Landeshauptstadt: Zwischen Champagner und Partykiller
Parteien erwarteten mit Spannung die ersten Hochrechnung und feierten – auch wenn sich nicht alle Hoffnungen erfüllten
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Parteien erwarteten mit Spannung die ersten Hochrechnung und feierten – auch wenn sich nicht alle Hoffnungen erfüllten Die Prognose von 18 Uhr erweist sich beim CDU-Wahlfest in der Landeszentrale als Partykiller erster Güte. Vorab noch gute Stimmung: Es gibt belegte Brötchen, Bier im Überfluss, dazu orange-farbene Luftballons und blaue CDU-Papierblumen. Stadtfraktionschef Götz Th. Friederich hofft „Schwarz-Gelb muss es machen“, der Direktkandidatin Katherina Reiche wünscht er „ein gutes Ergebnis“, sie habe viele Jahre fleißig für ihren Wahlkreis gearbeitet. Indes spielen die Kinder der CDU-Fans mit den Luftballons, der eine oder die andere gießt sich schon einmal ein Bier ein. Es herrscht Wechselstimmung. Mitglieder der jungen Union tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Friedrich Merz – einer, der bewegt“ und sind bestens aufgelegt. Dann schlägt es 18 Uhr. Die Prognose gibt Auskunft, es reicht nicht mehr für rot-grün aber auch nicht für Schwarz- gelb. Der Beifall ist verhalten, hier und da ziehen Enttäuschte einen Flunsch. Die Potsdamer Christdemokraten hätten mehr erwartet. Friederich fängt sich, immerhin, die CDU wird stärkste Fraktion, die Menschen hätten „ja“ gesagt zu Angela Merkel. Gerhard Schröder habe es wissen wollen und die Antwort bekommen – „nein“. Anerkennung spricht Friederich der FDP aus. Doch acht Prozent für die Linke.PDS unter „dem Salonbolschewiken Lafontaine“? „Erschreckend“, findet er. Indes wird die CDU-Spitzenkandidatin Brandenburgs vermisst. Katherina Reiche ist nicht da. CDU-Fraktionsvorsitzende Thomas Lunacek weiß auch nicht wo sie ist und muss die Ansprache selbst übernehmen. „Merkel hat auf jeden Fall den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten“, sagt er. Ein Zwischenrufer orakelt, „denkt an 2002!“. Dann erscheint Katherina Reiche, sie war noch in Werder, später werde sie nach Berlin weiterfahren. „Ich arbeite mich von unten nach oben“, scherzt sie. * * * Der Jubel ist groß als die ersten Wahlprognosen von ARD und ZDF im Restaurant „Fliegender Holländer“ zu sehen sind: die FDP erhält 10,5 Prozent der Zweitstimmen. Wirklich überrascht scheinen die Potsdamer Liberalen über dieses Ergebnis nicht zu sein. „Überrascht bin ich nicht, sondern hocherfreut. Das Feedback, das ich während des Wahlkampfes auf der Straße bekommen habe, ließ ein gutes Ergebnis erwarten“, sagt Mario Göttling, Direktkandidat des Wahlkreises 56. Die FDP-Mitglieder stoßen auf „eines der besten Ergebnisse in der Geschichte der Freien Demokratischen Partei“ an und sind sich einig, dass man mit dem Erreichten sehr zufrieden sein könne. Als einzige Partei, die einen programmatischen Wahlkampf geführt habe, hätten sich die freien Demokraten durchgesetzt, so FDP-Mitglied Andreas Wolter. Das Abschneiden der CDU scheint jedoch die Freude über das eignene Ergebnis ein wenig zu dämpfen. Im Fernsehen wird unterdessen spekuliert: Wer kann und will mit wem regieren? Alle nur erdenklichen Koalitionsmöglichkeiten werden in Betracht gezogen. Im Fliegenden Holländer jedoch stellt sich die Frage nach Koalitionen mit anderen Parteien abseits der CDU nicht. „Sollte es nicht für die Regierungsmehrheit mit der CDU reichen, gehen wir mit fliegenden Fahnen in die Opposition“, sagt der stellvertretende Kreisvorsitzende der Potsdamer FDP Ulrich Gorgs selbstbewusst. Alles andere sei unglaubwürdig und würde den gesamten Wahlkampf in Frage stellen, so Gorgs. * * * Kurz nach halb sechs ist Andrea Wicklein im Babelsberger Thalia-Kino. Ihr Lächeln wirkt angestrengt. Dabei hat sie sich über den Tag entspannt. Sagt sie. Noch steht nur ein Glas Wasser auf dem Tisch, für eine Feier mit Rotwein ist