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Brandenburgs Lotto-Kunstpreis-Täger: Abgegrenzt

Zwischen Bodenständigkeit und eiskaltem politischem Kalkül: Die Lotto-Kunstpreisträger für Fotografie und Literatur im Haus der Brandenburgisch- Preußischen Geschichte

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Der Gegensatz könnte kaum größer sein: Auf der einen Seite wird die handverlesene eigenwillige Schönheit des Zucchini, Porrees oder Selleries beschworen, auf der anderen die kalte menschenverachtende Technik in Szene gesetzt, mit der sich Europa abschottet. Einfache, dem nährenden Erdboden entnommene Gewächse treffen auf Auswüchse politischen Kalküls. Es sind die beiden Sieger des Lotto Brandenburg Kunstpreises 2013, die mit ihren Fotografien in sehr unterschiedliche Welten führen und sie in der heute Abend beginnenden Ausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte aufeinanderprallen lassen.

Ingar Krauss ist der Gärtner. Er züchtet in seinem Garten im Oderbruch das Gemüse selbst, bevor er es auf die Bühne hebt. In seinem Atelier arrangiert er die einzelne Lauchzwiebel mit dem abgeknickten zu schweren Blütenkopf, als wäre sie ein zartes menschliches Wesen, das die Bürde des Lebens nicht mehr tragen kann. Die drei gekrümmten Gurken schmiegen sich wie Geschwister aneinander und geben sich Halt. Pilze formieren sich zu einer gut geerdeten Gemeinschaft. Krauss behandelt jede einzelne Pflanze wie ein Modell, das er porträtieren möchte. Er breitet vor ihnen Erde aus, der Hintergrund ist mit schwarzem Stoff abgehängt. Es gelingt dem Fotografen in dieser kleinen Guckkastenbühne eine große Konzentration auf das Wesenhafte. Seine Charakterstudien zeigen Anmut und Eleganz, gedrungene Kraft und auch die Dynamik dieser Schöpfungen – festgehalten in Schwarz-Weiß und mit vielen Grautönen.

Kraus, Jahrgang 1965, ist Autodidakt. Er hat sich seine an die altmeisterliche Malerei orientierende Art des Fotografierens selbst erarbeitet. Inzwischen kann er davon leben. Zuvor verdiente er sich als Betreuer in der Psychiatrie Geld dazu. Die Idee zu seiner Serie „Natura Mortes“ kam ihm im Künstlerhaus Wiepersdorf, in dem er vor drei Jahren ein Stipendium hatte. Dort schlenderte er durch Kleingärten, hatte Zeit, Früchte, Gemüse und andere Gewächse genauer zu betrachten. Inzwischen ist der Berliner mit seiner Frau und den zwei Kindern Landmensch geworden. Jeden Tag zieht es ihn in den Garten. Er muss in der Erde wühlen, etwas wachsen sehen. Und schließlich die fragile Ernte konservieren, bevor er sie verspeist.

Julian Röder ist der klar strukturierte Denker, der mit seiner Serie „Mission And Task“ eine dokumentarische, künstlerisch ausgereifte Geschichte erzählt, für die er viele Genehmigungen einholen musste. Zum Beispiel, um die Hochleistungskamera an einem Zeppelin zu fotografieren, die alles aufnimmt, was an den Außengrenzen der Europäischen Union (EU) passiert. Frontex, eine vom EU-Parlament beauftragte und finanzierte Agentur, betreibt diese Anlagen zur Sicherung der Grenzen. Sie koordiniert auch den Pool an Beamten, der immer dort eingesetzt wird, wo ein Mitgliedsstaat dem Emigrationsdruck nicht gerecht wird, wie derzeit in Griechenland. Frontex arbeitet auch an einem Projekt, das erforscht, wie man den Mittelmeeer-Raum lückenlos überwachen kann, sodass alle Flüchtlinge registriert werden. „Man will die Flüchtlinge schon zur Umkehr bewegen, bevor sie die EU-Grenzen erreichen. Denn sind sie erst einmal im EU-Bereich, haben sie die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen“, so Julian Röder. So wurden 2008 im Rahmen der Frontex-Missionen Hera 5969 Menschen in den Hoheitsgewässern vom Senegal und Mauretanien abgefangen und zurückgeschickt.

Julian Röder, Jahrgang 1981, geht es um das Aufzeigen einer Verantwortungsentfremdung durch die Technik. „Wenn man den Menschen nur aus weiter Ferne durch die Kamera sieht, ist es emotional nicht so kompliziert, Entscheidungen zu treffen, als wenn man ihm direkt gegenübersteht.“ Er fotografierte einen hoch technologisierten Zaun an der Grenze der spanischen Enklave Melilla: Ein System aus festziehenden Stahlseilen fesselt dabei selbsttätig Menschen, die versuchen den Zaun zu überwinden. Die Überwachung erfolgt per Video. Wird Alarm ausgelöst, rücken die Beamten aus und sammeln die Schwerverletzten ein, um sie ins Krankenhaus zu bringen.

Julian Röder, seit 2004 Mitglied von „Ostkreuz“, der-Berliner Agentur der Fotografen, fügt in seinen Bildern Teil für Teil aneinander, um eine komplexe Sicht auf die Abschottung der Grenzen der Europäischen Union zu werfen.

Eingebettet in diese sehr unterschiedlichen fotografischen Sujets ist die lakonische und rebellische, präzise und hochempfindsame Lyrik der Literaturpreisträger Tom Schulz und Björn Kuhligk, der man an Hörstationen und heute zur Vernissage live lauschen kann. In „Bosporus“ beschreibt auch Kuhligk die auseinanderdriftende Welt:

„Zwischen Asien und Europa brüllt

die Sonne, links ein Teetrinker

rechts ein Videotourist, Käpt’n

mein Käpt’n, was haben wir hier

Wasser, nichts als Wasser, und Häuser

am Wasser errichtet, ich träumte, dass

der Große Bär aus einer Wasserpfeife

zwei Abfallhütten baute

vom Dach sehen wir nachts

die Lichter flackern, als Welt-, Wald-

und Wiesen-Menschen erkennen wir

die Rinde, die Sorgenlampe brennt.“

Eröffnung heute, 19 Uhr im HBPG, Am Neuen Markt 9, zu sehen bis 29.September

FÜR ZWEI SPARTEN

Preisgeld

Für jede Kunstform wird jährlich ein Preisgeld in Höhe von 10 000 Euro ausgelobt. Die Berliner Lyriker Björn Kuhligk und Tom Schulz erhielten jeweils 5000 Euro, die Fotografen Ingar Krauss und Julian Röder je 6000 und 4000 Euro. Die Ausschreibung erfolgt für jede Kunstform getrennt, ebenso die Bewertung durch zwei Fachjurys. Der Kunstpreis wird seit 2004 ausgelobt.

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