie arbeiten am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), aber auch bei den Geoforschern, den Polarforschern, den Agrarforschern oder an den Hochschulen. Die PNN stellen die Forscher mit ihren Erkenntnissen, Prognosen und auch Ratschlägen vor. Heute: Dr. Fritz Reusswig vom PIK.

Herr Reusswig, ist der Gesellschaft überhaupt deutlich, welcher Umbruch durch den Klimawandel auf sie zukommt?

Teilweise. Dass es den Klimawandel gibt, ist jetzt durch, auch dass er noch schlimmer werden kann. Wie weit das aber gehen kann, bis hin zu Katastrophen, ist den Leuten noch nicht wirklich klar. Deutlich ist, dass es irgendwie klimapolitisch ernst wird: es gibt die Beschlüsse der Bundesregierung und der EU. Es ist den Menschen aber noch nicht klar, wohin das führt und was das für sie bedeutet.

Stecken wir den Kopf in den Sand oder vollziehen wir die Veränderungen vielmehr im Schneckentempo?

Auch hier: teilweise. Es gibt Milieus und Gruppen, die sehr aktiv sind, etwa ihre Häuser umrüsten oder Flüge kompensieren, das sind die Öko-Pioniere. Sie sind aber noch eine Minderheit, bei den anderen überwiegen Unsicherheit und Einzelmaßnahmen. Hier ist die Politik gefordert. Man wird den Menschen klar machen müssen, dass es eine Lastenteilung geben muss, und dass alle ihren Teil zum Klimaschutz beitragen müssen. Die Industrie allein kann es nicht richten.

Macht Aktionismus Sinn, etwa Lichtabschalten für den Klimaschutz?

Aktionen sind gut, Aktionismus ist schlecht. Dafür brauchen die Menschen klare Vorgaben. Sie müssen verstehen, wo die Reise hingeht: 20, 40 oder gar 80 Prozent Emissionsreduktion machen ja schon einen Unterschied. Es muss auch kommuniziert werden, dass es sich beim Klimaschutz um ein erfolgversprechendes Projekt handelt. Was die Bundeskanzlerin ja auch schon macht. Das Gefühl, dass morgen die Ziele wieder andere sind, muss vermieden werden. Und natürlich brauchen wir langfristige Investitionen im Energie- und Bildungsbereich.

Was fehlt in Deutschland also?

Weder Aktionismus noch der ausgeklügelte Masterplan, sondern eine Kultur des sozio-technischen Experiments. Es gibt derart viele Lösungsansätze, dass noch nicht genau klar ist, was sich am Ende durchsetzen wird. Deshalb brauchen wir auf lokaler Ebene eine Art des Ausprobierens, wo man im Kleinen erkennen kann, was funktioniert und was nicht. Wenn man das gleich auf großer Skala machen würde, dann hätte man beim Scheitern einen großen Fehler gemacht, mit allen finanziellen und übrigens auch psychologischen Folgen. Dann fehlt die Kraft zu neuen Versuchen. Für eine Kultur des Ausprobierens gibt es mittlerweile viele Vorschläge, von sehr konkreten Dingen im privaten Haushalt bis hin zum Städtebau.

Klimaschutz ist ein sensibles Thema. Wird es richtig kommuniziert?

Bundeskanzlerin Merkel hat versucht, das Thema ins Positive zu wenden und eine Erfolgsgeschichte zu erzählen. Sie hat die Sache sehr ernst genommen, Chefinnensache sozusagen, und kommuniziert, dass die Politik sich darum kümmert. Auch haben Teile der Wirtschaft das Thema positiv aufgegriffen. Das ist gut und richtig. Das hatte man zuvor von Rot-Grün und insbesondere von Kanzler Schröder so nicht gehört. Die Gefahr dabei ist aber, dass aus Angst, die Konsumenten und Wähler zu verschrecken, die Öffentlichkeit den Eindruck bekommt, man müsse kaum etwas machen, außer ein paar Energiesparlampen zu kaufen, den Rest machen VW, Vattenfall und Co. Das ist verkehrt. Das 40-Prozent-Reduktionsziel bis 2020 mit seinem Maßnahmenpaket könnte sich so erreichen lassen.

Es geht aber noch weiter.

Die Kanzlerin spricht nun schon davon, dass wir für einen globalen Erfolg beim Klimaschutz längerfristig bei minus 80 Prozent Emission landen müssten. Das ist eine steile Zielvorgabe, das lässt sich mit dem derzeitigen Instrumentarium wahrscheinlich nicht erreichen. Dabei muss man dann an den Lebensstil und die Konsumgewohnheiten ran.

