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Kultur: Die Eishölle überlebt

Der Potsdamer Regisseur Erik S. Tesch stellt morgen seinen Film „Eisgang – Deutsche im GUlag“ vor

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Der Potsdamer Regisseur Erik S. Tesch stellt morgen seinen Film „Eisgang – Deutsche im GUlag“ vor Von Heidi Jäger Sie sind der Eishölle entkommen und doch liegt die Erinnerung wie eine Frostschicht über ihrer Seele. Als sie nun 50 Jahre später vor der Kamera stehen und die Zeit ihrer Zwangsarbeit in Workuta noch einmal nahe rückt, schmilzt etwas von diesem traumatischen Panzer. Tränen der Erinnerung lösen sich bei dieser beschwerlichen Reise in die Vergangenheit. In dem Dokumentarfilm „Eisgang – Deutsche im GUlag“, der morgen im Filmmuseum zu sehen ist, beschreiben fünf Zeitzeugen die maßlosen Torturen jenseits des Polarkreises. Sie kamen als Zivilgefangene in Stalins Lager: von den Sicherheitsorganen der sowjetischen Besatzungsmacht entführt und verschleppt, ohne noch die Nächsten benachrichtigen zu können. Zur Last wurde ihnen Spionage, Sabotage oder schlicht antikommunistische Aktivität gelegt. Was treibt nun einen jungen Filmemacher aus Potsdam dazu, dieses zumeist vergessene Kapitel deutsch-russischer Geschichte noch einmal aufzurollen? Die Antwort liegt wohl in der Biografie von Erik S. Tesch begründet. Sechs Jahre seiner Kindheit verbrachte der gebürtige Dresdner in Dubna, wo seine Eltern in der Kernforschung arbeiteten. „Meine ersten bewussten Erinnerungen sind russischer Natur. Sie sind mir sehr vertraut und ich mag sie.“ Die Schwierigkeiten kamen erst in der DDR, wo sich Erik S. Tesch, Jahrgang 66, in der zehnten Klasse verpflichtete, drei Jahre zur Armee zu gehen – dem Studienwunsch zuliebe. In der 12. Klasse hatte er es sich jedoch anders überlegt, was ihm die Genossen arg verübelten. „Wir ziehen dich erst ein, wenn du Familie hast und es richtig weh tut“, drohten sie in einem Gespräch die Retourkutsche an. Das Psychologiestudium war damit auch vom Tisch. Also zog der junge Sachse zu Verwandten nach Mecklenburg und besuchte als Volontär der „Freien Erde“ Schweine-, Kuhställe und Volksfeste und behielt es durchaus „in netter Erinnerung“. Dennoch blieb der Wunsch, zu studieren. Seine einzige Chance: Lehrer für Deutsch und Russisch. Erik S. Tesch ließ sich darauf ein – und warf nach einem Jahr in Leipzig rigoros das Handtuch. „Dann lieber jobben“, entschloss sich der couragierte Quergeist und zog zu einer Freundin mit Ausreiseantrag nach Potsdam. Hier schnitt er nun die Hecken in Sanssouci oder verlud beim Zollpostamt die Westpakete. Mitunter war auch eines für ihn dabei, denn mit einem Brieffreund aus Marburg tauschte er regelmäßig Bücher. „Ich schickte ihm Thomas Mann, und er mir das, was es bei uns nicht gab. Manche Päckchen kamen an, andere nicht.“ Schließlich landete der von der Staatsmacht argusäugig Beobachtete – sein Kontakt zur Friedensbewegung blieb nicht unbemerkt – beim DEFA-Dokfilmstudio in Babelsberg. „Allerdings nur mit Halbjahresverträgen.“ Als Regieassistent drehte er an belanglosen Arbeitsschutzfilmen und Sprachserien mit, lernte aber immerhin das gute alte Handwerk. „Bis zur Wendezeit hangelte ich mich durch, wusste aber nach dem Mauerfall sofort, dass ich Regie studieren möchte.“ Seine Diplomarbeit über Fotografie im Dritten Reich betreute Egon Günther, mit dem ihn eine große Nähe verband. Als er nun so gar nicht feierlich seine Exmatrikulationsurkunde zugeschickt bekam, war er zwar glücklich über das erfolgreiche Studium, sah aber auch die recht unsichere Zukunft. „ Überall gab es Grabenkämpfe um die letzte ABM, an eine Festanstellung war nicht mehr zu denken.“ Also ging er wieder nach Russland: nunmehr mit einem DAAD-Stipendium an die Filmhochschule Moskau. In dieser Zeit wollte der Potsdamer Journalist Knut Elstermann einen Film über das neue russische Kino drehen. Tesch ging ihm dabei zur Hand, allerdings rein administrativ. Auch bei späteren Arbeiten kamen ihm seine Russischkenntnisse zugute, doch musste er die eigenen Regieambitionen hinten an stellen. Bis ein Projekt der Bundesregierung ihm zugute kam. Es ging dabei um Russlanddeutsche, die man vor Ort unterstützen wollte. „Es wurden Krankenhäuser und Wohnungen gebaut, um den Menschen Mut zu geben, weiter im fernen Sibirien zu leben.