Kultur: Ein Stück Heimat
Die Fotoausstellung von Sandra Bergemann im Kunsthaus zeigt die „Gesichter der DEFA“: Ungeschminkt und wahrhaftig
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Sofort springt in dieser Ausstellung das Kopfkino an. Filme spulen sich ab, einzelne Bilder kristallisieren sich heraus. Da, über den Dächern von Berlin, der große Star Angelica Domröse mit ihrem Jungmädchenlachen. Man erinnert sich, wie sie als alleinstehende Paula in dem Defa-Klassiker „Paul und Paula“ in Kittelschürze die Kohlen in den Keller schippte. Oder dort: Ursula Karusseit. Aufgeregt ging man mit ihr vom Fernsehsessel aus in dem Fünfteiler „Wege übers Land“ auf die Flucht, bangte um das Kind, das sie in den letzten Stunden des Krieges am Wegesrand aufsammelte und couragiert großzog. Oder dieser großartige Rolf Hoppe mit dem durchfurchten Gesicht einer Felslandschaft, der in dem István-Szabó-Film „Mephisto“ als Hermann Göring den eingefleischten Bösen gab. Und dann dieses ansteckend erfrischende Lachen von Jörg Schüttauf, der mit seiner sympathischen Natürlichkeit schon zu Defa-Zeiten herausstach.
Die Berliner Fotografin Sandra Bergemann hat sie alle wieder zusammengebracht: die großen Stars des DDR-Films. Manche fast vergessen, andere auch heute (wieder) sehr präsent. Im Kunsthaus Potsdam hängen sie in berückende Nähe. Manche still und in sich gekehrt, andere in überschäumender Lebensfreude. Jeder eine Folie für das ganz eigene Erinnern des Betrachters. Gut die Hälfte ihrer insgesamt 40 abgelichteten Gesichter hat die Fotografin für diese Ausstellung ausgewählt: jeweils im Porträt sowie an einem Ort der Wahl der Protagonisten. Aufgenommen in Schwarz-Weiß, doch im Rückblick der Fantasie durchaus in Farbe.
Was veranlasst eine Fotografin, die zum Fall der Mauer gerade mal neun Jahre alt war, sich auf Stars ihrer Eltern und Großeltern einzulassen? „Ich bin in Stralsund aufgewachsen, in einem Funkloch, in dem es kaum Westempfang gab. Oft saß ich bei meiner Oma auf der Couch und schaute fern. Die Gesichter der Darsteller haben sich festgesetzt, ohne dass ich ihre Namen kannte. Es ist dieses Kindsein, ein Stück Heimat, das ich mit diesen ,Flimmerstunden’ verbinde.“ Und dann sah Sandra Bergemann 2001 eine Reportage über die leise, die hochdramatische Helga Göring und stellte sich die Frage: Was ist aus diesen Leuten von damals eigentlich geworden? Auf dem Foto im Kunsthaus steht Fernsehliebling Helga Göring, die 2010 verstarb, in flotter Lederjacke auf einer Wiese, vor einem Fluss. An der Leine ein kleiner schwarzer Hund, der neugierig auf das gedankenversunkene Frauchen mit den weichen Gesichtszügen schaut.
Helga Göring gehörte zu den ersten acht Schauspielern, die Sandra Bergemann für ihre Abschlussarbeit als Fotodesignerin beim Lette-Verein in Berlin-Schöneberg porträtierte. „Danach war ich unschlüssig, ob ich weiter an dem Thema arbeiten sollte.“ Also ging sie zu der bekannten Fotografin Sibylle Bergemann, mit der sie nicht verwandt ist, und zeigte ihr die Arbeiten. „Sie bestärkte mich und sagte: Machen Sie weiter.“ Und so hatte die junge Frau von der Küste 2004 ihre erste Ausstellung im Potsdamer Filmmuseum. Damals mit 20 Porträts – alle im Kleinformat. Inzwischen ist ihre Oststar-Galerie auf 40 angewachsen, abgeschlossen – und auf Tour. 2008 veröffentlichte die Fotografin einen Bildband mit Texten, in denen sich die Schauspieler zu ihrem Berufsleben, ihren Erwartungen und Enttäuschungen äußern, ihre Geschichte erzählen. Sie durfte dazu Interviews aus dem Buch „Der ungeteilte Himmel“ nutzen, das vom Filmmuseum Potsdam herausgegeben wurde.
Unter den Fotos im Kunsthaus sind kurze Statements aus diesen spannenden Selbstreflexionen zu lesen, oft politische Betrachtungen und Vergleiche zwischen der Arbeit vor und nach der Wende: kritisch, aber nicht verbittert.
Unter der hellwachen burschikosen Carmen-Maja Antoni mit ihrem blonden Strubbelkopf, die mit selbstprüfendem Blick in den Spiegel ihrer Garderobe am Berliner Ensemble schaut, ist notiert: „Geiz, geschäftstüchtige Freundschaften, Quoten und Oberflächlichkeiten schleichen sich oft wie Gespenster durch das Theater und den Film.“ Eva-Maria Hagen sieht man, wie sie auf dem Gendarmenmarkt steht, ihren Strumpf hochzieht und ungeniert Bein in hochhackigen Pumps zeigt. „Als Femme fatale der Defa passte diese Geste so gut zu ihr, dass ich diesen Schnappschuss auswählte. Und sie war sofort einverstanden.“ Der Gendarmenmarkt war Ort ihrer Kindheit, als er noch in Trümmern lag. Später, lange vor ihrer Ausreise nach Westberlin 1977, war es Eva-Maria Hagens Arbeitsweg zum Berliner Ensemble, wo sie noch in der Regie von Bertolt Brecht spielte. Als sie die Gefährtin von Liedermacher Wolf Biermann wurde, ließ man sie fallen. Und so steht unter ihrem Porträt: „Mir sagte damals einer der Leiter des Fernsehfunks in einer Unterredung: Wir möchten Ihnen empfehlen, sich von Biermann zu distanzieren, da wir sonst gegen sie ernstere Schritte einleiten müssten. Ich erwiderte, dass ich Wolf Biermann liebe und dass es in unserem Staat keine Sippenhaft gebe und ich mich nicht erpressen ließe.“ Dennoch wurde sie wegen ihres Protestes gegen die Ausbürgerung Biermanns fristlos entlassen.
