zum Hauptinhalt

Kultur: Der Widerborstige

Armin Schubert erhielt für seine Kinder-und Jugendarbeit in der Brandenburger Galerie „Sonnensegel“ das Bundesverdienstkreuz

Stand:

Selbst an dem Tag, als ihm Bundespräsident Horst Köhler das goldene Bundesverdienstkreuz ans Revers heftete, blinzelte der Rebell aus Armin Schubert. Da sollte der Brandenburger zum großen Staatsakt mit nur drei Angehörigen im Schloss Bellevue erscheinen dürfen. Aber wen sollte er zu Hause lassen: Die Frau? Die beiden Töchter? Oder gar die zwei Enkel? Für ihn als Anwalt der Kinder keine Frage. So rückten die Schuberts also zu Sechst an – und siehe da, alle fanden nach kurzem Murren Platz. Sicher auch, weil Schubert mit Schorlemmers Worten „Ich vertraue dem, der Kinder erhöht, Grenzen missachtet und den eisenbeschlagenen Himmel öffnet“ den richtigen Ton an- und damit Türen aufschlug.

Gern zeigt er die Fotos in dem noch nach Kleber riechendem Album von dem großen Moment, der seine Kinder- und Jugendkulturarbeit vergoldete. Für sie setzte er sein „Sonnensegel“: Gegen Vereinsamung, Orientierungslosigkeit, rechtes Gedankengut. „Denn Bildung ist teuer, aber keine Bildung ist noch teurer“, zitiert er Lincoln.

Ihm selbst wollte man als jungen Menschen die Bildung versagen. Da sein Vater aus der Partei geschmissen wurde, durfte er in der DDR kein Abitur machen. Zum Glück hatten später weniger dogmatische Entscheider über ihn das Sagen. Sie delegierten ihn zur Arbeiter- und Bauernfakultät. So wurde Armin Schubert Lehrer und unterrichtete in Schlagenthin bei Genthin Deutsch und Musik. Auch die Bildende Kunst holte er projektreich ins Haus, das nach seinem Vorsprechen bei Helene Weigel im Berliner Ensemble den Namen Brechts erhielt. Doch der freie Geist des Theatermanns wehte nicht in allen Lehrerköpfen. Als der Dichter Franz Fühmann und die Malerin Nuria Quevedo Ende Oktober 1976 auf Einladung von Schubert in der Schule „Prometheus“ lasen und kurz darauf gegen die Ausbürgerung Biermanns ihre Unterschrift leisteten, lief Schubert Spießruten. Dass er solche feindlichen „Elemente“ an die Schule holte, zeige seine eigene feindliche Gesinnung. Den Schuberts reichte es und sie beschlossen: „Wir gehen!“ Nach Brandenburg verschlug es sie, wo Armin Schubert nun an der Bezirksnervenklinik in der Krankenhaus-Schule unterrichtete. Er setzte sich noch einmal auf die Schulbank und studierte an der Humboldt-Universität Rehabilitationspädagogik. Da seine Schwester ein behindertes Kind hatte, baute er auch familiär eine Beziehung zum Anderssein auf. Es war ein Novum in der DDR, als in der Brandenburger Petrikapelle die Ausstellung „Plastik zum Begreifen“ aus der Taufe gehoben wurde. Sie ermöglichte auch verhaltensgestörten Kindern einen ganz anderen Zugang zur Kunst, für die eigene Sinneswahrnehmung. Für Schubert stand fest, dass es mehr geben muss als Schule und Pionierorganisation, um ethisches Verhalten zu schulen. Bei Autoren wie Aitmatow, Fühmann, Grass oder Christa Wolf holte er sich „Futter“ für seinen Humanismusvorstoß. Er schrieb ein Konzept, mit dem Ziel, eine Kindergalerie zu gründen. „Die wollte ich der DDR zu ihrem 40. Jahrestag schenken.“ Doch die witterte hinter der Gabe den Wolf im Schafspelz und lehnte ab. Gab es denn etwas Besseres als die Bildung in der DDR? Nein! Also brachte ihn sein Ansinnen, Kinder mit ethischen Wertvorstellungen auszurüsten, auf die „schwarze Liste“. Später konnte er viel darüber in seinen Stasi-Akten lesen.

Dennoch ließ er sich nicht so einfach abschütteln. Er holte sich bei den renommierten Künstlern Ronald Paris und Barbara Henninger Beistand, die im Verband der Bildenden Künstler die Werbetrommel rührten. 150 Künstler, von Loriot bis Willi Sitte, ließen sich begeistern und spendeten Geld, Bücher und Bilder für das „Sonnensegel“-Projekt. Schließlich nahm die Stadt das Geschenk an, doch nur ohne Schubert. Die Leitung sollte von der Pionierorganisation bestritten werden. „Am 13. Dezember – pünktlich zum Pioniergeburtstag – bekam ich die Gründungsurkunde. Doch da war die Mauer schon auf.“ Armin Schubert war nun zwar der Leiter – aber er wurde nicht mehr dafür bezahlt. „Ich wurde ABM. Das war bitter.“ Doch Schubert ging nicht unter: Schließlich gibt es „Eine Arche für alle“. So benannte er auch ein großangelegtes Kunstprojekt mit Kindern und Jugendlichen im Brandenburger Dom, zu dem die damalige Bildungsministerin Marianne Birthler kam. Seine Arbeit überzeugte, und fortan hatte er wenigstens eine Teillehrer-Stelle sicher. 1991 überreichte man dem rührigen Brandenburger Verein den 1. gesamtdeutschen Kulturpreis. Zudem flossen Bundesmittel, mit denen sie ihr Vereinshaus umbauen konnten. Das hatte ihnen die Bildhauerin Ingeborg Hunzinger für 5000 DDR-Mark von der Kirche abgekauft.