es ihr zu früh und unsicher. Auch die anderen rund 70 SPD-Anhänger sind angespannt, als es nur noch 30 Sekunden sind bis zur 18 Uhr-Prognose sind. Dann, der rote Balken wächst und bleibt bei 34 Prozent für die SPD stehen. Keine Reaktion. Als dann die CDU nur 35,5 Prozent prognostiziert werden, bricht nach sekundenlangem Erstaunen Jubel aus. Mit der FDP-Schätzung ist klar: Schwarz-Gelb hat es nicht geschafft, die Sozialdemokraten feiern. Andrea Wicklein erklärt kurz darauf, „die CDU hat auf das falsche Pferd gesetzt“. Und auch wenn Wicklein sagt, sie sei siegessicher. Sicher wirkt sie nicht. Aufgeregt dreht sie sich um nach den SPD-Boten, die an den Computern auf erste Ergebnisse aus dem Wahlkreis warten. Währenddessen wird das SPD- Ergebnis realistisch betrachtet bis gutgebetet: „Klar, wir haben Prozente verloren“, sagt Potsdams SPD-Fraktionschef Mike Schubert. Potsdams Geschäftsführer der Sozialdemokraten Klaus Ness findet es hingegen „sensationell“, wie die CDU eingebrochen ist. Für Andrea Wicklein sind es spannende Minuten. Dann die ersten Wahlkreiszahlen. Der Vorsprung ist groß, über zehn Prozent. Wicklein strahlt und erstmals wirkt das Lächeln echt. Sie ist erleichtert, auch wenn noch lange nicht alle Wahllokale ausgezählt sind. Andrea Wicklein freut sich – still; zusammen mit ihrem älteren Bruder Michael Köhler und Oberbürgermeister Jann Jakobs. Letzterer freut sich so sehr, als habe er selbst den Sieg errungen. Andrea Wicklein hingegen ordert leise ein Glas Wein. Sie hat es geschafft. * * * Der lauteste Jubel ertönt bei den Anhängern der Linkspartei.PDS, als im Wahlquartier in den Bahnhofspassagen die ZDF-Hochrechung von 19 Uhr auf der Großleinwand auftaucht: 8,5 Prozent - „jawoll“, schmettert Hans-Jürgen Scharfenberg, Potsdams PDS-Fraktionschef und Landtagsabgeordneter. In diesem Moment ist die Stimmung richtig gut unter den Linken, die sich in dem Bahnhofraum drängen. Applaus, den hatte es natürlich auch gegeben, als um 18 Uhr bei der ersten Prognose eine 7,5 für Linkspartei.PDS stand. Doch scheinbar hatte die Anhängerschaft noch größere Erwartungen gehegt – im Kopf die Umfragewerte des Wahlkampfbeginns, die die Linkspartei zweistellig zeigte. Zur absoluten Euphorie jedenfalls lassen sich die meisten Gäste im Wahlquartier nicht hinreißen. Vielleicht auch, weil im Laufe des Abends immer deutlicher wird, dass man in Brandenburg wenige Direktmandate holen würde. Oder die Allianz mit der WASG und Oskar Lafontaine doch einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt: Als der Ex-SPD-Chef im Fernsehen auftaucht, gibt es keinen Beifall. Für Lothar Bisky und Gregor Gysi schon. Mit rund 50 Sitzen im Bundestag, frohlockt Scharfenberg, werde man den „linken Ansatz“ vertreten und eine „Stimme für den Osten“ sein. Die Frage, wer regieren wird, scheint im Wahlquartier eher zweitrangig. „Große Koalition“, vermutet ein Ehepaar. Dass die Linken in Brandenburg mit knapp 26 Prozent deutlich vor der CDU liegen – die Christdemokraten kommen laut Hochrechnung auf 20 Prozent – lässt die Anhänger nochmal jubeln. Und Scharfenberg entfährt: „Mit 20 Prozent ist Schönbohm erschossen.“ Erst um kurz nach halb Acht taucht Rolf Kutzmutz, Direktkandidat im Potsdamer Wahlkreis, in den Bahnhofspassagen auf. Begrüßt wird er mit frenetischem Jubel – dass er gegen Andrea Wicklein (SPD) verloren hat, wissen die meisten in diesem Moment schon. Beifall als Trost. „Ich fühle mich gut“, sagt Kutzmutz. * * * Etwa 30 Mitglieder der Brandenburger WASG feiern in Potsdam den Einzug der Linkspartei.PDS in den Bundestag. „Wir fühlen uns als Champions“, sagt der Landesvorsitzende der WASG Herbert Driebe. Einer Regierungskoalition – „egal wie die aussehen mag“ – gibt Driebe keine Chance, die Legislaturperiode zu überstehen. „Wir bereiten uns jetzt schon auf die nächsten Bundestagswahlen vor.“
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