Kultur: „Die Beunruhigung spiele ich gern“
Matthias Zahlbaum gibt in „Hafthaus“ Ralf-Günter Krolkiewicz Gestalt / Aufführung in Lindenstraße
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Einige zerbrachen an dem psychischen Druck und nahmen sich das Leben. Auch Ralf-Günter Krolkiewicz verfiel während seiner Inhaftierung im Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit in der Potsdamer Lindenstraße in schwere Depressionen. Nur durch die starke Liebe zu seiner damaligen Freundin und späteren Frau Nina hielt er den Erniedrigungen stand. Der Briefwechsel mit ihr wurde zu seinem Rettungsanker. „In diesen Briefen brechen Dämme aufgestauter Emotionen, breiten sich aus wie eine schmutzige unbezwingbare Flut, die alles fortreißt“, notierte er in seinem Buch „Hafthaus“, das der Schauspieler und Regisseur erst zehn Jahre nach seiner Entlassung und Abschiebung in den Westen schreiben konnte. Das theater 89 Berlin brachte dieses erschütternde Dokument des 2008 im Alter von 52 Jahren verstorbenen Künstlers in diesem Frühjahr auf die Bühne. Am Donnerstag wird es erstmals an dem Ort des einstigen Unrechts aufgeführt: in der Lindenstraße 54. Wir sprachen im Vorfeld mit dem Schauspieler Matthias Zahlbaum, der die Rolle des Alex Jünemann, wie sich Ralf-Günter Krolkiewicz in „Hafthaus“ nennt, verkörpert.
Herr Zahlbaum, wie sind Sie damit umgegangen, in eine Figur zu schlüpfen, hinter der ein reales, traumatisiertes Leben steckt?
Ich hatte das Glück, Ralf-Günter Krolkiewicz kurz persönlich kennenzulernen, als wir sein Stück „Herbertshof“ im Berliner theater 89 inszenierten. Anders als viele Kollegen, die ihn aus der Potsdamer Theaterzeit kannten, hatte ich eine sehr warme Beziehung zu ihm. Es muss in der Phase dieser Gefängniserfahrung menschlich sehr viel mit ihm passiert sein. Das war ganz offensichtlich. Für mich war es zunächst sehr erschütternd, das „Hafthaus“ zu lesen, weil ich ein Kind der DDR war und in diesem Land große Pläne hatte. Zu erfahren, dass, während ich studiert habe, einem Menschen, den ich kenne, so etwas passiert ist, das war für mich unfassbar. Ich sagte zu unserem Intendanten, dass ich gar nicht weiß, ob diese Rolle für mich überhaupt zu bewältigen sei. Mit welchem Recht spiele ich so eine Vergangenheit, wenn ich selbst so relativ wenig in meinen 30 DDR-Jahren davon betroffen war?
Wussten Sie nichts von den Stasi-Gefängnissen?
Ich war natürlich informiert, dass es Stasi-Gefängnisse gab, aber dass in der DDR, die in der UNO und im Weltsicherheitsrat war, solche Gefängnissysteme existierten, die sich in einem wirklichen diktatorischen Zustand befanden, ist mit dem offiziellen Bild der DDR überhaupt nicht zu vereinbaren. Das erschüttert mich noch heute. Bis ich begriff, dass es so gewesen sein muss, und Ralf nicht emotional übertreibt, das hat gedauert. Das schafft mir große Distanz zu meiner Vergangenheit.
Aber man kann seine Vergangenheit nicht ablegen.
Nein, ich bin in der DDR groß geworden, mit dem Sandmännchen und Professor Flimmrich, später mit Silly, habe mich für die Freilassung von Angela Davis und gegen den Vietnam-Krieg engagiert. Und die Eltern, mit ihren Erfahrungen von 1953 und 1961, brieften uns, wenn sie staatskomform waren, was von uns erwartet wird und was bedient werden sollte, um Konflikte zu vermeiden. Das hat gut geklappt. Auch bei mir. Im Schauspielstudium bestand dann ein bestimmter Schutzraum. Die Offiziellen gaben sich nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann 1976 liberal, passten auf, dass nicht noch mehr Künstler an jeder Ecke zu Fall gerieten. Ich habe davon profitiert. Man konnte an der Schule über Dinge reden, für die man in öffentlichen Gremien sicher verhaftet worden wäre. Aber dass da noch 1984 einer wegen einiger Gedichte, die er auf drei Lesungen vortrug, so bestraft werden konnte, wie Ralf, ist erschreckend. Andere Kollegen, die genauso mutig auftraten, sind als Führer einer Opposition auferstanden, die uns bis 1989 begleitet haben. Da wird mir die ganze Willkür der DDR bewusst. Man war in diesem System von menschlichen Bedingungen abhängig, die einen umgaben.
