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Kultur: Ein Virtuose reinsten Wassers Der russische Pianist Igor Levi im Nikolaisaal

Nach Ungarn, Russland und Frankreich führte die musikalische Reise des Sinfoniekonzerts der Kammerakademie Potsdam unter der Leitung ihres Chefdirigenten Antonello Manacorda am vergangenen Samstag in den Nikolaisaal. Im Gepäck hatte man höchst anregende und durchweg spannungsreiche Kompositionen der jeweiligen Länder aus der ersten Hälfte des 20.

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Nach Ungarn, Russland und Frankreich führte die musikalische Reise des Sinfoniekonzerts der Kammerakademie Potsdam unter der Leitung ihres Chefdirigenten Antonello Manacorda am vergangenen Samstag in den Nikolaisaal. Im Gepäck hatte man höchst anregende und durchweg spannungsreiche Kompositionen der jeweiligen Länder aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Adventlicher Stimmungszauber, der in diesen Tagen gang und gäbe ist, war ausgeschaltet.

Béla Bartóks klassizistisches Divertimento für Streicher machte den Anfang. Das Auftragswerk für das Kammerorchester Basel aus dem Jahre 1939 gehört zu des Ungarn freundlichen Werken jener Zeit. Im düsteren zweiten Satz hört man jedoch eine Vorahnung der heraufziehenden weltgeschichtlichen Katastrophe, über deren Gefahr sich Bartók im Klaren war. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland 1938 fürchtete er, „dass sich auch Ungarn diesem Räuber- und Mördersystem ergibt“.

Schon bei diesem Stück konnte Manacorda seinen Sinn für Rhythmen und schillernde Farben unter Beweis stellen. Die Spezifik des Werkes mit ihren barocken Concerto-grosso-Effekten arbeitete er intensiv heraus und spürte den Charakter in all seinen Facetten nach. Da klang kraftvolle Volksmusik in ihrer fremdartigen Mentalität an, hoben sich die Kantilenen der Solovioline und Bratsche (sehr sensibel gespielt) heraus, spannte sich ein musikalischer Bogen mit großer emotionaler Steigerung, bei dem die Kammerakademie in völliger Übereinstimmung spielte und das Stück in einem großangelegten Decrescendo feinsinnig endete.

Danach war der Auftritt des russischen Pianisten Igor Levit, der am Beginn einer Weltkarriere steht, ein besonderes Erlebnis. Sein Musizieren in dem zwischen Melancholie und Verspieltheit pendelnden c-Moll-Konzert Nr. 1 für Klavier, Trompete und Streichorchester seines Landsmanns Dmitri Schostakowitsch aus dem Jahre 1933 war einfach klasse. Levit gab sich als Virtuose reinsten Wassers zu erkennen, vor allem in den schnellen Außensätzen. Jede melodische, harmonische und rhythmische Wendung wurde in ihrem Ausdruck mit höchster Plastizität und pointiert musiziert. Die unterschiedlichen stilistischen Ebenen, die Schostakowitsch köstlich und teilweise komödiantisch durcheinanderwirbelt, erreichten eine große Prägnanz. Die Kammerakademie, die unter Antonello Manacorda zur Höchstform auflief, hat in ihren Reihen bekanntlich veritable Solisten. So auch Nathan Plante, der hierbei den kommentierenden Trompetenpart übernahm.

Nach der Pause führten Manacorda und die Kammerakademie die Zuhörer in die Zauberwälder geheimnisvoller Feen, zu chinesischen Tempeln, aus denen pentatonische Harmonien erklingen. Auch ein ängstliches Däumelinchen, das schlafende Dornröschen sowie witziges Vogelgezwitscher konnte man erleben. Alles mit einfühlsamer Intimität von dem Franzosen Maurice Ravel hingepinselt. Die Ballettsuite „Ma mère l'oye“ („Meine Mutter, die Gans“) von 1910 choreografierte Manacorda mit konzentrierter Ruhe.

Die Vielfarbigkeit der Märchenbilder und ihre Stimmungen wurden von ihm und den klangschön intonierenden Musikern einfühlsam und mit Spielfreude in den Nikolaisaal gezaubert. Klaus Büstrin

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