Kultur: Früher wurden noch Kampf- und Pionier-Lieder gesungen
Heute zählen die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci zu den renommiertesten Festivals in Deutschland – ein Rückblick auf die turbulente Geschichte in den vergangenen 60 Jahren
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Nach dem Mauerfall bemühte sich die Stadt Potsdam als Veranstalterin der Parkfestspiele Sanssouci, den Musiktagen 1990 schnell einen neuen Anstrich zu geben. Kurzfristig änderte man das bereits fertige Programm. Die ersten Auflösungserscheinungen des alten Systems wurden auch hierbei deutlich. Pflichtveranstaltungen, die den Sozialismus mithilfe der Musik preisen sollten, blieben aus. Das Konzertprogramm wurde durch vermehrte Einladungen von internationalen Gästen, vor allem auch aus westlichen Ländern, plötzlich spannender.
Eine neue Konzeption, eine andere Programmdramaturgie wurde angestrebt. 1991 schrieb der damalige Oberbürgermeister Horst Gramlich in das Programmheft: „Um die Absicht zu dokumentieren, die alljährlichen Parkfestspiele in den Rang von internationalen Musikfestspielen zu erheben, erhielten die diesjährigen Veranstaltungen in den Schlössern und Gärten der preußischen Könige zunächst eine andere Bezeichnung.“ Die in der Trägerschaft der Stadt Potsdam stehenden Musikfestspiele Potsdam Sanssouci werden seit 1991 von der promovierten Musikwissenschaftlerin Andrea Palent geleitet. Sie konnte sie zu einem international anerkannten Festival führen, in dem vor allem die Alte-Musik-Szene ein Zuhause hat. Wenn am heutigen Freitag die diesjährigen Musikfestspiele in der Friedenskirche eröffnet werden, wird an das 60-jährige Jubiläum von Festspielen im Park Sanssouci und darüber hinaus erinnert.
1954, neun Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, stand man noch unter dem Eindruck der Weltfestspiele der Jugend, die 1952 in Berlin mit der Außenstation Potsdam stattfanden. Gesangs- und Tanzensembles aus aller Herren Länder sorgten für Abwechslung und begeisterten die Potsdamer. Fortan sollten alljährlich Kulturgruppen vor allem Folkloristisches auf die Naturbühne der Parkoper am Klausberg bringen. Die Parkfestspiele Sanssouci wurden geboren. Hauptveranstaltungsort blieb vorerst die Parkoper. Zwar sang in ihr auch der Thomanerchor Leipzig, wurde die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven zu Gehör gebracht oder Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“ vom Musiktheaterensemble des Hans Otto Theaters aufgeführt, doch Gesangs- und Tanzensembles, vornehmlich der Pädagogischen Hochschule Potsdam und der sowjetischen Armee, gaben den Ton an.
Allmählich dämmerte es aber bei den Verantwortlichen im Potsdamer Rathaus: Festspiele mit einem vielseitigen Programm könnten einen großen Besucherkreis ansprechen. 1967 wurden die Parkfestspiele als Musikfestspiele neu profiliert. Der alte Namen blieb jedoch erhalten. Oberbürgermeisterin Brunhilde Hanke teilte mit: „Wir haben uns von dem Gedanken leiten lassen, dem musikalischen Höhepunkt in unserem Konzertleben unter Berücksichtigung der ständig wachsenden differenzierten Bedürfnisse der Werktätigen Vielgestaltigkeit und künstlerischen Reichtum zu verleihen.“ Sie fügte hinzu, dass das Bestreben der Programmmacher sei, dem Musikschaffen der DDR, der Sowjetunion und der sozialistischen Bruderländer einen festen Platz in unserem Musikleben zu geben. Friedrich Ebert, Mitglied des SED-Politbüros, plädierte ein paar Jahre später, die Parkfestspiele Sanssouci zu einem nationalen Ereignis werden zu lassen. Doch die Kulturverantwortlichen in der Zentrale der SED lehnten ab. Allein die Dresdner Musikfestspiele seien neben den Berliner Festtagen in diese Richtung zu führen. Die Musiktage in Potsdam blieben bis 1990 ein lokales Fest.
