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Kultur: Diana jagt Flora

Impressionen von der 7. Potsdamer Schlössernacht: Vom Konzert am Vorabend zwischen Neuem Palais und Communs, von langen Schlangen am Bier- und Bratwurststand, von idyllischen Kulissen und dem Versuch, Kunst zu erleben

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Impressionen von der 7. Potsdamer Schlössernacht: Vom Konzert am Vorabend zwischen Neuem Palais und Communs, von langen Schlangen am Bier- und Bratwurststand, von idyllischen Kulissen und dem Versuch, Kunst zu erleben Es scheint, dass die Vorabend-Konzerte der Schlössernacht Tradition werden. Vor allem sollen zu diesen Veranstaltungen all diejenigen mit Eintrittskarten versorgt werden, die für die Schlössernacht keine mehr bekommen haben. Und so bevölkerten am Freitagabend tausende Gäste den Platz zwischen Neuem Palais und den Communs. Die begrüßende Dame am Mikrofon – in der Wortwahl und in der Tonart ganz im Stil einer Werbefirma – sprach von der faszinierendsten Kulisse, die es überhaupt gibt. Meinte sie die wegen Restaurierungsarbeiten verdeckten Kolonnaden? Günstiger wäre es gewesen, die Bühne vor das Schloss Friedrich des Großen zu stellen, dann hätten die Zuschauer auch in die begeisterte Rede einstimmen können. Der Aufforderung, das Orchester mit frenetischem Beifall zu begrüßen, kamen viele der Gäste nach, ohne zu wissen, was sie an diesem Abend tatsächlich in puncto musikalischer Qualität erwartet. Denn man erinnert sich an 2004: bei der Königlichen Philharmonie aus London war das Konzert an dieser Stelle nicht immer das beste Hörvergnügen. Aber der frenetische Begrüßungsapplaus für das Orquesta Ciudad de Granada aus Spanien, das unter der Leitung von Salvador Mas Conde spielte, war verdient, auch die Beifallsstürme am Schluss des Konzerts. Trotz der etwas knisternden Tonübertragung spürte man einen sehr weichen, homogenen und kultivierten Klang, besonders bei den Streichern. Dies fiel zugleich bei der sehr farbigen Ouvertüre zur Oper „Los Esclavos Felices“ des spanischen Komponisten Juan Crisóstomo Arriaga (1806-1826) auf. Mit 14 Jahren schrieb er die Oper und damit auch ihre Ouvertüre. Jung, sogar sehr jung, ist der Solist des Konzerts gewesen, ganze 25 Jahre und schon mit einigen Preisen bedacht: der Pianist Martin Stadtfeld. Er musizierte Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37. Ein souveränes Spiel offerierte er dem begeisterten Publikum. Den ersten Satz nahm er streng, vielleicht etwas zu kühl, dem Largo ging er mit viel Fingerspitzengefühl an und das abschließende Rondo gab er drängend und voller Heiterkeit. Die spanischen Musiker harmonierten hörbar ausgezeichnet mit Stadtfeld, so dass man insgesamt eine feinsinnige Wiedergabe erleben konnte. Abschließend wurde die Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90, die „Italienische“ von Felix Mendelssohn Bartholdy – umgeben vom unsäglichen Duft gerösteter Mandeln, Sauerkraut und Bratwurst – musiziert. Salvador Mas Conde und das Orchester aus Granada haben vor allem die lichtvoll vitalen Seiten dieser Sinfonie hervor gehoben. Das besondere Dämmerlicht des Südens wurde in ihrer Interpretation aber nicht bedacht. Die Sinfonie erhielt hin und wieder etwas vom Kitsch einer Italien-Postkarte. Was fehlte, war das Hintergründige. Nach drei Zugaben konnte man ein farbenprächtiges Feuerwerk bestaunen und zufrieden durch den illuminierten Park lustwandeln. Klaus Büstrin * * * Was mag wohl Flora, die Göttin der zarten Pflanzen und Blüten, gedacht haben, als die Bevölkerung einer veritablen Kleinstadt mit 64 000 Füßen ihr herrschaftlichstes Refugium, das Weltkulturerbe des Parks Sanssouci, zum siebten Male heimsuchte und durchtrabte, um sich – Motto gemäß – auf ihre „Spuren“ zu begeben? Sie wird sich verkrochen haben in die wenigen, stillen Orte des Parks, die es auch noch gab, und verbittert ihrer Kollegin, der Jagdgöttin Diana, das Feld überlassen haben. Denn um die Jagd ging es vor allem. Die Jagd nach dem nächsten Veranstaltungstermin, vor allem auch der Jagd der nächsten Wurst und des nächsten Bieres. Die Schlössernacht, da mögen die Veranstalter anderes behaupten, ist gewiss keine Einladung zur Besinnung. Als Mega-Wurst-Event mit nun ausgefeiltem Informations- und