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Kultur: Doppelkarrieren

Literatur-Ausstellung „Die Dritte Front“ gestern im Kutschstall eröffnet

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Literatur-Ausstellung „Die Dritte Front“ gestern im Kutschstall eröffnet Von Klaus Büstrin Ab 1990 wurde „Märkische Heide, märkischer Sand“ wieder allerorten und von vielen Menschen gesungen. 45 Jahre lang war sie im Osten Deutschlands verboten – die inoffizielle Hymne Brandenburgs. Gustav Büchsenschütz war ihr Verfasser. Auch in nationalsozialistischer Zeit wurde sie gern gesungen. Büchsenschütz meinte, dass ohne sein Wissen das Lied vor allem von den braunen Jugendverbänden benutzt wurde. Doch der Autor vergaß anscheinend, was er 1935 in der Zeitschrift „Brandenburger Land“ schrieb: „Und wie war der ,politische“ Weg des Liedes? Vom Bismarckorden ging es zum ,Frontbann“ und zur SA und machte hier den Siegeszug der völkischen Bewegung mit, so dass es jetzt als viel gesungenes Lied der nationalsozialistischen Erhebung gilt. Auf den großen Veranstaltungen der NSDAP in Berlin im ,Sportpalast“ und im Lustgarten erklang das Brandenburger Lied und warb immer neue Kämpfer für das neue Deutschland.“ Die Ausstellung „Die Dritte Front. Literatur in Brandenburg 1930-1950“ des Brandenburgischen Literaturbüros, die gestern im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (Kutschstall) eröffnet wurde, könnte man teilweise auch mit dem Untertitel „Doppelkarrieren“ bezeichnen. Schriftsteller haben sich in den 20 Jahren, die die Exposition beleuchtet, sich den jeweiligen Machthabern nicht nur untergeordnet, sondern auch deren „Fahne hoch gehalten“, während des Nationalsozialismus und in der frühen DDR-Zeit. Zum Beispiel Herbert Scurla (1902-1981), der das Buch „Die Dritte Front“ schrieb, ein wüstes propagandistisches Pamphlet, das den Zweiten Weltkrieg verherrlicht. Nach 1945 schulte er zunächst als Tischler um, doch bald konnte Scurla wieder publizieren, Bücher im Verlag der Nation über historische Persönlichkeiten: so über Ernst Moritz Arndt, Wilhelm von Humboldt oder Rahel Varnhagen. Seine braune Vergangenheit wurde in der DDR der Öffentlichkeit verschwiegen. Man schmückte ihn sogar mit staatlichen Auszeichnungen. Ein weiteres Beispiel einer Doppelkarriere ist Marie Diers (1867-1949). Die Schriftstellerin, die in einer Villa ganz in der Nähe des Konzentrationslagers Sachsenhausen lebte, hat in der Nazizeit als NSDAP-Mitglied in ihren Büchern über „deutsche Werte“ wie Fleiß und Ehrlichkeit, Härte sich selbst gegenüber und Aufopferungsbereitschaft ein Hohelied gesungen. Die Nazis verehrten die Bücher der Diers und sie sonnte sich in ihrem Ruhm. 1946, immer noch in Sachsenhausen wohnend, schreibt sie dann: „Unsere Zukunft liegt bei Russland. Ich bin ... jetzt so tief in das russische Wesen eingedrungen, dass mir ganz klar ist, wie das einzige Machtmittel gegen den Kapitalismus, der aller Kriege, alles Unglücks und Elends Wurzel ist, nur der radikale, ehrliche Bolschewismus ist.“ Aber nicht nur solche Doppelkarrieren lässt der Autor der Ausstellung, Dr. Peter Walther, Revue passieren. Auch Schriftstellern, die der Nazizeit als Kommunisten den Kampf ansagten und den DDR-Mächtigen jedoch kritiklos gegenüber standen wie Hans Marchwitza oder Eduard Claudius, sind in der Schau Plätze eingeräumt, aber auch Bernhard Kellermann und Hermann Kasack. Kellermann, der in Potsdam und Werder (Havel) lebte, hatte eine Loyalitätserklärung gegenüber den Nazis abgegeben. Doch diese wollten ihn nicht, sie misstrauten ihm, der schon seit dem Kaiserreich mit linksorientierten Werken den rechten Demagogen ein Dorn im Auge war. Kellermann zog sich zurück. Nach dem Krieg war er zur Mitarbeit willkommen. Er wurde Mitbegründer des Kulturbundes. Der Schriftsteller, Verlagslektor und Rundfunk-Mitarbeiter Hermann Kasack, ebenfalls in Potsdam wohnend, spielte eine zentrale Rolle im Literaturgeschehen bis 1933 und dann wieder in der Bundesrpublik. Die Nazis drängten ihn aus dem Rundfunk, weil die Literatur, die auf dem faschistischen Scheiterhaufen landete, in seinen Sendungen Priorität hatten. Manche Institutionen meldeten den Nazi-Oberen, dass sie die volksverderbenden Bücher vernichtet haben. So die Brandenburgische Landesfrauenklinik. Sie teilte mit, dass Erich Kästners „Emil und die Detektive“ aus der Bibliothek verbannt sei, das Landesblindenheim berichtete, man habe sowieso nur Hitlers „Mein Kampf“ und die Liedersammlung „Volk an“s Gewehr“ in Blindenschrift. Dokumente, Fotos, Bücher und Reden, die man aus alten Rundfunkgeräten zu hören bekommt, sind in der Ausstellung zu finden, die einen Ausschnitt vom literarischen Alltag in zwei Systemen geben. Gut, dass Peter Walther sie kaum kommentiert. Das eigene Urteil ist gefragt.

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