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Auch Bücher von Anselm Kiefer werden in der Villa Schöningen aufgeschlagen. Und immer wieder gibt es den Blick nach draußen: auf die Glienicker Brücke.

© Andreas Klaer

Von Heidi Jäger: Blutgetränkte Idylle

Freiheit. Unfreiheit: Die Villa Schöningen setzt auf Kontraste. Heute ist der Bundespräsident zu Gast

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Der „Stalinrasen“ streckt seine verrosteten Spitzen noch immer bedrohlich aus. In wie viele Körper werden sie sich hinein gebohrt und Menschen an ihrer Flucht in die Freiheit gehindert haben? Heute steht dieses blutbesudelte, ausrangierte Stück Eisen in der Villa Schöningen und will so gar nicht zu der Idylle passen, die der Persius-Bau und der Blick durchs Fenster auf die im Herbstgold schimmernde Glienicker Brücke ausstrahlen. Doch genau diese Ambivalenz zwischen romantischer Kulturlandschaft und den Schrecknissen deutscher Geschichte, die dieses kleine private Museum vermittelt, ist wohl mit ein Grund, dass der Bundespräsident dort heute seinen Antrittsbesuch im Land Brandenburg beginnt.

Christian Wulff wird nicht nur mit der Zeit des Kalten Krieges konfrontiert, die manchem Besucher noch immer Tränen in die Augen treiben. In der zweiten Etage schlägt die zeitgenössische Kunst Widerhaken in die Köpfe. Kein Geringerer als Anselm Kiefer lässt dort seine Kühe grasen. „Eine Überraschung selbst für Insider“, wie Museums-Eigentümer Mathias Döpfner in einem PNN-Gespräch sagt. Nicht einmal die Kenner und Kuratoren des berühmten Malers und Bildhauers hätten gewusst, dass Kiefer Kühe malt. Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, entdeckte diese riesigen Werke, als er Anselm Kiefer in seinem 36000 Quadratmeter großen „Studio“ in der Nähe von Paris besuchte. „Plötzlich sah ich die Kuhbilder und fragte, warum sie noch nie öffentlich gezeigt worden sind. Kiefer sagte, dass er schon 15 Jahre daran male: eine Replik auf seine Kindheit, in der er Kühe hütete. Es seien für ihn ganz private Bilder.“ Doch Mathias Döpfner ließ nicht locker, lud den seit 2008 in Frankreich lebenden Beuys-Schüler nach Potsdam ein und verbrachte mit ihm in seinem Skulpturengarten an der Villa einen wunderschönen heiteren Abend. Natürlich im Gespräch immer wieder um die Kühe kreisend, „die für Kiefer hochprivat, aber auch hochpolitisch, das Banale und das Mythologische zugleich sind“. Der Maler ließ sich schließlich von Döpfners Euphorie anstecken und so gelangte nach 20 Jahren wieder eine Kiefer-Ausstellung nach Deutschland: in die Villa Schöningen.

Es ist die vierte Ausstellung in der vor einem Jahr wiedereröffneten Villa, in der schon jüdische Bankiers, die Bibliothek der Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), ein Lazarett für sowjetische Soldaten und ein DDR-Kinderheim untergebracht waren. Nach den beiden Ausstellungsteilen zum Jahr 1989 gemeinsam mit der Wiener Kunsthalle, folgte die hochkarätige Schau mit Arbeiten von Werner Büttner, Martin Kippenberger und Albert Oehlen aus der Sammlung Falckenberg: deutsche Punkkunst aus den 80er Jahren, „kantig, provokativ und verstörend“, wie Döpfner es mag. Auch zu dieser Ausstellung reisten wie jetzt zu Anselm Kiefer Gäste von weither an. „Für so ein kleines Museum war es eine große Freude, mit dieser Ausstellung auch in der internationalen Kunstszene Aufmerksamkeit zu wecken.“