Versorgungssystem fußt sie, wie alle modernen „Events“, auf zwei menschlichen Trieben. Dem, um jeden Preis mit dabei sein zu wollen, und dem, nur ja keine Attraktion zu verpassen. Der erste lässt Massen entstehen und Fluchtinstinkte verkümmern, der zweite bedingt, dass alles rastlos weiterhetzt von Schloss zu Schloss, Bühne zu Bühne, und Wurst zu Wurst, ohne jemals dort anzukommen, wo man hinwollte. Denn das war ja immer woanders, oder gerade vorbei. Das Ergebnis ist eine latente Enttäuschung darüber, die in der Tat spektakulär beleuchteten Schlösser, Figuren und Bühnen mit viel zu vielen teilen zu müssen. Linderung verspricht nur die nächste gesottene Bratwurst. Der, der gerade keine Wurst in der Hand mitführt, trägt ein Bier, ein Handy oder eine Digitalkamera. Handy und Kamera, Verstand und Gedächtnis des Eventbesuchers, werden im über die Wege wogenden Besucherstrom zur einzig Halt bietenden Krücke, sein Ich nicht gänzlich zu verlieren: „Wo bist Du? Wir sind hier an der Orangerie.“ Jedoch, es war die Bildergalerie. In der ergießen sich schon kurz nach 18 Uhr Hunderte, bekommen einen Handzettel als Legende für die üppigen Meisterwerke an den Wänden, schlurfen im Gänsemarsch vorüber, klatschen sozusagen die Rückwand ab, drehen um und geben den Zettel für die nächsten Besucher wieder ab. Staunen und Raunen im Minutentakt, und ab zur Wurst. Barockklänge auf der Weinbergterrasse. Doch kein leibhaftiges Ensemble, vier Lautsprecher pro Terrasse. Ein Unterhaltungsprinzip der Schlössernacht wird deutlich. Das der elektronischen Verstärkung. Selbst die winzigen Solobühnen im Park mit Gitarristen, Flötisten und Akkordeonspielern, die „Wegebespielungen“, eigentlich die charmanteste Variante beim nächtlichen Rundgang, um Überraschendes zu erleben, sind mit Verstärkern ausgestattet. Wo die nächste Bühne schon hörbar ist, schrumpft die Erhabenheit von Floras Reich, Nähe und Erreichbarkeit werden vorgegaukelt. Doch der Park in seiner Ausdehnung ist beinahe unermesslich. Ihn in den sechseinhalb Stunden auch nur annähernd abzulaufen, ist nahezu unmöglich. Wer sich einlässt auf eine Attraktion, steht in der Schlange: Neue Kammern, 50 Meter, Orangerie, 100 Meter. Unterhalb dieser, auf der gläsernen Bühne, beinahe schwebend über all dem Wurstbratengeruch hinweg und erhaben über allen Köpfen, spielt das Ligeti Quintett. „Es sind an jedem Bierstand vier lange Schlangen!“, beklagt ein Familienvater. Der Brunnen plätschert in grünem Licht. In Nischen und auf Brüstungen Erschöpfte und Ruhende. Überall mampfende, gehende und schiebende Menschen – glücklich aussehende, wohlgemerkt. Plötzlich, es ist kaum zu glauben, sitzt man in kolossaler Stille in der Blauen Galerie der „Neuen Kammern“. Kein Schlangestehen, kein Barockgedudel aus einem Lautsprecher! Keine Wurst, sondern Vorträge zur titelgebenden Göttinnengestalt. Nun der letzte, um zehn, von Marita Müller zu den Floraplastiken im Park. Mindestens fünfzig von achtzig Stühlen bleiben unbesetzt, bei geschätzten 10000 potentiellen weiteren Zuhörern, die sich im Umkreis von 500 Metern aufhalten. Bevor es losgeht, holt jemand seine Digitalkamera heraus, um die herrlich blaue Wandverkleidung und die Kristalllüster zu fotografieren. Das ist leider verboten. Dann klingelt sein Handy: „Bin hier gerade bei einem Vortrag.“ Seiner Frau ist das peinlich. Was Müller mit Worten illuminiert, die acht Florafiguren des Parks, ihre Schöpfer und die Veränderungen in der Flora-Darstellung durch die Jahrhunderte, leuchtet in einem helleren Licht als die bunten Strahler vor den Fassaden da draußen. Müller erklärt den Mythos hinter Flora, wie Windgott Zephyr die Nymphe Gloris verfolgte, aus der Floris, später Flora, wurde. Hier wird Wissen und Verständnis über das Weltkulturerbe geliefert, dort draußen wird es tosend und laut. Den Verantwortlichen der Schlösser bereitet es Magenschmerzen. Matthias Hassenpflug * * * Dass so viele Menschen stundenlang im Dunkeln durch seinen Park Sanssouci wandeln würden, hat sich der alte Fritz sicher nicht träumen lassen. Doch die Potsdamer Schlössernacht zeigte erneut, wie eine derartig große Menschenmenge in einem Areal amüsiert und ergötzt werden kann. Über die Gründe dieses Erfolges kann nur gemutmaßt werden. Schlichtes Spazierengehen gilt ja schon immer als eine