Dieses Schicksal ereilte auch Doris Abeßer, die das „Pech“ hatte, in dem Film „Der Frühling braucht Zeit“ von Günther Stahnke mitzuwirken. Der wurde wie viele andere Filme nach dem 11. Plenum 1965 verboten. Doris Abeßer, die Frau mit den dunklen Augen und dem ebenmäßig geschnittenen Gesicht, erhielt daraufhin einen Anruf der Defa, die eine weitere Zusammenarbeit mit ihr ablehnte. Mit diesem Berufsverbot beim Film startete sie 30-jährig ihre Karriere beim Berliner Metropol-Theater. Das Musical half ihr über die Verzweiflung hinweg.
Verbitterung habe sie bei keinem gespürt, sagt Sandra Bergemann: nicht bei den so früh Gestrauchelten und auch nicht bei den einstigen Defa-Ikonen, die es oft ebenfalls schwer hatten, beruflichen Anschluss im vereinten Deutschland zu finden. „Was immer wieder auftauchte, waren Enttäuschungen: Das Überstülpen eines Systems über das andere“, so Bergemann. Bei Hilmar Thate, dem „Daniel Druskat“ der Defa, der enttäuscht von der Kulturpolitik der DDR 1980 mit seiner Frau Angelica Domröse in den Westen ging, hört sich das so an: „Mit dem Wegfall der Mauer verbanden sich für mich andere Erwartungen als das, was dann eintrat. Ich hatte mir eine Förderation gewünscht, eine staatsmännische Lösung und nicht diese Bananen-Coca-Cola-Geschichte, das Abspeisen mit Versprechungen.“ Man sieht ihn mit verkniffenem Mund und Sonnenbrille auf einer Bank vor dem Berliner Kino „Die Kurbel“ in Charlottenburg sitzen, das 2011 schließen musste.
„Oft bedanken sich die Besucher, dass ihr eigenes Leben durch die Fotos eine Wertigkeit bekommt. Das hat nichts mit Ostalgie zu tun, sondern einfach nur mit dem Schatz der Erinnerung“, so die Fotografin. Die Auswahl der Schauspieler hat sie gemeinsam mit dem Filmmuseum sowie mit der Defa-Stiftung getroffen, die das Projekt mitfinanzierte. Durch diese Projektförderung konnte sie den Kreis der Porträtierten erweitern und auch größere Bildformate wählen, was der Ausstellung im Spiel der Formate sehr zugute kommt. „Nun sind die Fotos nach Hause zurückgekehrt“, in die Stadt, in der die Leinwandhelden einst vor der Kamera standen. Absagen habe sie nur von wenigen erhalten. „Manfred Krug blockte ab und sagte: ,Ich bin jetzt Rentner’.“ Aufgeregt sei sie vor allem bei Eberhard Esche gewesen. „Er galt als schwierig. Aber dann verlief das Fotografieren doch sehr entspannt.“ Das sich Einigeln sieht man indes an Esches Pose mit den eng auf der Brust verschränkten Armen und dem trotzigen Blick.
Die Fotos erzählen viel über Mensch und Zeit und wie sich die Menschen auf die neue Zeit einließen: wahrhaftig und auf Augenhöhe. Da ist die sich selbstbewusst in Szene setzende Annekathrin Bürger, Michael Gwisdek als Möchte-Gern- Cowboy oder Katrin Saß, die nach einer tiefen Krise wieder die größte Vitalität ausstrahlt. Und dann der Grandseigneur Armin Mueller Stahl – in bekannt zugeknöpften Reserviertheit. Ja, selbst ein Rücken wird zum Erlebnis. Man sieht Horst Schulze, einst Baron von Instetten in der Verfilmung von Fontanes „Effi Briest“, wie er sich seinen Weg durchs Schilf bahnt: leicht gebückt und doch in einer straffen, adeligen Haltung.
Die Fotos haben bereits eine Weltumrundung hinter sich, waren in New York, Madrid oder Alexandria. Potsdam war die erste und ist jetzt die 23. Station. Was aber lesen Menschen in Ägypten in den Gesichtern der einstigen Defa-Schauspieler? „Wir waren 2010 in Alexandria, noch vor der Revolution. Die Besucher im Goethe-Institut haben uns ausgefragt, wie das nach der Wende war: wie sich dieses Zusammenwachsen zweier Staaten gestaltete und wie die Leute heute miteinander klarkommen. Natürlich mit der Frage im Hinterkopf: Wie kann es bei uns werden?“, erzählt Sandra Bergemann.
Die Fotos waren auch dort Auslöser, über das eigene Leben zu reflektieren.
Sandra Bergemann, „Gesichter der DEFA“, zu sehen bis zum 26. August, im Kunsthaus, Ulanenweg 9, Mi 11 - 18 Uhr, Do - Fr 15 - 18 Uhr, Sa + So 12 - 17 Uhr
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