
© Johanna Bergmann
Kultur: Ferien im Mehrzweckland
André Kubiczek über die schreckliche Leichtigkeit des Potsdamer Sommers 1985. Ein Roman, der ganz ohne Ostalgie auskommt
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Der Keplerplatz ist schön, sagt André Kubiczek. Aber so schön, dass man dort nun unbedingt einen Kaffee trinken muss, auch wieder nicht. Außerdem gibt es dort gar kein Café. Gab es noch nie. Weshalb sich die Protagonisten seines neuen Buches, die allesamt Am Stern wohnen, für so etwas lieber im Heider treffen. Aber das ist auch nicht mehr so kuschelig-versifft wie es mal war, sagt der Autor beim Treffen in einem Ausweichcafé im Holländischen Viertel.
Vom Potsdam von damals, von 1985, dem Jahr der „Skizze eines Sommers“, die Kubiczek nun gezeichnet hat, sind nur noch Reste erkennbar. Wer sie kennt, findet sie. Im Mai war Kubiczek am Keplerplatz. Hat auf der Bank, auf der sein Ich-Erzähler René immer sitzt, auf das Mädchen ohne Namen wartet oder mit seinem Kumpel Cola mit Weinbrand säuft, ein Selfie für Facebook gemacht. „Die Kaufhalle ist weg“ sagt Kubiczek. „Und wo jetzt Rewe drin ist, war früher die Mehrzweckgaststätte ,Orion’.“ Tagsüber Schülerspeisung und Gaststätte, abends Disko mit weißen Tischdecken. ,Mehrzweck’ ist ein Lieblingswort von Kubiczek, das in dem Buch mehrfach vorkommt. René, in dem buchstäblich der halbe André steckt, hat nämlich in seinem Zimmer eine Mehrzweckliege. „Ein Bett mit Bettkasten, das man tagsüber zu einer Couch zusammenschieben konnte. Mit eingebauten Regalen und verschiebbaren Rückenpolstern in einem traumhaften Kotzgrün.“ Viele Leser hätten ihm jetzt gesagt, dass sie auch so eine hatten. Kubiczek findet das amüsant. Das Buch erschien im Mai und läuft gut. „Es hat einen hohen Identitätsgrad.“ Nicht nur im Osten.
Denn Sommerferien gab es auch im Westen. Lange Wochen, die jeder in der Retrospektive ganz sicher immer glorifiziert. Die tagebuchartigen Notizen des Ich-Erzählers lesen sich wie eine zufällige Kritzelei am Rande eines Schreibblocks, eine Plauderei über Raum und Zeit, Sommer und Liebe. Es passiert nicht viel und irgendwann sind die Ferien eben vorbei. Es ist eine Art Leichtigkeit des Seins, erzählt entlang einer Handvoll von Teenagern in Potsdam. Die aber genauso gut im Saarland wohnen könnten.
„Es sind doch überall die gleichen Themen, die sie beschäftigen. Man will sich abgrenzen von den anderen, seinen eigenen Platz im Leben finden“, sagt Kubiczek.
René ist Einzelkind, die Mutter lebt nicht mehr, der Vater nimmt an einer Abrüstungskonferenz in Genf teil. Und lässt dem Sohn für acht Wochen Ferien reichlich Taschengeld da. René hat sturmfreie Bude, hört Musik, kopiert Kassetten für das von ihm angebetete Mädchen ohne Namen, stylt sich hundertmal am Tag die Haare, liest Baudelaire. Und dauergrübelt. Beim Betrachten der Lebensmittelvorräte, Konservendosen und Schmelzkäseecken, dämmert es ihm: „Das war sie, meine ganze Geschichte: Vater in der Schweiz, Mutter tot, Doppelkassetten-Recorder aus dem Shop.“
An Stellen wie diesen hat der ost-sozialisierte Leser einen Vorteil. Er kann mit Begriffen wie Intershop und Forumschecks etwas anfangen und er empfindet körperliche Schmerzen, wenn René seine teuren Schuhe aus dem Exquisit, das sich in Potsdam im Staudenhof befand, mit grauem Reparaturlack überzieht.