Die Schlösser und Gärten der Preußenkönige waren stets willkommene Orte, um solche Musikfeste zu feiern. Doch so manche Komposition, die zu DDR-Zeiten musiziert wurde, war der stets beschworenen Harmonie von Architektur, bildender Kunst und Gartengestaltung wenig förderlich, beispielsweise Darbietungen von Kampf-, Pionier- und FDJ-Liedern, des Lenin-Requiem von Hanns Eisler oder des Mansfelder Oratoriums von Ernst Hermann Meyer zumeist in der Bildergalerie Sanssouci unter den Werken von Rubens, van Dyck oder Caravaggio. Doch auch das Schlosstheater und der Ehrenhof im und am Neuen Palais, der Raffaelsaal in der Sanssouci-Orangerie, der Jaspissaal in den Neuen Kammern, das Musenrondell, das Chinesische Teehaus wurden zu beliebten Konzertorten im Juni eines jeden Jahres. Das Musizieren und Spielen in der sanierungsbedürftigen Parkoper wurde Anfang der Sechzigerjahre jedoch eingestellt, da die Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam Sanssouci das Areal wieder in eine Parklandschaft zurückverwandeln wollten, was bisher aber ausblieb.
Neben Potsdamer Künstlern fanden sich renommierte Instrumentalensembles und Solisten der DDR sowie aus dem sozialistischen Ausland ein. Auch Künstler aus dem Westen fanden immer mehr den Weg nach Potsdam. Das Orchester des Hans Otto Theaters wurde in der Regel für das Eröffnungs- und das Abschlusskonzert eingeladen, das Defa-Sinfonieorchester war ebenfalls dabei, die Singakademie Potsdam interpretierte ein chorsinfonisches Werk und die Potsdamer Turmbläser intonierten regelmäßig die von dem Rehbrücker Komponisten Gerhard Rosenfeld geschriebene Festspielfanfare. Großen Anklang fanden die „Getanzten Kostbarkeiten“ mit international bekannten Ballettsolisten sowie die Reihe mit preisgekrönten jungen Gesangs- und Instrumentalsolisten. Waren die Festspieljahre 1971/72 mit den in das Programm integrierten „Tagen der Schulmusik“ und des „Künstlerischen Leistungsvergleichs der Pädagogischen Hochschulen und Institute der DDR“ von Politpropaganda regelrecht überfrachtet, so wurden die Musiktage 1983 zum Höhepunkt der Parkfestspiele. In Zusammenarbeit mit der Neuen Bachgesellschaft konnten die Bachtage in Potsdam veranstaltet werden. Erstmals erlebten die Besucher kein sommerliches Potpourri, sondern ein in sich geschlossenes Programm. Ein Novum war das Konzert in einem Gotteshaus: Matthias Eisenberg spielte auf der Schuke-Orgel der Erlöserkirche.
Veranstaltungen in Potsdamer Kirchen sind seit dem Neubeginn des Festivals 1991 gang und gäbe. Die Eröffnung findet traditionell in der Friedenskirche statt. Von Anfang haben Andrea Palent und ihr Team, in den ersten Jahren waren nur zwei bis drei hauptamtliche Mitarbeiter im Festspielbüro tätig, auf eine jährlich wechselnde und in sich geschlossene Programmkonzeption zu bestimmten Themen hingearbeitet. Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci gGmbH, die längst zur prägenden Kulturinstitution der Landeshauptstadt gehört, erringt beim landeshauptstädtischen, beim Berliner und internationalen Publikum immer wieder große Zustimmung. Aktuelle Themen der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten werden aufgegriffen und durch die Welt der Musik in einen besonderen Fokus gestellt. Man denke nur an die Veranstaltungen zum 300. Geburtstag Friedrichs des Großen vor zwei Jahren. Das Festival in einem immer mehr zusammenwachsenden Europa zu verankern, davon zeugen auch die Jahrgänge, die beispielsweise nach Großbritannien, Venedig, Skandinavien und in diesem Jahr an das Mittelmeer führen. Namhafte Ensembles, Instrumentalsolisten und Sänger reisen nach Potsdam, um Schlösser, Gartenanlagen oder Kirchen der Stadt und der Umgebung mit Musik zu füllen. Die Wiederentdeckung von vergessenen Opern und deren Aufführungen gehören stets zu den spannenden Höhepunkten. Fazit: Der Dreiklang aus Programm, Künstler und Spielstätten ist von manchen magischen Momenten durchdrungen.
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