Warum, glauben Sie, traf es gerade Ralf-Günter Krolkiewicz so hart?
Ralf ist ganz sicher kein einfacher Charakter. Aber daran muss sich bitte ein System messen lassen. Nur weil einer schreit, ich hab die Schnauze voll und nicht bereit ist, zu kuschen, kann man ihm noch lange nicht so übel mitspielen. Das ist Ausdruck diktatorischer Willkür. Man muss Menschen rechtens und nicht nach der Art ihres Auftretens behandeln.
Was ermutigte Sie, trotz Ihrer Zweifel, dann doch die Hauptrolle in „Hafthaus“ zu übernehmen?
Ich wollte zu dieser DDR, die mir unbekannt blieb und die ich so nicht erwartet hatte, rückblickend eine Beziehung aufbauen. Es war ein Herantasten an eine neue Wirklichkeit von gestern, die einen großen Schatten auf meine romantische Erinnerung an die DDR wirft. Ich verstehe heute die Leute viel besser, die nicht gut auf die DDR zu sprechen sind, die durchblicken lassen, dass sie ähnliche Erfahrungen mit der Staatssicherheit gemacht haben. Wenn ein System Menschen so zur Räson gebracht hat, was soll man dann überhaupt noch über das Land berichten, in dem man geboren ist? Nichts Gutes. Ein Großteil meines Lebens hat sich nach „Hafthaus“ neu sortiert, dafür danke ich dem Ralf. Alle meine Beschönigungen sind zusammen gebrochen. Ein Großteil meines Lebens hat sich neu sortiert, vieles nehme ich heute differenzierter wahr.
Wie haben Sie die Probenarbeit erlebt?
Jeder sagte am Anfang, ich bin nicht betroffen und doch hatte jeder eine Geschichte zu erzählen, die erahnen ließ, dass ihm das Gleiche wie Krolkiewicz hätte passieren können. Aber man hat es bagatellisiert. Wir wussten vor den Proben gar nicht, wie viel Wut jeder in sich trägt und unterdrückt hat.
Wer „Hafthaus“ gelesen hat, weiß, wie emotional die Briefe sind. Wie gelingt es, das Publikum nicht mit Gefühlen zu überwältigen?
Es war uns sehr wichtig, dass es nicht auf einer Betroffenheitsebene landet. Ein großer Dank gilt da dem Regisseur Hans-Joachim Frank. Er wollte kein „O Gott, O Gott, was ist dem passiert-Schicksal“ erzählen, sondern ein Stück über einen Menschen, der sich nicht unterkriegen lässt. Diese endlose Korrespondenz muss man schreiben wollen, das schafft man nicht nur in einer Depression. Krolkiewicz lehnte sich auf, sagte Nein. Und schrieb, was er dachte und fühlte. Man sieht auch, welche große intellektuelle Leistung dahinter steht, Briefe zu schreiben, die durch die Zensur kommen und alle gefährlichen Klippen umschiffen und doch draußen ein Zeichen setzen: Hier bin ich. Das andere, was ich so schätze, ist die großartige Sprache, in einer ganz kräftigen emotionalen Form. Es ist nicht umsonst einiges preisgekrönt worden, was Ralf geschrieben hat.
Sie spielen an authentischem Ort, das erste Mal in der Lindenstraße 54. Macht das noch mal etwas besonderes?
