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Das neue Zentrum für Jüdische Studien soll den Austausch zwischen den Religionen fördern
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Dies sei ein ganz besonderer Moment in der Geschichte Deutschlands und der deutschen Wissenschaft. Das sagte die renommierte US-Professorin für Jüdische Studien Susannah Heschel zur Eröffnung des neuen Zentrums für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg unter Potsdamer Beteiligung am Mittwochabend in Berlin. Sie dachte dabei an ihren Vater Abraham Joshua Heschel, der im Berlin der 20er Jahre an der privaten Hochschule für Wissenschaft des Judentums studierte, bevor er vor den Nazis fliehen musste. Und sie dachte dabei an Abraham Geiger, der bereits 1836 eine jüdische Fakultät an einer deutschen Hochschule forderte. Was der preußische Staat wiederholt ablehnte.
Die Eröffnung des länderübergreifenden Zentrums für Jüdische Studien (ZJS) kommt einer solchen Fakultät zwar nicht gleich, doch im Potsdamer Umfeld des Zentrums wird seit einiger Zeit die Gründung einer Fakultät für jüdische Theologie an der hiesigen Universität erwogen. Es wird noch verhandelt, es könnte auch eine Einrichtung mit nur fakultätsähnlichem Charakter werden. Aber die vom Wissenschaftsrat geforderte Gleichstellung der anderen Theologien gegenüber der christlichen Hochschulausbildung könnte in Bezug auf das Judentum in Brandenburg tatsächlich ihren ersten Niederschlag finden.
Was in der Republik nicht nur mit Wohlwollen beobachtet wird. So sagte der Prorektor der traditionsreichen Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, Johannes Heil, zur Eröffnung des ZJS, dass die Bedeutung der Jüdischen Studien verringert würde, wenn man sie nun theologisiere und damit einenge. Ein deutlicher Wink nach Potsdam und Berlin: „Das neue Zentrum muss konsequent offen und ohne Reduktion auf eine wie auch immer verstandene Theologie wirken.“ Heil warnte vor der „Ausgrenzung der orthodoxen Antworten“. Auch die Festrednerin Susannah Heschel mahnte, dass sich die Jüdischen Studien nicht auf sich selbst beschränken sollten, sondern auch die Wechselwirkungen mit den anderen Religionen reflektieren sollten.
So soll das Zentrum, das im kommenden Wintersemester seine Arbeit aufnehmen wird, auch angelegt sein. Die Forschungsstätte soll nach Vorstellungen der Humboldt Universität verschiedene Disziplinen bündeln und den islamisch-jüdisch-christlichen Austausch fördern. Eine Konkurrenzsituation mit der Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien erwartet Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) nicht, vielmehr könnte der eine Standort vom anderen profitieren. Mehrfach sprach sie an diesem Abend von der geplanten Zusammenarbeit des neuen Zentrums mit Heidelberg.
Während Brandenburgs Wissenschaftsministerin Sabine Kunst (parteilos) angesichts der geplanten Zusammenarbeit von nichtkonfessionellen mit konfessionellen Wissenschaftlern von einer Herausforderung spricht, sieht Schavan vor allem die Chancen. Durch diese Interkonfessionalität könnte sich das Konfliktpotenzial der Religionen entschärfen, dass in der europäischen Geschichte bislang fortwährend Unfrieden stiftete. „Die Beschäftigung mit Religion braucht die Wissenschaft zur Klärung und Aufklärung“, so Schavan.
Jüdische Studien in Deutschland sind 70 Jahre nach dem Holocaust nicht ohne den düsteren Subtext des Judenmords zu buchstabieren. Die an dem Zentrum beteiligten Institute und Hochschulen wollen es sich daher auch nicht anmaßen, den Abgrund, den die Shoah gerissen hat, zu überbrücken, hieß es von der Humboldt Universität. Dennoch: In der Region Berlin würden allerorten Erinnerungen an die deutsch-jüdische Symbiose der Vorkriegszeit wach. Die Forschung wolle dies nun zugänglich machen – für die Wissenschaft wie auch für die Öffentlichkeit.