Wer heute diese ehemalige Lateinschule betritt, kommt aus dem Staunen nicht raus. Derzeit zieht sich eine kraftvoll unterhaltsame Pop-Art-Ausstellung mit Bildern von Moritz Götze durch das mehrgeschossige Haus. Es ist Usus, dass professionelle Künstler hier ihre Ausstellungen zeigen, während die Sonnensegler mit ihren Arbeiten auswärts beeindrucken. Plakate und Fotos erinnern an die vielen hochkarätigen Gäste, die sich immer wieder unterm Sonnensegel versammeln. Als nach der Wende die Russen nicht mehr angesagt waren, holte Schubert Aitmatow. Christa Wolf findet immer mal wieder den Weg nach Brandenburg, und Paul Verhoeven und Julia Jentsch kamen, als die Kinder und Jugendlichen ihr „Weiße Rose“-Projekt hatten.

Gern zeigt Armin Schubert auf einen Holzschnitt mit den Worten „Wie tief hinein reicht das Erinnern?“ Diese Arbeit stammt von Martin und beweist, wie Kunst einen vernebelten Geist wieder aufklaren kann. „Martin war rechts eingestellt und als er zu uns kam, malte er anfangs nur deutsch-nationale Fahnen. Wir haben ihn mit Geschichten über die Geschwister Scholl und mit Gedanken von Käthe Kollwitz konfrontiert und er ließ sich immer tiefer hinein ziehen. Mit Hilfe der Kunst haben wir es geschafft, wenigstens eine Seele zu retten.“ Heute ist Martin Altenpfleger.

Schubert sieht sich als „Menschenfänger“, gern arbeitet er mit den Schulen zusammen, um auch an die „Problemfälle“ heranzukommen. „Wenn sie hier sind, tun sie erst mal arrogant, aber wenn es voran geht, wächst ihre innere Haltung und das Rückgrat wird gerade. Es ist insgesamt schwieriger geworden, Kinder zu begeistern. Man muss ihnen viel zumuten. Oft sind sie durch die Medien auf Pseudo-Nichtigkeiten fixiert.“ Dagegen setzen die Sonnensegler ihre Erlebnis- und Ermutigungspädagogik, die Jugendliche auffordert: Zeigt uns, wie es geht. „Dazu muss man sie aus ihren Cliquen vereinzeln, so dass sie sich nicht vor den anderen ,beweisen“ müssen. Man kann scheinbar zugeschüttete Seelen durchaus erreichen. Geld, das man in die Bildung steckt, braucht man nicht dem Innenminister zu geben.“

Dabei entstehen dann solche Projekte wie der Film „Platzangst“ von Heike Schober, zu dem sie Detlef Buck als Hauptdarsteller gewinnen konnten. Mit diesem Streifen über eine Brandenburger Bomberjacken-Clique fuhren sie zum Filmfest nach Neu Dehli und lernten dabei die Enkelin von Gandhi kennen. Sie erreichten, dass Tara Gandhi für zehn Tage Gast im Sonnensegel war und über die Philosophie ihres Großvaters erzählte. „Immer wieder ergibt sich aus einer Geschichte die nächste. Ich suche nicht. Ich finde.“

Auch wenn Armin Schubert jetzt mit 65 Jahren seinen Nachfolger einarbeitet, wird er die Segel weiter festhalten. „Gerade jetzt geht es richtig los. Durch das am 4. September überreichte Bundesverdienstkreuz haben wir auch die politische Anerkennung. Ich werde mich niemals in den Sessel zurückfallen lassen.“ Gern zeigt er die Glückwunschkarte von Eva Kowalski vom Offenen Kunstverein Potsdam, die ihn ermuntert, auch mit dem Orden widerborstig zu bleiben. Aber damit trägt sie wohl nur Eulen nach Athen. „Wir brauchen eine Zivilgesellschaft, die sich wehrt und einmischt. Die Demokratie hat es nötig und sie verträgt es auch.“ Vor allem gegen rechte Auswüchse will Schubert noch mehr unternehmen. „Auch die Neutralen sind mir verdächtig. Man muss Position beziehen, auch als Jugendlicher wissen, wofür und wogegen man ist.“ Er selbst macht keinen Hehl daraus, dass sein Herz links schlägt, was es in der von einer CDU-Bürgermeisterin regierten Stadt nicht leichter macht, das finanziell permanent in den Seilen hängende Sonnensegel stärker zu straffen. „Man kann nicht geschichts- und gesichtslos sein, muss mit Biss die Dinge zum Erfolg führen, alles anbaggern, wenn es Inhalte zu füllen gilt.“ Die beiden Enkel Johannes und Philipp malten nach der Ordensübergabe ihren Großvater jedenfalls mit einer großen Nummer „1“ auf der Brust.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })