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Musensohn. Thomas Pietsch

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Kultur: Der Musensohn aus der Mauerstraße

Der Barockviolinist Thomas Pietsch spielt am Sonntag während der Bachtage in der Friedenskirche

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Vielleicht war er 14 oder 15 Jahre alt, als er mit Gleichgesinnten Musik machte, Musik von Bach, Telemann und anderen Meistern der Barockzeit. Thomas Pietsch spielte die Violine und gab schon damals „den Ton an“. Vor allem in Kirchen Potsdams und der Umgebung musizierte das kleine Ensemble, in dem neben Violinen, Bratsche, Violoncello auch die Flöte und die Singstimme für musikalische Farben sorgten. In der stillen Mauerstraße, nahe am Park Sanssouci, wuchs der Musensohn auf, dort wo zu DDR-Zeiten die Villen von ihrem alten baulichen Glanz nur träumen konnten. Aber im Inneren hatten in manchen Häusern Musik, Literatur und Kunst eine Bleibe. Auch bei der Familie Pietsch. Thomas konnte seinen Violin-Ambitionen ungehindert nachgehen. Seine Großmutter Lena von Bülow, die in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine gefragte Geigerin war, gab ihm ersten Unterricht auf der Geige.

Heute ist Thomas Pietsch, der in Hamburg lebt, einer der wichtigsten Violinisten auf dem Gebiet der Alten Musik weltweit. Am Sonntag wird er in der Friedenskirche Sanssouci ein Solokonzert innerhalb der Bachtage Potsdam geben. Zum neunten Mal findet dieses vierzehntägige Festival an verschiedenen historischen Orten der Landeshauptstadt statt. Eröffnet wird es am heutigen Freitag in der Friedenskirche mit Bachs h-Moll-Messe in historischer Aufführungspraxis mit „Exxtential Bach“, einem international besetzten Ensemble, unter der Leitung von Intendant Björn O. Wiede.

In seinem Konzert wird Thomas Pietsch auf seiner Violine aus dem 18. Jahrhundert die Partita h-Moll BWV 1002 und die Sonata g-Moll BWV 1001 spielen. Die Kritiken loben immer wieder Pietschs Interpretationen von Werken des Barockkomponisten. Neben Bach musiziert Pietsch in Potsdam die Fantasie in B-Dur von Georg Philipp Telemann sowie Heinrich Ignaz Franz Bibers Passacaglia in g aus der XVI. Rosenkranzsonate mit dem Titel „Schutzengel“, die um 1670 entstand. Ein Programm, das von der profunden Technik und der großen Gestaltungskraft des Musikers erzählt. Genaues Quellenstudium und kulturhistorische Kenntnisse sind dabei unerlässlich.

Thomas Pietschs großes Interesse an Musik des 17. und 18. Jahrhunderts und ihre authentische Wiedergabe hat stets Priorität, ob als Konzertmeister beim Monteverdi-Chor Hamburg, mit dem er Konzertreisen rund um den Erdball machte, bei seinen eigenen Ensembles, dem Jupiter-Ensemble, der Cappella Filarmonica Hamburg. Pietsch tritt als Solist und als Duopartner bedeutender Musiker wie den Cembalisten Bob van Asperen oder Richard Fuller, Hammerflügel, auf vielen Podien auf. Seine Interpretationen sind auf zahlreichen Tonträgern dokumentiert und als Professor leitet er seit 18 Jahren eine Klasse für Barockvioline am Conservatorium in Frankfurt am Main.

Der Grundstein für Pietschs Liebe zur Musik wurde in Potsdam gelegt. Nach dem Unterricht bei der Großmutter war er Schüler der Musikschule, besuchte viele Konzerte, besonders wenn Kompositionen des 18. Jahrhunderts gespielt wurde. Es war ihm frühzeitig klar, dass er selbst Musiker werden würde. Der Rathenower Kirchenmusiker Gerhard Kaufeldt, der spätere Greifswalder Domorganist, lud Thomas Pietsch ein, in seinem Spezialensemble für Alte Musik mitzuwirken – eines der ersten Formationen in der DDR auf diesem Gebiet.

Obwohl kein junger Pionier oder FDJler, ließ man ihn an der Hanns-Eisler-Hochschule Berlin studieren. Man erkannte das große Talent von Pietsch. Doch seine Abneigungen gegen die diktatorische DDR blieb. Als er und andere Kommilitonen Proben der Musikhochschule für ein Spektakel zu den Weltjungendfestspielen 1973 in Berlin fernblieben, erhielt er ein Exmatrikulationsschreiben. Die Dresdner Kirchenmusikschule nahm ihn anschließend als Student auf.

Sein großes Streben vor allem nach geistiger Freiheit blieb. Er wollte aus der DDR raus. Er fand Fluchthelfer und versteckt in einem VW-Käfer-Kofferraum erreichte er im Juli 1974 den Westen. Eine Violine hatte er bei sich. Das Musizieren konnte weitergehen. Klaus Büstrin

Bachtage Potsdam, Eröffnung am 4. September, 19 Uhr, Konzert mit Thomas Pietsch am 6. September, 17 Uhr, beide Konzerte in der Friedenskirche

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