Kultur: Das ist der Berliner Müll
Ausgewählte Exponate von „Mark und Metropole“ im Kutschstall (5) / Von Andreas Bernhard
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Es passiert selten, dass Kuratoren kulturhistorischer Ausstellungen Exponate von der Müllkippe holen. So aber ist es geschehen für „Mark und Metropole“, als der Kurator mit der Mitarbeiterin Anne-Katrin Ziesak an einem Märztag bei Sturm und Regen – bei, wie sie gelernt hatten, idealem Wetter für die Suche im Müll – über die Deponie Schildow wankten.
Wildschweine hatten zuvor im Müll gewühlt und heftiger Regen allerlei Fundstücke frei gespült. Da lagen sie also, die Hinterlassenschaften der Metropole: vom Beinchen einer Porzellanpuppe aus der Kaiserzeit über Unmengen von Flacons, die Scherbe einer Charité-Tasse bis zur Weichspülerflasche der 1970er-Jahre – auf einer Ebene in Zeitschichten nebeneinander. Denn in Schildow wurde Müll immer an die Kante der Deponie gekippt. Und nun erzählen sie vereint in einer Ausstellungsvitrine von einem wichtigen Thema. Denn egal, wie sich die Politik auch entwickeln wird, Berlin und Brandenburg werden über den Müll immer in Verbindung bleiben.
Der historische Berliner Müll bestand überwiegend aus der Asche der Kachelöfen des Mietskasernenmeeres, dazu wenige Küchenabfälle, Scherben und natürlich Schutt der zahllosen Baustellen. Zunächst wurde Müll von den zahlreichen privaten Entsorgern (erst 1922 wurde die „Berliner Müllabfuhr-Aktiengesellschaft“ mit Berlin als Hauptaktionär gegründet) in Bodensenken verbracht. Da sich der Berliner Müll nicht wirtschaftlich verbrennen ließ, wies man Deponieplätze dafür aus, die aber bald wegen des Wachstums der Stadt verlegt werden mussten.
Das euphemistische Schlagwort der weiteren Müllverwertung hieß „Melioration“, also Landschaftsverbesserung. In Brandenburg gab es ja jede Menge Sumpfgebiete, die sich durch Müllschüttungen trockenlegen ließen. Aber auch ertragsarme Sandböden des Ackerbaus ließen sich durch Unterpflügen des Berliner Mülls verbessern.
Den traurigen Höhepunkt der „Melioration“ bildete die Trockenlegung des Golmer Luchs, einem Naturschutzgebiet westlich Potsdams. 1934 wurde begonnen, Berliner Müll auf Schiffe zu verladen und nach Golm zu bringen. Dort wurde die Fracht mit Havelwasser zu „Müllbrei“ verarbeitet und in die Landschaft verschossen. Der Überlieferung zufolge war diese Tätigkeit mit derart üblen Gerüchen verbunden, dass dafür bald nur noch Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Am Ende hatte sich die vielgestaltige Sumpflandschaft in ein trockenes, aber ödes Gebiet verwandelt.
Nach dem Mauerbau wurde der West-Berliner Müll ein besonderes Problem. Zum einen entwickelte er sich rapide zum Wohlstandsabfall in bislang ungekannten Mengen, zum anderen waren die Deponieflächen der eingemauerten Halbstadt schnell erschöpft. Im Umfeld des Berlin-Abkommens signalisierte die DDR bereits im April 1972 die Bereitschaft zur Abnahme des West-Berliner Mülls, der damit erstmals ein Politikum wurde. Also wurde ein neuer Grenzübergang für Müllfahrzeuge geschaffen. Am Kölner Damm in Rudow passierte der Müll die „Mauer“ und wurde auf die direkt an der Stadtgrenze liegende Deponie Großziethen verbracht. 1974 schlossen die DDR und West-Berlin schließlich einen 20-Jahres-Vertrag. Er sicherte der DDR Einnahmen von insgesamt 1,25 Milliarden Valutamark, konterkarierte jedoch die damals aufkommenden Recycling-Prinzipien, denn darin waren Mindestabnahmemengen festgeschrieben.
Bis 1995 sollten so 38 Millionen Kubikmeter Bauschutt und 35 MillionenKubikmeter Siedlungsabfälle sowie 1 Million Kubikmeter „Giftmüll“ auf die Brandenburger Deponien verbracht werden.
Andreas Bernhard ist Kurator der Ausstellung „Mark und Metropole“ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte.
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