Kubiczek, geboren 1969 in Potsdam, aufgewachsen im Musikerviertel und in Waldstadt, gehört zur letzten Generation, die den Osten als als fast Erwachsene erlebte. Sein Vater war Dozent an der Potsdamer Hochschule für Staat und Recht, seine Mutter stammte aus Laos. Beide hatten sich beim Studium in Moskau kennengelernt. In seinem Roman „Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn“ beschreibt er autobiografisch die Familiensituation. Kubiczek war und ist dabei weder DDR-Rebell noch ostalgiegefährdet. Auch das neue Buch kommt ohne Schubladisierung aus: Es ist wie es ist. Kubiczek erzählt von einer DDR inklusive Mangelwirtschaft und staatlicher Bevormundung. Und es tut, jetzt aus der Entfernung der Jahre, nicht mehr weh.
Es geht ja auch um viel mehr. René und seine Freunde verlieben sich alle paar Tage neu, die Mädels nähen ihre eigenen Klamotten und schneiden den Jungs die Haare. Es wird viel gesoffen und geraucht, die Marlboro-Schachtel mit schlechten Ost-Zigaretten wieder aufgefüllt. Die Jungs aus der Platte lesen Nietzsche und Schopenhauer und benutzen Fremdwörter. Abgrenzung ist wichtig. Nicht so sein wie die verschlafenen, angepassten Alten. Also trägt man Schwarz, malt sich die Augen mit Kajal dunkel an, hört The Cure und Sisters of Mercy.
In einer Künstlervilla in der Mangerstraße – „die gab es nicht wirklich, die hab ich mir ausgedacht“ – lernt René eine ganz andere kleine Welt kennen. Frauen ohne Dauerwelle, mit Lederjacken statt Segeltuchblousons, man liest Heiner Müller und Brecht und hört Einstürzende Neubauten. Und Kubiczek kann so etwas erzählen, ohne dass es wertend klingt.
Kubiczeks Helden sind keine, sie nehmen sich einfach, was ihnen zusteht, nämlich diesen Sommer. Ein paar Wochen rumgammeln, zweimal die Woche Disco, dann in die Berge zu Oma, Freibad und wieder Disco. In Potsdam zieht René mit seinen Freundinnen durch die Parks, Sanssouci, Babelsberg, Neuer Garten. Jedem Park ist eine zugeordnet, und bald gehen ihm die Park aus, resümiert er. Probleme. Dann kommt der Vater zurück. René bekommt Bücher und Schokolade. Der Vater hat sich in der Schweiz eine Jeans gekauft und trägt statt Trenchcoat einen Wollpulli locker um die Schultern gelegt. Ab 1986, sagt Kubiczek, ahnten wir, dass das so nicht ewig funktionieren würde. Dass alles stagnierte. Im Buch fährt René nach den Ferien auf eine Elite-Internatsschule der Partei, ins Wehrlager, mit Kajalstift.
Heute wohnt Kubiczek mit Familie längst in Berlin. Für das Buch musste er das Potsdam der DDR noch mal hervorkramen, hat sich zum Beispiel an einem alten Stadtplan orientiert, damit die Straßenbahnlinien stimmen. Und hat sich ein Wörterbuch der Jugendsprache der 1980er-Jahre besorgt. Damit ihm nicht ein Begriff unterkommt, den es 1985 noch gar nicht gab. „Cool“, das hat er nachgeschaut, gab es schon. Ansonsten ist vieles „fürs Protokoll“ und „Penne“ sind keine Nudeln.
„Skizze eines Sommers“ von André Kubiczek, erschienen 2016 bei Rowohlt Berlin. Die gebundene Ausgabe kostet 19,95 Euro
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