
© Benedikt Partenheimer
Von Dirk Becker: Auf der Suche nach den Bodyguards
Die Ausstellung „Kunstpreis Literatur Fotografie 2009“ macht es dem Besucher nicht gerade leicht
Stand:
Die Männer sind verschwunden. Gut, es gehört zu ihrem Job, sich im Hintergrund zu halten und bereit zu sein für den Ernstfall. Sie sind die Schatten der Mächtigen dieser Welt. Auf den Bildern in den Zeitungen, in den Nachrichtenberichten im Fernsehen fallen vor allem ihre ernsten Gesichter, dieser Blick auf, der jede verdächtige Bewegung registriert. Sicherheitsmänner, Leibwächter, Personenschützer, Bodyguards werden sie genannt.
Für ihre Serie „Suspicious minds“ hat die Fotografin Viktoria Binschtok die konzentrierten Gesichter dieser Leibwächter aus zahlreichen Pressefotos herausgelöst. Sie hat die Staatsoberhäupter, für deren Schutz diese Männer verantwortlich sind, zu Randfiguren gemacht, die auf den Bildern so angeschnitten sind, dass man sie kaum oder gar nicht erkennen kann. Viktoria Binschtok ist eine der Preisträger des diesjährigen „Kunstpreis Literatur Fotografie“. Deren Arbeiten sind in der Ticketgalerie des Nikolaisaals zu sehen. Doch Binschtoks Sicherheitsmänner, oft nur grob gepixelt und in Schwarz-Weiß, sind nicht mehr da.
Insgesamt vier Preisträger hat die Land Brandenburg Lotto GmbH für ihren „Kunstpreis Literatur Fotografie 2009“ ausgewählt. Neben der in Moskau geborenen und nun in Berlin lebenden Viktoria Binschtok sind das der Fotograf Benedikt Partenheimer und die Schriftsteller Marion Poschmann und Patrick Findeis. Ihre Arbeiten, mit der sie die Jury überzeugen konnten, sollen laut Ankündigung, noch bis einschließlich Samstag ausgestellt sein. Wobei sich sehr schnell die Frage stellt, ob hier überhaupt die Rede von Ausstellung sein kann oder ob hier vielleicht ein neues Ausstellungskonzept ausprobiert werden soll.
Wer die Ticketgalerie in der Wilhelm-Staab-Straße betritt, sieht im Treppenhaus zum ersten Stock das große Plakat, das für „Kunstpreis Literatur Fotografie 2009“ wirbt. Und dort oben, im Flur, hängt dann auch eine der großformatigen Fotografien von Benedikt Partenheimer. Auf ihr dreht die bekannte Fotojournalistin Mary Ellen Mark dem Betrachter den Rücken zu. Schwarzer, langer Mantel, in der rechten Hand ein Regenschirm über ihrem Kopf haltend, schaut sie auf eine große Betonwand. Stünde in dem Katalog zur Ausstellung nicht, dass es sich dabei um Mary Ellen Mark handelt, könnte man sie für irgendeine Frau halten, die irgendwo im verregneten New York steht und auf eine Mauer starrt.
Partenheimer zeigt in der Reihe „Turnaround“ mehrere Bilder mit Prominenten, die dem Betrachter den Rücken zudrehen und ihn so auffordern, mit ihm dorthin zu schauen, wohin ihr Blick geht. Wie bei Mary Ellen Mark schauen auch Felix Riebl, Sänger der australischen Band The Cat Empire, Chris Dercon, Direktor des Haus der Kunst in München, und der Filmkünstler Julian Rosefeldt auf Mauern und Wände. Und je länger man mit ihnen dort steht und auf den Beton starrt, umso stärker werden die Beklemmung und der Wunsch, sich von dieser steingewordenen Sprachlosigkeit abzuwenden.
Regelrecht belebend und das Herz weitend sind die Blicke der Videokünstlerin Eve Sussman, die auf einem Dach über Brooklyn, auf einer wackligen Leiter stehend, über New York schaut, und der vom Künstler Damien Hirst, der im Wasser stehend, auf das weite Meer blickt. Doch bevor man diese Bilder genießen kann, schaut man zuerst einmal auf verschlossene Türen. Es scheint, als müsse man die Ausstellung „Kunstpreis Literatur Fotografie 2009“ im wahrsten Sinne des Wortes entdecken.
Vorsichtig öffnet man eine der verschlossenen Türen und tritt in einen kleinen Raum mit drei Bildern von Partenheimer. Die Luft ist abgestanden und im Kreis stehen 23 weiße Klappstühle aus Plastik. Für einen kurzen Moment überlegt man, ob dass vielleicht zur Ausstellung gehören soll. Da aber niemand weiter im Raum ist, entschließt man sich doch, zwei Stühle wegzurücken, um so die Tür zum nächsten Raum öffnen zu können. Doch auch dahinter nicht die Bilder aus Binschtoks Serie „Suspicious minds“. Ein paar Bilder hängen zwar an der Wand, doch mitten im Raum stehen eine hohe Klappleiter und übereinander gestellte Stühle. Etwas beunruhigt blättert man in dem kleinen Katalog mit den Bildern von Partenheimer und Viktoria Binschtok, ob man vielleicht doch etwas übersehen hat. Doch hier steht nichts von eventuellen Installationen mit Stühlen oder Leitern.
Also zurück in den Nebenraum, sich auf einen der Klappstühle gesetzt und den Kopfhörer eines CD-Players, der auf einer kleinen Säule liegt, aufgesetzt. Das Drücken der „Play“-Taste klingt viel zu laut in dem leeren Raum. Aber dann fängt auch schon die Stimme von Christian Brückner an aus Marion Poschmanns herrlicher „Hundenovelle“ und aus dem Debütroman „Kein schöner Land“ von Patrick Findeis. Brückner ist ein Stimmenverführer, der einem gar nichts anderes übrig lässt, als die Augen zu schließen und sich der Literatur hinzugeben.
Später, während man noch einmal durch die Räume geht und sich das Durcheinander anschaut, kommt man zu dem Schluss, dass kein neues Ausstellungskonzept ausprobiert wird, sondern einfach nur eine fragwürdige Unordnung herrscht. Und dann entdeckt man einen kleinen Zettel an der Wand, auf dem steht, das die Bilder von Viktoria Binschtok vom 17. Oktober bis zum 11. November in der Berliner Galerie Klemm ausgestellt werden. Eines muss man den Ausstellungsmachern lassen: Humor haben sie.
Ab Ende November sollen die Fotografien von Viktoria Binschtok und Benedikt Partenheimer noch einmal in der Lotto-Zentrale, Steinstraße 104-106, ausgestellt werden
Dirk Becker
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