Ich habe mir das Stasigefängnis in Hohenschönhausen und die Zellen in der Normannenstraße angeschaut, gesehen, dass da nicht viel Platz für Menschlichkeit war. Alles ist sehr düster. Die Potsdamer Lindenstraße kenne ich noch nicht, aber der Regisseur sagte, dass der Gefängnishof, in dem wir spielen, sehr beeindruckend sei. Das wird Einfluss auf die Aufführung haben. Der Ort wird belebt durch Erfahrungen, das hat sicher auch für die Zuschauer eine ganz andere Wirkung als in einer Fantasie- Kulisse. Zumal Krolkiewicz als Intendant in Potsdam wirken konnte, er aber dort nicht allzu viel aus der Haftzeit berichtet hat. Für viele wurde nach der „Hafthaus“-Veröffentlichung sein Verhalten, seine Unberechenbarkeit, zwar nicht entschuldbar, aber zutiefst verständlich. Deswegen ist es ganz schön, dass wir in dem Stück die Zeit zurückdrehen und Krolkiewicz in Potsdam hinsetzen, dorthin, wo er einige Spuren hinterlassen hat.
Ralf-Günter Krolkiewicz hat einmal in einem PNN-Gespräch gesagt, dass sein Körper versucht habe, die Erinnerungen abzuschütteln.
Ich bin mir auch ganz sicher, dass seine Parkinson-Erkrankung durch die emotionale Überbelastung aus der Gefängniserfahrung entstanden ist. Er war ein so empfindsamer Mensch. Es war nicht zu verarbeiten gewesen, was er intuitiv unbewusst alles aufgenommen hat.
Ist der Focus während der Aufführung die ganze Zeit auf Sie gerichtet?
Es ist schon überwiegend ein theatralischer Monolog, aber er ist szenisch angereichert. Und er funktioniert insofern sehr gut, weil ich die Fragen, die im Stück dargestellt werden, mit dem Zuschauer teile. Das ganze heile Bild der DDR, das man so gern bewahren möchte, wird zutiefst erschüttert. Es wird klar, dass jeden so ein Schicksal hätte ereilen können, vielleicht nur durch einen falschen Satz. Das ist eine Kraft, die für Zuschauer spürbar ist. Diese Beunruhigung spiele ich gern, nicht nur für mich. Auch für Menschen, die die Kraft haben, zu kommen. Ich kenne viele, die über die Staatssicherheit gestolpert sind, aber sie kommen nicht in das Stück, weil die Wunden noch immer so tief sind und sie es nicht noch einmal durchleben wollen.
Gibt es Aufführungsgespräche?
Nein, nicht gezielt. Eher die zufälligen Begegnungen am Tresen. Der Grundtenor der Zuschauer dabei ist: „War das wirklich so?“ Die anderen, die es begreifen können, sagen: „Wenn es so war, dann ist es gut, dass es vorbei ist.“ Ich treffe viele ehemalige Kollegen, die die DDR verlassen haben, jetzt im vereinten Deutschland wieder. Man spürt den stillen Vorwurf, dass man selbst nicht aufbegehrte oder geflohen ist. Die Tapferen sind die, die in den Westen gegangen sind, die anderen sind der Rest. Es ist verständlich, dass diese Diskrepanz unterschwellig bleibt. Wir, die geblieben sind, haben die Erfahrung nicht gemacht, wie die, die in die Fänge der Stasi gerieten. Durch „Hafthaus“ habe ich diese Erfahrungen zumindest begriffen.
Kommen viele junge Leute in die Vorstellungen?
Nein, nicht so viele. Die meisten sind über 50, aber die sind hochinteressiert. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn mehr Jugend kommen würde. Vielleicht passiert das ja in Potsdam. Das Interesse ist jedenfalls so groß, dass wir eine zweite Vorstellung spielen werden.
Wie sehr nimmt Sie persönlich so eine Aufführung mit?
Das Erstaunliche ist, dass ich mich danach viel selbstbewusster und identischer fühle. Es ist eine ganzheitliche Auseinandersetzung, die gut tut, auch wenn ich vorher immer sehr aufgeregt bin. Doch wenn wir den Abend durchgestanden haben, der so viel abverlangt, gelingt es, ihn danach gut abzuschütteln. Man geht mit mehr Wahrheit aus dem Abend.
Das Gespräch führte Heidi Jäger
Zu sehen am 2. und 9. September, jeweils um 19 Uhr im Potsdam-Museum - Gedenkstätte Lindenstraße 54. Telefonische Vorbestellung unter Tel.: (0331) 289 68 03, Eintritt 12, ermäßigt 8 Euro
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