zum Hauptinhalt

Kultur: Ein- und ausgegrenzt

Das Frauenzentrum zeigt Bilder der 1989 verstorbenen Malerin und Dissidentin Annemirl Bauer

Stand:

Dieses kraftvolle Pferd fliegt über alle Grenzen hinweg – geritten von einer zarten Frau mit unbändiger Energie. Es könnte die Malerin selbst sein, die über Mutter Erde die Zügel so sicher hält. Die Dissidentin Annemirl Bauer malte stets gegen Grenzen an. Auch nachdem sie aus dem Verband Bildender Künstler ausgeschlossen und mit Ausstellungsverbot belegt worden war. Sie hatte es gewagt, 1985 in zehnseitigen Eingaben an die großen Männer der DDR, wie den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker oder den Verbandspräsidenten Willi Sitte, die Reisefreiheit für alle Bürger zu fordern. Als diese dann im Herbst 1989 tatsächlich kam, war die Künstlerin bereits drei Monate tot. Gestorben an Krebs im Alter von 50 Jahren.

Das riesige Gemälde „Das fliegende Pferd“ war ein Auftragswerk, als Annemirl Bauer noch nicht im Abseits stand. Es hing viele Jahre in der Egon-Erwin-Kisch-Bibliothek in Berlin, bis nach der Wende ein privater Investor das Haus übernahm. Nun ist es für zwei Monate neben zahlreichen kleineren Bildern, Zeichnungen und Collagen zum Thema Matriarchat-Patriarchat im Frauenzentrum zu sehen.

Wer aber war Annemirl Bauer, nach der 2010 ein Platz in Berlin benannt wurde, die aber heute nur noch wenige kennen? Ihre Tochter Amrei – der Name ist wie Annemirl eine Verkleinerungsform von Annemarie – sorgt am Rande des Ausstellungsaufbaus für Aufklärung. Sie ist die Verwalterin des 16000 Werke umfassenden Nachlasses ihrer Mutter. Für die 42-Jährige ist es wichtig, dass die Hauptwerke im öffentlichen Raum etabliert werden. „Das fliegende Pferd“, an dem die Mutter zwei Jahre arbeitete, würde sie am liebsten gleich in Potsdam lassen und im neuen Landtag sehen. Sie hat auch schon an die Auswahlkommission für bildende Kunst geschrieben. Die Tochter scheint viel von der Energie ihrer Mutter geerbt zu haben. Sie kämpft um jede Ausstellungsmöglichkeit und stellt fast jedes Jahr eine Schau auf die Beine, um dem Werk ihrer einst ein- und ausgegrenzten Mutter posthum ein Podium zu geben. So gab es 2007 eine Personalausstellung im Museum Junge Kunst Frankfurt (Oder) und ab März 2012 sind in der Galerie des Bundestages Arbeiten zum Thema Mauer zu sehen: mit Mauertoten, Menschen mit Stacheldraht durch den Köpfen und ein großes „Berlin-Bild“ mit ungeteiltem Himmel.

„Meine Mutter dachte nie über Konsequenzen nach. Sie war unverstellt und geradlinig, ohne jedes diplomatische Kalkül. Sie kümmerte sich nicht um die Meinung der anderen, schuf sich als Künstlerin ihre eigene Welt.“ Schon als kleines Kind hatte sie sich darin eingerichtet, malte in ihrem Geburtsort Jena Märchen, die in der lokalen Presse veröffentlicht wurden. Bestärkt wurde sie durch ihre Mutter Tina Bauer-Pezellen, deren Kunst die Nazis als „verfemt“ aussortierten.

Eine Ausgrenzung, die auch die Tochter Annemirl im neuen System erlebte. In den Akten der Staatssicherheit ist nachzulesen, welche Zersetzungsmethoden ihren Willen brechen sollten: Verhöre, Steuernachzahlungen, Zwangsräumung des Berliner Ateliers. „Wenn es um den Kampf um Meinungsfreiheit ging und um die Rechte der Frauen, hat keine ihre Stimme so erhoben wie sie. Sie war wie ein Vogel, der gegen den Käfig fliegt“, sagte die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley einmal.

Auch von ihr gibt es ein Porträt im Nachlass von Annemirl Bauer, gemalt auf einem Eichentisch, als spontane Reaktion auf die Verhaftung von Bohley. Annemirl Bauer malte auf alles, was ihr zur Verfügung stand: auf Amtsformulare, Türen, Teppiche, Fenster. Ihre eigenwillige Kunst kann man heute auch in Niederwerbig im Fläming erkunden, wo Annemirl Bauer 1979 mit Tochter Amrei hinzog, um Platz für ihre großen Wandbilder zu haben. „Ich war damals in der zweiten Klasse und rebellierte dagegen. Ich wollte lieber wie bisher im dunklen Hinterhof Berlins mit meinen Freundinnen hinter den Mülltonnen spielen.“ Doch die kleine Amrei musste nun zuschauen, wie ihre Mutter in den bunten weiten Zigeunerkleidern und Gummistiefeln von den Bauern angestarrt wurde. „Ich wollte nicht auffallen, war eher die Brave. Meine Mutter sagte öfter: ,Mach doch mal den Mund auf und bringe statt einer Eins eine Vier in Betragen nach Hause.“ Amrei Bauer war, wie sie ganz unfeministisch sagt, „der Praktiker“ in dem Zwei-Frauen-Haushalt. Sie lernte Schlosser mit Abitur und hat nach dem Tod der Mutter das alte Pfarrhaus langsam und mit wenig Geld ausgebaut. „Jetzt ist es ein schöner stimmiger Ort rund um die Bilder geworden.“

Sie will ein lebendiges Museum daraus werden lassen, ein Treffpunkt auch für andere Künstler. Ganz im Sinne der Mutter, die immer von einer Wohngemeinschaft unter Künstlern geträumt hatte. Doch die Malerin, die in Zeiten der Gesichtslosigkeit ihr Gesicht wahrte, blieb letztlich einsam, sicher auch durch ihre Schwerhörigkeit. Gerade als Amrei Bauer in ihrer Loslösungsphase von der Mutter war, ist diese gestorben. Das Wiederaufeinanderzugehen und Verstehenkönnen kommt jetzt über die Bilder. Beim Sichten für die Ausstellung im Frauenzentrum entdecke Amrei Bauer ganz neue Facetten im Schaffen der Mutter, die mit den Jahren immer deutlicher und unverhohlener ihre Meinung auch als Feministin kundtat. Und nicht nur bei Männern damit aneckte. Sie hinterfragte bis in die schonungslose Karikatur getrieben die Rolle der Hausfrau, Zweitfrau, Kindfrau. „Aber meine Mutter war keine Terror-Emanze. Sie malte auch mappenweise Liebespaare.“

Schon Jahre vor ihrem Tod ging Annemirl Bauer zu verschiedensten Ärzten, getrieben von der Angst vor Krebs, den sie wohl schon fühlte. Als die Krankheit diagnostiziert wurde, war es zu spät.

Eröffnung heute, 18 Uhr, Frauenzentrum, Schiffbauergasse 4 H. Um 19.30 Uhr Vortrag: „Die gestürzte Göttin“ über die Entwicklung von der matriarchalen Muttergöttin zum patriarchalen Vatergott

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })