
© Andreas Klaer
Von Heidi Jäger: Auf die Bohne gekommen
Claudia Güttner stellt in der Galerie „M“ als Verbandsneuling aus und ab Mai im KunstWerk
Stand:
Kälte durchströmt die alte Baracke, der man von außen kein Leben mehr zugetraut hätte. Nur ein kleines Hinweisschild „Atelier“ an dem tristen grauen Flachbau im Hinterland des Neuen Palais. Im Inneren pulsiert hitzige Aktivität. Mit mehreren übereinandergezogenen Kleiderschichten trotzt die Bildhauerin Claudia Güttner selbst im Winter den Minusgraden. Sie macht sich warm, wenn sie mit Kettensäge ihren Holzstämmen zu Leibe rückt oder mit dem Schweißbrenner punktgenau ihre riesigen Metallfiguren zusammenfügt, die trotz der Schwere des Materials von schwebender Leichtigkeit scheinen.
Vor ihrer Haustür mit Blick auf eine verwilderte Idylle steht ein riesiger Baumstumpf, den Claudia Güttner noch respektvoll ruhen lässt. Die Künstlerin ließ ihn sich mit einem Gabelstapler kommen. Nun wartet sie auf die Erleuchtung. Erst wenn sie genau weiß, was sie dem Baum zu sagen hat, wird sie beginnen, ihn nach ihrem Willen zu formen. Um sich nicht zu versägen, schnitzt Claudia Güttner bei allen Baumarbeiten erst einmal Modelle in Ton, trägt die Flächen genauso ab wie später im Holz. Dann lässt sie die Studien ruhen, um sich zu vergewissern. „Versägen kann man sich schnell.“ Und das soll ihr bei ihrem bislang größten Stück aus Eiche nicht passieren.
Ein anderes Material wächst ihr fast ins Atelier: Riesiger Knöterich breitet sich dschungelartig vor ihrer Tür aus. Im Winter erntet sie ihn und lässt die schlanken langen Röhren zu bizarren Stängelfeldern wachsen. Angeregt wurde sie durch die Schilfgürtel, die sie an der Havel in Brandenburg, wo sie aufwuchs, immer wieder faszinierten. Mit ihren „Stängelfeldern“ möchte sie auch einen Raum im Kunstwerk füllen, in dem sie ab 27. Mai ausstellt.
Derzeit ist eine ihrer Arbeiten in der Galerie „M“ zu sehen, in der Schau von Neumitgliedern des Brandenburgischen Verbandes Bildender Künstler. Die 38-jährige Gestalterin ist dem Berufsverband beigetreten, um sich nicht zu isolieren. Denn die Zeit, in der sie mitten im Potsdamer Kunstbetrieb tätig war, ist vorbei. Bis vergangenen Sommer unterrichtete sie noch als Dozentin an der Universität Potsdam Kunst im Lehramt. „Wir haben wie wild um den Erhalt gekämpft. Jetzt wird es eine neue Professur geben, aber nur für das Grundschullehramt: 12 Lehrveranstaltungen im ganzen Studium. Das ist gar nichts. Die ganze Praxis wurde eingestampft.“ Sie hätte weiterhin an der Uni bleiben können, fand es aber zu deprimierend, auf einem sterbenden Ast zu sitzen. Nun arbeitet sie in Berlin und übernimmt an einer Jugendkunstschule die Leitung.
Claudia Güttner, die selbst auf Kunstlehramt in Potsdam studiert hatte, belegte auch das Fach „Arbeitslehre“ und lernte mit Maschinen umzugehen. Sie war fasziniert, wie man mit einem Schweißgerät durch einen winzigen Punkt größte Stabilität in der Verbindung von Metallteilen erzeugt. „Ganz viel habe ich mir selbst beigebracht“, sagt sie. So greift sie auch problemlos zur Kettensäge, um massige Körper in wunderbare Schwingung zu versetzen. „Das hört sich brutal an, nimmt mir aber die Schwere der Arbeit ab.“
Nachdem die schlanke Frau mit den zupackenden Händen drei Jahre in Bernau als Lehrerin gearbeitet hatte, holte man sie als künstlerische Lehrkraft nach Potsdam zurück, wohlwissend um ihre Kreativität, die sie immer wieder in Ausstellungen demonstrierte. Nach einer großen Personalausstellung 2006 in der Kunsthalle Brennabor in Brandenburg, die ein riesiger Kraftakt war, dachte sie: Jetzt ist erst einmal genug mit Kunst. Jetzt ist Zeit für ein Kind. Und so trat vor drei Jahren Joah in ihr Leben, der während des Gesprächs in der Atelierbaracke immer mal wieder nach seiner Mama ruft. Stolz zeigt er ihr seine lange „Wünschelrute“, mit der er munter durch „Claudias Hexenküche“ stromert.
Die hat sich Claudia Güttner eingerichtet, als sie in den Nachrichten gehört hatte, dass der erste Mensch geklont sei. Eine Falschmeldung, wie sich herausstellte. Doch bei der Künstlerin löste sie ein Nachdenken aus: „Wir funktionieren wie im Versuchslabor. Was passiert mit uns eigentlich? Auch in der Atomindustrie spielt man mit Dingen, die man nicht beherrscht.“ Bei ihr sind es Bohnen, die sie symbolhaft zwischen Aufzuchtsschläuchen „züchtet“. Tausende liegen dekorativ in einem Schrank. Manche wachsen ihr über den Kopf: in wunderbar irritierenden Formen. Ihre Bohnen erinnern an Embryos, die von einer Haut geschützt, aber auch von Nadeln bedroht werden.
In dem langen Flur ihrer Baracke, die sie 2003 mit ihrem Mann entrümpelte und an Dach und Fenster flickte, geht es auch poetisch zu: Schwärme imaginärer Vögel und Insekten scheinen aus dunklen Gewässern aufzusteigen, manche auch im Kamikaze-Flug. Die Ideen fliegen der Künstlerin, deren Eltern Ärzte sind, förmlich zu, wenn sie beispielsweise beim Stahlhändler im Abfall wühlt. „Sie können aber auch jeden Mist gebrauchen“, hört sie immer wieder. Doch dieser Mist ist durchaus fruchtbar und lässt spannungsreiche Geschöpfe wachsen, die zwischen Masse und Fragilität balancieren und von Zerbrechlichkeit und Erdung erzählen.
So wie die Arbeit in der Galerie M, in der zwei aufgestelzte kantige Metallquader durch Lottis Schweineborsten verbunden sind, die das kalte Material sanft streicheln. Diese Schweineborsten aus dem Stall ihrer Freundin findet die 38-jährige Künstlerin genauso toll wie ihren Knöterich, ihren Stahlabfall, ihre Bäume oder ihre Wachs-Bohnen. Wann aber hat sie noch Zeit, all das zu verarbeiten, wenn sie den ganzen Tag in der Berliner Modellschule „Bettina von Arnim“ Arbeitslehre und Kunst unterrichtet? „Freitags habe ich frei. Dann gehe ich ins Atelier und ackere los.“
Claudia Güttner ist zur Zeit in der Galerie „M“ im Luisenforum mit zu sehen. Ab 27. Mai stellt sie gemeinsam mit der Malerin Katarina Harms im KunstWerk aus
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