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Kultur: Ferne, die nah geworden ist

Ingar Krauss’ Bilder von Russenkindern in der Brandenburg Lotto GmbH

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Ingar Krauss’ Bilder von Russenkindern in der Brandenburg Lotto GmbH 6000 Kilometer mit dem Auto. Von Berlin nach Archangelsk im nördlichen Russland und zurück. Der Fotograf Ingar Krauss nahm diese Strapaze auf sich. Er wollte zu Menschen ins ferne Russland reisen, in ein Land, das ihn schon seit seiner Schulzeit fasziniert. Der gebürtige Köpenicker erlernte zu DDR-Zeiten die russische Sprache wie andere Kinder. Doch auch er fand wenig Möglichkeiten, sie im Alltag zu benutzen. Die Sprache verblasste. 1979 nahm Inger Krauss an einer Klassenfahrt teil, die ihn in die Sowjetunion führte. Dieses Land, die Menschen und Landschaft, die Kultur begeisterten ihn. „Mir liegt die Mentalität der der dortigen Menschen sehr, weniger die der im westlichen Europa oder sogar in Amerika“, stellte er fest. Nun zeigt Krauss in der Land Brandenburg Lotto GmbH Fotografien aus Russland, Portraits von Kindern. Ingar Krauss ist einer der beiden Sieger, die am Wettbewerb um das Fotografiestipendium der Land Brandenburg Lotto GmbH teilgenommen haben. In seiner Bewerbung für das Stipendium reichte er Portraits russischer Kinder ein, düstere und beunruhigende Fotos von Mädchen und Jungen mit unvorstellbaren Schicksalen in Strafkolonien und Waisenhäusern. Ingar Krauss konnte sie nach umständlichen Genehmigungsverfahren besuchen und Fotos von ihnen machen. Auch jetzt, in der neuen Serie, sind Kinder und Jugendliche zu sehen, die sehr viel von ihrer Psyche freigeben. Schaut man ihnen in die Augen, dann erzählen sie von der Suche und der Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit, Verständnis und Hilfe, von ihrer Angst, Einsamkeit, ihren Verletzungen und Verstörungen. Obwohl sie fast alle einen melancholischen oder traurigen Ausdruck haben, sind sie nicht mehr von unüberwindlicher Hilflosigkeit durchdrungen. Ingar Krauss fotografierte die Mädchen und Jungen im Hintergrund religiösen Lebens. „Ich wollte herausfinden, was es bedeutet, ein Kind des 21. Jahrhunderts zu sein und beispielsweise in einem im Mittelalter gegründeten Nonnenkloster aufzuwachsen, Jungen im Messdienergewand und Mädchen, die Nonnen werden wollen. Mir war auch wichtig zu erfahren, ob es sich in den Gesichtern widerspiegelt, wenn sie in der Nähe zum christlichen Ritus aufwachsen.“ Die Religiosität der Russen ist während der sowjetischen Diktatur nie verloren gegangen. Die heutigen Großmütter retteten diese Tradition. Es bedeutete für sie Überleben in einer Zeit des verordneten Atheismus. Heute werden vor allem Kinder mit dem christlichen Glauben konfrontiert, da sie zumeist bei den Großeltern aufwachsen oder aus finanzieller Not in einem Kloster leben müssen. Sind Ingar Krauss’ Bilder Momentaufnahmen? Arrangements? Zufälle oder bewusste Posen? Jedes dieser Bilder steht für sich und die Gesamtheit der Bilder sagt nicht aus: so sind sie, die Russenkinder. Klischees werden nicht bedient, höchstens Muster – von einem Leben, das mit dem christlichen Glauben zu tun hat, der vielen russischen Menschen auch sozialen Halt gibt.Und darum wirken die Portraits nicht so hoffnungslos wie in der ersten Serie. Den Kindern und Jugendlichen, die teilweise selbstbewusst auftreten, spürt man an, dass sie nicht so leben wollen wie ihre Großeltern und Eltern. Von der amerikanischen Autorin Susan Sonntag stammt der Satz: „Eine der Aufgaben der Fotografie besteht darin, die Mannigfaltigkeit der Welt zu erschließen und unsere Sinne dafür auszubilden.“ Ingar Krauss will den Betrachter für ein Stück Ferne sensibilisieren, eine Ferne, die durch ihn uns nah geworden ist. Klaus Büstrin Bis 17. Dezember, Mo-Do 9-17 Uhr, Fr 9 bis 13 Uhr, Steinstraße 104-106.

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