Kultur: Die viel gerühmte Toleranz
Nachdenken über das „Edikt von Potsdam“, das Bedrängten Heimat in Brandenburg zusicherte
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Das Wort von der Toleranz geht in diesen Tagen in unserem Land wieder um. Immer dann, wenn sich Fremdenhass, der sich oftmals mit rassistischer Gewalt verbindet, breit macht. Potsdam muss sich befragen lassen, wie seine Einwohner immer wieder neu damit umgehen. Der erschreckende Überfall auf einen aus Äthiopien stammenden Potsdamer, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt, lässt ein Nachdenken über unsere so viel gerühmt Toleranz, in der Stadt des Toleranz-Edikts, aufkommen.
Wie bringen wir Toleranz zum Ausdruck? Geraten wir da nicht oft in Verlegenheit? Unser Mienenspiel und die Ausdruckskraft der Bewegungen geben dafür nichts her. Heiterkeit und Trauer, Zorn und Verzweiflung, Anspannung und Entspannung, Stolz und Unterwerfung, Freundschaft und Feindschaft kann man darstellen. Und dies versteht man auch über die Kulturgrenzen hinweg, ohne dass es der Worte bedarf. Aber Toleranz? Sie muss gelebt werden, damit der Andere sie erleben kann. „Toleranz bedeutet Respekt, Akzeptanz und Anerkennung der Kulturen unserer Welt, unserer Ausdrucksformen und Gestaltungsweisen unseres Menschseins in all ihrem Reichtum und ihrer Vielfalt. Gefördert wird sie durch Wissen, Offenheit, Kommunikation und durch Freiheit des Denkens, der Gewissensentscheidung und des Glaubens. Toleranz ist Harmonie über Unterschiede hinweg“, heißt es in einer Erklärung der UN-Mitgliedsstaaten von 1995 zu den „Prinzipien der Toleranz“. Ein Gebot von oben? Sicherlich nicht. Die Völkergemeinschaft hat sich freiwillig dazu entschieden, Toleranz als oberstes Gebot im Zusammenleben zu praktizieren.
Das „Edikt von Potsdam“, 290 Jahre Jahre zuvor verkündet, ist dagegen ein Toleranz-Gebot von oben, vom Monarchen, dem Kurfürst Friedrich Wilhelm, im Stadtschloss der Residenzstadt unterschrieben. Hugenotten, die aus Frankreich fliehen mussten, weil sie von König Ludwig XIV. gezwungen werden sollten, ihren reformatorischen Glauben abzusagen und der katholischen Kirche beizutreten. Es gab blutige Pogrome. Der brandenburgische Kurfürst kam seinen Glaubensbrüdern schnell zu Hilfe. Im „Edikt von Potsdam“ teilte er mit, dass den „angefochtenen und bedrengten Glaubens-Genossen eine sichere und freie retraite in alle unsere Lande und Provincien in Gnade zu offeriren ...“ wolle. Den Flüchtlingen aus Frankreich gewährte Friedrich Wilhelm neben ihrer Glaubensfreiheit auch Hilfe bei der wirtschaftlichen Existenzgründung und beim Hausbau. Am Ende des Dokuments heißt es, dass den Flüchtlingen „keineswegs das geringste Übel, Unrecht oder Verdruss zugefügt“ werden dürfe, sondern „im Gegenteil alle Hülfe, Freundschaft, Liebes und Gutes erwiesen werden“ solle. Der Kurfürst rief den Bedrängten und Flüchtlingen sein Willkommen zu – er bot ihnen Heimat an. Brandenburg war auf die Einwanderer angewiesen. Das durch den Dreißigjährigen Krieg arg gebeutelte Land brauchte dringend Fachkräfte. Sie kamen nicht nur aus Frankreich, sondern aus vielen Ländern Europas. Und mit ihrem Fleiß und ihrer Leistungsbereitschaft schufen sie den modernen Staat Brandenburg-Preußen.
Natürlich gab es bei den Einheimischen Misstrauen gegenüber den Neuankömmlingen. Doch der Kurfürst setzte sich durch. Wagemut war gefordert, denn nichts verstand sich von selbst. Beispielsweise erließ der Große Kurfürst den Neu-Brandenburgern die Steuern. Ja, es war ein Experiment ohne Vorbild, mit offenem Ausgang. Aber das Leben mit den „Fremden“ und ihren Kulturen hat sich gelohnt. Es hat das Land und die Stadt Potsdam reicher gemacht. Und es lohnt sich nach wie vor. Von Toleranz sollte nicht nur gesprochen werden, sie sollte gelebt werden. Mehr noch: Es bedarf nicht nur eines Tolerierens, sondern der Selbstverständlichkeit des Zusammenlebens.
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