Änderungen im Lebensstil dürften schwer fallen.

Darin tun wir uns alle schwer. Gewohnheiten zu ändern ist ein Grundproblem, etwa bei Diäten oder Suchtverhalten. Deshalb finde ich gerade den Gedanken der Experimente gut, die im kleinen Rahmen eine Sichtbarkeit schaffen und als Vorbild dienen können. Auch wenn man nicht über größere finanzielle Möglichkeiten verfügt, kann man so einen Nischenmarkt schaffen, der die ersten Investitionskosten senkt, damit es für die Nachfolgenden leichter wird.

Ein Beispiel bitte.

Das europäische Emissionshandelssystem hat zwar noch einige Fehler, aber es funktioniert schon für Unternehmen. Privatleute können nicht mit Emissionsrechten handeln, es sei denn man findet ein Schlupfloch wie etwa die Initiative TheCompensators.org. Man könnte sich überlegen, CO2-Zertifikate für Privathaushalte einzuführen. Jeder könnte sich dann aussuchen, ob er die Zertifikate, die ausgegeben werden, für Mallorca oder sein Haus oder das Auto nutzt.

Mit welchem Effekt?

Dann müssen sich die, die mehr Treibhausgas emittieren wollen – oder müssen – ihre Rechte bei denjenigen kaufen, die weniger verbrauchen: man denke etwa an Ältere oder Hartz-IV-Empfänger oder an die Ökopioniere. So entsteht eine Kohlenstoff-Gerechtigkeit. Das System würde ich als freiwilliges System auf der Ebene von Städten vorschlagen. Alle, die weniger emittieren, könnten dabei verdienen, weil sie sich die Rechte abkaufen lassen können. Dafür wird man bestimmt Interessenten finden. Gerade die Klientel im unteren sozialen Bereich, in dem die Sympathie für den Klimaschutz aus Kostengründen sehr gering ist, würde man auf diesem Wege mit ins Boot holen.

Finden sich Leute, die freiwillig zahlen?

Ich würde sagen, es findet sich immer eine kleine kritische Masse, die bereit ist, für ihr schlechtes Gewissen etwas zu zahlen, momentan etwa über Spenden oder Kompensationszahlungen. Wenn die über moderate Beträge einsteigen, entstehen kleine Netzwerke. Es könnte sich herausstellen, dass dies eine Dynamik in den Konsum- und Lebensstil moderner Gesellschaften bringt, die auch aus anderen Gründen – etwa Lebensqualität oder Vereinfachung – attraktiv ist. So etwas gibt es schon in Großbritannien in kleinen Gemeinden. In New York probieren es gerade erste kleine Zirkel aus.

Sie setzen also auf Freiwilligkeit?

Ich bin nicht gegen eine Regulierung über die Gesetze. Aber freiwillige Projekte sollten dies ergänzen und vielleicht auch den Anstoß geben. Ein gutes Beispiel dafür wäre etwa das CO2-Label. Unternehmen weisen auf einem kleinen Etikett auf ihren Produkten aus, wie viel Gramm Kohlendioxid durch Produktion und Transport entstanden sind. Menschen mit Klimabewusstsein könnten ihre Besorgnis dann auch am Markt ausdrücken und etwa Kartoffelchips kaufen, deren Herstellung weniger CO2 verursacht hat. Das gibt es für Chips und Shampoo von Carbon Trust schon in Großbritannien. Wir sind derzeit an einer Diskussion darüber beteiligt, wie man das auch in Deutschland einführen könnte. Das Label wäre ein perfektes Instrument, um die vorhandenen Potenziale für eine CO2-Reduzierung auszuschöpfen – was übrigens auch Kosten spart.

Sie sind Soziologe, der Klimawandel ist eigentlich eher ein Thema der Naturwissenschaften

Nein, das sehe ich nicht so. Das PIK betreibt Klimafolgenforschung. Der Klimawandel ist ein Hybridobjekt, gemischt aus Gesellschaft und Natur, er lässt sich naturwissenschaftlich alleine nicht erklären, etwa die Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Wir schauen auch auf die gesellschaftlichen Gruppen und Akteure und welchen Handlungsspielraum die haben. Das Thema Anpassung wird zunehmend wichtig, und dabei muss man auch verstehen, wie eine Gesellschaft „tickt“. Eine Schlüsselfrage bei all dem ist: wie schnell kann eine Gesellschaft lernen? Was behindert die Verbreitung von Neuerungen, was muss getan werden, um diese Barrieren abzubauen? Das alles sind sozialwissenschaftliche Fragen, die in interdisziplinärer Zusammenarbeit geklärt werden müssen. Und das ist die Kernaufgabe des PIK seit seiner Gründung. Heute mehr denn je, weil der Klimadiskurs sich gewandelt hat.