Lieblingsbetätigung der Deutschen, aber sind sie gar zu Lustwandlern geworden? Denn kaum anders wird man das gemütliche Schlendern durch den weitläufigen Park bezeichnen können, wo die hell erleuchteten Schlösser einen traumhaften Kontrast zu den Konturen der dunklen Landschaft bildeten, und wo Tempelchen, Pavillons und Gärten mit Musik und Gesang, Gedichten und Kurzvorträgen zum Verweilen einluden. Je nach Lust und Laune wird dann Picknickdecke oder Klappsitz herausgeholt oder man geht einfach weiter. Denn es gibt ja soviel zu entdecken in dieser Sommernacht im August, die mit einem großen Feuerwerk über den Communs am Neuen Palais endet – wenn auch dieses Jahr ein heftiger Gewitterregen ein ziemlich feuchtes Finale bescherte. Doch davor hatte das umfangreiche Angebot der Potsdamer Schlössernacht die Menschen bewegt, nicht nur Füße und Bäuche, sondern auch Augen und Ohren, Kopf und Herz. Vielleicht etwas zu reichlich ist für die leiblichen Genüsse gesorgt. Rund um das Neue Palais und an einigen anderen Orten gibt es Budenzauber wie auf dem Jahrmarkt. Doch woanders dient der bauliche und natürliche Reiz des Ortes oft als stimmungsvolle Kulisse für musikalische und sprachliche Darbietungen. Wie etwa im Dichterhain, wo Andreas Hueck und Marin Caktas vom Poetenpack einen „szenischen Diskurs“ über die Liebe zeigen – in lässiger Manier, mit einigen verbindenden, leicht bayrisch klingenden Worten dazwischen, lesen die beiden Mimen Gedichte von Dante und Petrarca, Schiller und Goethe vor. Wer gedacht hatte, dass Schauspieler den freien Vortrag von Wortwerken praktizieren, wunderte sich dabei etwas. Wie es anders geht, zeigt die kleine Berliner Gruppe Fabuladrama mit ihrem Erzähltheater, wo auswendig rezitiert und lebendig deklamiert wird. Selbst um die einsamen Solisten am Wegesrand bilden sich immer wieder Menschentrauben. Wo sonst kann man mal einer Geigerin über die Schulter schauen oder einen veritablen Flötisten vor dem Chinesischen Teehaus fotografieren? Auch die melancholisch blasende Klarinettistin vor dem riesigen weißen künstlichen Mond auf der nachtdunklen Wiese ist ein gelungenes Motiv – fast wie auf einem Gemälde von René Magritte. Überhaupt scheint das Fotografieren mit der Digitalkamera eine Lieblingsbeschäftigung zu sein. Kein Wunder – gibt es doch märchenhafte, fotogene und filmische Eindrücke in Mengen, wie etwa das Erinnerungsfoto mit den verkleideten Damen und Herren, die in Rokoko-Kostümen herumflanieren. Solche Belebung der Vergangenheit erweckte immer wieder Neugier und Interesse. Susanne Wendes Vortrag aus den herrlich unverblümten Briefen von Wilhelmine von Bayreuth, Schwester von Friedrich II., die sie prononciert vorlas, findet regen Zuspruch. Viel Beifall erringt das strahlende Geigenduo im Hippodrom. Vor der idyllischen Kulisse des weinberankten weißenTempelchens spielt das Bode-Duo klassische Violinmusik (ohne elektronische Verstärkung), auf Wunsch eines einzelnen Herrn sogar das Largo aus dem Doppel-Konzert von J. S. Bach. Auch das Harfe-Flöte-Duo „VentCordes“ im Freundschaftstempel begeistert die Zuhörer mit engagiertem Vortrag. Eine besondere Attraktion bildet erneut der italienische Gesang auf der Gondel vor den Römischen Bädern. Kaum erklingen die ersten Töne von Tenor und Klavier, versammeln sich die Menschen rund um den Maschinenteich, um den Arien und Liedern zu lauschen, die Fabian Martino sehr niveauvoll vorträgt. Die Gartenseite des Neuen Palais bildet die ausgefallene Kulisse für eine Multimedia-Inszenierung. Unter den interessierten Blicken des „Dicken Wilhelm“, König Friedrich Wilhelm II., und seiner lebenslangen Mätresse, Wilhelmine von Enke, die von der Fassade in Übergröße zuschauten, gibt es amouröse Schäferspiele (Ensemble Amouren und Séancen) und lustig-luftige Rokoko-Tänze vom Ensemble Historischer Tanz Berlin zu sehen. Auf der Hauptbühne zwischen den verkleideten Communs gibt der Berliner Oratorienchor vollmundige Chormusik zum Besten. Danach zieht die begabte Akkordeonistin Lydie Auvray die Zuhörer in Bann. Als besonderes Highlight erweist sich das Damenorchester „Aphrodites Töchter“ spät in der bunten Nacht, die glücklicherweise nicht die letzte Potsdamer Schlössernacht gewesen ist. Babette Kaiserkern

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