“ Erik S. Tesch reiste monatelang durch Kasachstan, um den ausreisewilligen Menschen die Botschaft zu vermitteln: Ihr habt es dort besser als in Deutschland. „Es ging um Menschen in ihrer Heimat, die sie nicht mehr als Heimat empfanden. Ich erlebte sehr viel Herzlichkeit und sehr spannende Geschichten, die immer wieder auch von Vertreibung erzählten.“ Zu sehen waren diese Filme nur im russischen Fernsehen, finanziert wurden sie aber von deutscher Seite. Irgendwann flaute das Projekt ab: aus Wirkungslosigkeit, Geldmangel und einem Regierungswechsel. Auch seine Filmaufträge wurden kleiner und damit unattraktiver. Irgendwann bekam er über das Büro des Produzenten Rudolf Steiner Kontakt zu dem Urenkel von Stalin. „Dieser Mann namens Vissarion war selbst Regisseur und hatte die Idee, einen Film über seinen Großvater zu drehen. Er war der Sohn aus Stalins erster Ehe und nie Liebling des Vaters. 1943 kam er im KZ Sachsenhausen ums Leben. Über diesen unbelasteten Stalin-Sohn wollte Vissarion ein Heldenepos drehen. Doch das funktionierte in Deutschland nicht. Da ich in dieses Projekt mehr und mehr involviert war, schrieb ich schließlich eine neue Konzeption: nunmehr mit Vissarion vor der Kamera, worauf er sich auch vertrauensvoll einließ. So wurde aus seiner Idee mein erster großer Film“, der auf Arte und im MDR ausgestrahlt wurde. Seitdem habe er ein sehr gutes Verhältnis zur MDR-Redaktion und immer wieder neue Aufträge, die sich um Russland ranken. Wenn Freunde ihn fragen, warum er immer wieder ins kalte, gammlige Russland fahre, erwidere er nur: „Weil ich es mag, und weil der Filmmarkt so dicht ist, dass man ohne Spezialisierung keine andere Chance hat.“ Ein großes Plus sei es natürlich, dass er keinen Dolmetscher brauche, was für ernsthafte Interviews anders auch nicht funktionieren würde. Sein Film „Stalins Sohn“ öffnete ihm auch die Tür für seinen Workuta-Film, den ein Kölner Produzent ihm ans Herz legte, da er einen Zeitzeugen kannte. Zweimal machte sich Tesch auf die Reise: im Winter und im Sommer. Diesmal in Begleitung von Ursula Rumin, die 1952 in Berlin verhaftet und wegen Spionage zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde. Für diesen Film begab sie sich nochmals auf die beschwerliche Fahrt qualvoller Erinnerungen. „Es gibt Momente, wo ich wirklich diese unbeschreibliche Hölle fühlen konnte“, so der Regisseur, der trotz der großen Emotionalität Distanz halten musste, um die Konzeption des Films nicht aus den Augen zu verlieren. Ausgesucht hat er seine fünf Protagonisten, darunter auch der Potsdamer Peter Seele, der nach Workuta kam, weil er sich weigerte, für den NKWD zu spitzeln, aus 20 ehemaligen Häftlingen. „Wichtig ist es natürlich, dass man einen Draht zueinander findet. Aber es fällt nicht schwer, Opfer sympathisch zu finden.“ Wichtig waren zudem die verschiedenen Biografien und Tatvorwürfe. „In dem Film geht es natürlich auch um die Frage von Recht und Schuld. Alle Befragten, außer vielleicht Seele, hatten Anteil an ihrem Schicksal. Sie übten Demokratie, als es unpopulär war. Was sie taten, war zu ihrer Zeit Unrecht. Sie beziehen indes die Position, dass sie Widerstand leisteten gegen ein System, das sie als unrechtmäßig ansahen. Damit könne es auch kein Unrecht sein. Die meisten wussten um das Risiko, wenn auch nicht um die unbotmäßige Härte, im 4000 Kilometer entfernten ewigen Eis. Nach der Freisprechung 1955 fühlten sich die Workuta-Insassen als Opfer zweiter Klasse, die eben nicht von den Nazis, sondern von Stalin drangsaliert wurden und damit keine Gedenktafel oder entsprechende Entschädigung erhielten. „Bis heute gibt es von den Russen keine offizielle Entschuldigung. Stattdessen stehen die Akten unter Geheimhaltung. Unschuldig heißt für mich aber, nimm dein Zeug und weg damit. Diese Archivierung bricht sogar russisches Gesetz. Mit welcher Verachtung dort mit der Vergangenheit umgegangen wird, das bringt mich wirklich in Rage. Wie kann eine Gesellschaft gesunden, die sich ihrer Vergangenheit nicht stellt?! Und unser Kanzler hält devot Putins Hände. Das ist nicht nur bedenklich gegenüber den Tschetschenen, sondern auch gegenüber den Menschen aus Workuta.“ Morgen 20 Uhr Filmmuseum, anschließend Gespräch mit Regisseur Erik S. Tesch und dem Zeitzeugen Peter Seele. Moderation: Knut Elstermann.

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