Es gibt auch Gruppen, denen eine Endzeitstimmung gelegen kommt.

In Deutschland ist der Klimawandel immer schon mit Untertönen des Katastrophismus kommuniziert worden, vor allem von einigen Massenmedien. Das hat vorhandene Ängste in der Bevölkerung verstärkt. Katastrophismus können wir nicht gebrauchen, wohl aber die nüchterne Bereitschaft, mögliche Katastrophen rechtzeitig abzusehen. Die Mehrheit der Klimaforscher ist um Sachlichkeit bemüht. Viele Klimaskeptiker dagegen tragen ihren Namen zu Unrecht, sind sie sich doch völlig sicher, dass es einen anthropogenen Klimawandel nicht gibt. Das halte ich für unverantwortlich. Gottseidank ist der deutsche Klimaskeptizismus aber weitaus schwächer und zahmer als etwa der US-amerikanische.

Die nächsten Schritte?

Wir brauchen ein Versachlichung über die Ursachen des Klimawandels und eine nicht-hysterische Diskussion über Industriepolitik und Verhaltensänderungen – übrigens auch über Gewinner und Verlierer einer erfolgreichen Klimapolitik. Der Zeitrahmen dafür sind zehn, 15 Jahre. Das halte ich für machbar. Wir müssen nicht morgen alles ändern. Wichtig ist, dass wir uns diesen Zeitrahmen geben und jetzt erste Schritte machen.

Zehn Jahre ist ein relativ kurzer Zeitraum für ganz grundlegende Veränderungen.

Immerhin länger als eine Legislaturperiode. Vor zwei Jahren hätten wir kaum diese Querschnittsaufgaben in den Ministerien gesehen, die nun auf den Tischen liegen. Es gab hier einen großen Lerneffekt. Ich bin eher optimistisch, dass wir in diesem Zeitraum zum Ziel kommen.

Auch zum Umbruch in der Gesellschaft?

Ich halte es für möglich, wobei ein Schuss Zweckoptimismus dabei ist. Die Verkaufszahlen für SUV-Geländewagen sind 2006 so hoch gewesen wie nie, trotz Benzinpreiserhöhung. Bei solchen Autos spielt das Image eine größere Rolle als der Spritpreis. Aber da gibt es ja mittlerweile auch einige Risse. Die SUVs werden uncool. Und wenn die Fahrzeugindustrie dann nach neuen Strategien, etwa auch Elektroautos sucht, und die dann plötzlich gut aussehen und hip werden, dann kann sich durchaus etwas ändern.

Wie wird ein Öko-Auto hip?

Klimaverträgliche Produkte müssen ein attraktives Design haben, dann passen sie zum Lebensstil, das könnte den Prozess sehr beschleunigen. Daher begleiten wir mit unserer Forschungsarbeit das Thema Kunst und Design auch sehr aufmerksam. Es geht nicht nur um Kosten und Effekte der Produkte, sondern auch darum, wie die aussehen und ob die zu den Menschen passen. Das interessiert bislang noch kaum jemanden. Daher bin ich auch als Dozent für Design aktiv. Wir gehen jetzt verstärkt in die Phase, Experimente zu begleiten. Überall, wo etwas Interessantes passiert, versuchen wir uns dran zu heften um zu sehen, wie funktioniert Innovation und ihre Diffusion, wer sind die Akteure, was sind die Bedingungen für das Funktionieren. Dann können andere schnell davon lernen. Das gilt natürlich besonders in Städten, den „Laboren“ der Moderne. Warum keine Null-Emissions-Siedlung in Tempelhof?

Und wenn sich nichts ändert?

Die Gefahr, dass die Menschen irgendwann sagen, es reicht mit dem Klimaschutz, würde ich mit zehn Prozent beziffern. Das hängt von vielen Faktoren ab, etwa auch wie es in den USA weiter geht. Ich bin aber auch hier optimistisch. Nach der US-Präsidentenwahl wird es eine bessere Klimapolitik der USA geben – wenn kein großer Terroranschlag kommt. Dann gibt es wieder einen klimapolitischen Wettbewerb zwischen Europa und USA. Und dann kommen wir alle voran. Auch China wird sich einer neuen transatlantischen Dynamik nicht entziehen können, weder politisch noch wirtschaftlich.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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