Das neue Gemeinschaftsprojekt der Universität Potsdam mit den drei großen Berliner Universitäten sowie dem Potsdamer Rabbinerseminar Abraham-Geiger-Kolleg und dem Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam stellt die Nachwuchsförderung in den Mittelpunkt. Schwerpunkte der angehenden Wissenschaftler sollen folgende Bereiche sein: „Von der Jüdischen Aufklärung über die Entstehung der Wissenschaft des Judentums zu den Jüdischen Studien – in Preußen, Berlin und Brandenburg“, der Trialog zwischen Judentum, Christentum und Islam sowie die „Zeugenschaft – Memorialgeschichte (nach) der Shoah“. Das Bundesforschungsministerium fördert das Zentrum zunächst bis 2017 mit knapp sieben Millionen Euro.
Das Abraham-Geiger-Kolleg bekommt durch die zusätzliche Bundesförderung eine Professur für jüdische Bibelexegese und eine in Weimar angesiedelte Professur für jüdische Musik. Die vier Universitäten erhalten zusätzlich drei Juniorprofessuren, fünf Post-Doc-Stellen und neun Doktorandenstellen. Mit weiteren Gastprofessuren soll der internationale Austausch unter anderem mit den USA, Israel, Frankreich und den GUS-Staaten gefördert werden. Akademische Leiterin des Zentrums ist die Kulturtheoretikerin Christina von Braun von der Humboldt-Uni. Neben dem dezidiert liberal ausgerichteten Abraham-Geiger-Kolleg soll es innerhalb des Zentrums für Jüdische Studien eine Ausbildungsstätte für konservative Rabbiner geben, die neben den Orthodoxen eine Mittelposition einnehmen. Entsprechende Verhandlungen seien „weit gediehen“, sagt Braun.
„Mit dem Zentrum entsteht im Zusammenschluss wissenschaftlicher Institutionen in Berlin und Potsdam ein national einzigartiger interdisziplinärer Forschungscluster“, sagte Oliver Günther, Präsident der Universität Potsdam zur Eröffnung am Gendarmenmarkt. Er sprach von einer klugen Bündelung der in der Region vorhandenen Kompetenzen. Er erwartet, dass das Zentrum sich zu einem Trumpf für Berlin-Brandenburg entwickelt. „Es wird schnell zu einer eigenen Identität finden und international sichtbar werden“, so Oliver Günther.
Die Gründung des Verbundes geht auf eine Empfehlung des Wissenschaftsrates von 2010 zurück. Das Gremium hatte Bestrebungen unterstützt, das religiöse Personal für jüdische Gemeinden liberaler, konservativer und orthodoxer Prägung in Deutschland an den Universitäten auszubilden. Das ZJS will nun der Vernetzung von trans- und interdisziplinären Ansätzen in Geschichte, Philosophie, Judaistik, Theologie, Literatur- und Musikwissenschaften, Kunstgeschichte und Antikengeschichte“ dienen.
An die lange Tradition jüdischer Gelehrsamkeit in Berlin und Potsdam erinnerte schließlich Bundesforschungsministerin Schavan. Dort sei das gesamte Spektrum der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Judentum vertreten. Alles zusammen ergänze sich gut. „In Berlin und Brandenburg gab und gibt es die größte Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland“, so Schavan. „Deshalb unterstützen wir das Zentrum.“ Es werde der Ausbildung von Kantoren, Rabbinern und Wissenschaftlern einen wichtigen Schub geben und international Ausstrahlung entfalten.
Das sieht der Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums Potsdam Julius H. Schoeps ähnlich. Er erwartet, dass das Zentrum die Region für in- und ausländische Studenten und Wissenschaftler noch attraktiver machen wird. An diesem Abend saß er in der ersten Reihe und schwieg. Kaum einer wird noch daran gedacht haben, dass er es war, der vor über zehn Jahren als erster eine berlin-brandenburgische Fakultät für Jüdische Studien angeregt hatte. Was damals auf wenig Gegenliebe stieß. Es musste erst der Wissenschaftsrat kommen, um die Sache in Bewegung zu bringen.
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