Im Gästebuch ist nachzulesen, von wo es die Leute hierher treibt. „Gerade war ein Neuseeländer bei uns, der hat sich fast den ganzen Tag bei Anselm Kiefer aufgehalten“, erzählt Rosemarie Rosenkranz, die zwei Mal in der Woche die Ausstellung beaufsichtigt. Sie ist Rentnerin und hatte sich als Zeitzeugin bei einer Podiumsdiskussion zur DDR-Geschichte gemeldet. „Dort wurden Videos gezeigt, in denen Potsdamer für mich die Geschichte viel zu rosig darstellten.“ Sie schilderte der Kuratorin der Villa Schöningen ihre Erlebnisse, wie sie als junge Frau schon in der Menzelstraße, Hunderte Meter vor der Glienicker Brücke, das mulmige Gefühl beschlich, überwacht zu werden, wenn sie eine Freundin besuchen wollte. Nicht zu Unrecht, wie sich später herausstellte. Um so mehr freut sie sich, dass sie heute am geschichtsträchtigen Ort arbeiten kann und mit den oft sehr betroffenen Besuchern ins Gespräch kommt. Sie ermuntert sie auch, ins Gästebuch zu schreiben, das der Hausherr regelmäßig mit nach Hause nimmt.

Döpfner nimmt die Kritiken ernst und hat unter anderem die angemahnten englischen Untertitel anbringen lassen. Auch über das „Ärgernis“ des schwarzen Designer-Klopapiers hat er nachgedacht. Doch da überwiegt eindeutig das Pro, was das klammheimliche Entwenden augenscheinlich bestätigt. „Wir nehmen alle Anregungen auf, was Service, die Gastronomie und natürlich die inhaltliche Genauigkeit betrifft.“ Doch in Sachen Kunst lässt er sich nicht reinreden, auch wenn einige Leute über die Skulpturen im Garten schimpfen: Die sind eine Unverschämtheit, ja Dreck. „Das ist die Funktion von Kunst, sie soll anregen, aber nicht jedem gefallen. Wir machen keine Volksabstimmung, was wir zeigen.“ Im nächsten Jahr wird der Skulpturengarten neu kuratiert. Provokationen werden dadurch sicher nicht beigelegt.

Die Besucherresonanz stärkt Mathias Döpfner den Rücken. „Wir haben schon jetzt fast erreicht, dass wir die laufenden Kosten weitgehend durch Eintrittseinnahmen und Gastronomie decken. Mittelfristig wird uns das sicher ganz gelingen.“ Und das, obwohl auch die Sonderausstellungen in der Regel privat finanziert werden. Bei Anselm Kiefer half allerdings die Stiftung Kunst und Kultur Bonn etwas mit. „Die Villa Schöningen hat nichts mit Axel Springer zu tun, kein einziger Euro springt von dem Verlag oder von der Stadt in dieses rein private Unternehmen.“

Für den Neu-Potsdamer sei es das Schönste, am Wochenende im Skulpturengarten zu sitzen und zu beobachten, wie die Leute reagieren, wie sie lachen und weinen, sich freuen und ärgern. „Wir verfolgen mit unserem Museum zwei Ansprüche: Wir wollen ein ganz populärer weltoffener Ort für jeden Besucher sein, der sich für deutsche Geschichte und die Geschichte speziell dieses Ortes interessiert. Zugleich wollen wir ein spezifisches Publikum erreichen mit zeitgenössischer Kunst.“ Drei Ausstellungen soll es im nächsten Jahr geben. Welche, darüber will der Hausherr erst etwas sagen, wenn die Tinte unter den Verträgen trocken ist. Auf jeden Fall werden sie wieder um das Spannungsfeld Freiheit und Unfreiheit kreisen. Dieser Stachel darf sich gern in die Köpfe bohren.

Geöffnet Di bis Fr 11 bis 18 Uhr, Sa und So 10 bis 18 Uhr, Eintritt 8/erm. 6 €. Die Kiefer-Ausstellung ist bis Januar zu sehen.

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