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Geistiger Austausch. Friedrich II. von Preußen und Voltaire um 1800, dargestellt auf einem Kupferstich von P. C. Baquoi nach einem Bild von N. A. Monsiaux.

© SPSG/Daniel Lindner

Kultur: Große Geister

Friedrich II. und Voltaire – Freundschaft oder Zweckbündnis?

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Es ist das Jahr des Königs. Zum 300. Jubiläum seiner Geburt ist Friedrich II. in Potsdam und Brandenburg das prägende Thema. Ob Konzert, Buchvorstellung, Theater oder Ausstellung, am berühmten Preußenkönig kommt man nur schwer vorbei. In den kommenden Wochen sollen an dieser Stelle die unterschiedlichen Facetten des Königs beleuchet werden, der unter anderem auch Musiker, Philosoph, Kunstliebhaber und Dichter war.

Zweiundvierzig Jahre währte die Korrespondenz zwischen Friedrich II. und Voltaire. Sie überdauerte Meinungsunterschiede, Zwistigkeiten und ein heftiges Zerwürfnis und liefert somit selbst ein beredtes Zeugnis von Freundschaft. Selbst im hohen Alter hörte der geistige Austausch nicht auf und zeigt, dass beide Verfasser ihren Worten und Überzeugungen und damit auch dem anderen treu geblieben sind. Der Briefwechsel begann im August 1736 als der erst 24-jährige Kronprinz einen Huldigungsbrief an Voltaire schreibt, ihn um die Zusendung neuer Werke bittet und formuliert: „Ah! Möge der Ruhm sich meiner bedienen, um Ihre Erfolge zu krönen!“ Schon hier klingen Motive an, die beide zusammengeführt haben. Neben Bewunderung und Begeisterung für die Ideen der Aufklärung spielte das Streben nach Ruhm und Erfolg eine wichtige Rolle. Im Januar 1778 schreibt Friedrich zum letzten Mal an Voltaire, um ihm für die Zusendung einer Denkschrift über wirtschaftliche und soziale Missstände in der Provinz Burgund zu danken. Seine letzten Worte an den 84-Jährigen, dessen Tod schon fälschlich verkündet worden war, lauteten: „So leben Sie denn, , um auf Ihrer strahlenden Bahn fortzuschreiten, zu meiner Befriedigung und zu der all jener Wesen, die denken.“ Nach über 38 Jahren im schweizerischen Exil war Voltaire erstmals nach Paris zurückgekommen und hatte dort in den letzten vier Monaten seines Lebens solch überwältigende Huldigungen erlebt, dass ihm sogar sein Glauben an die Hellsichtigkeit der Menschen bestätigt scheint, wie er Friedrich schreibt. In diesem bewegenden Schreiben, das wie ein Abschiedsbrief klingt und de facto sein wird, schlägt Voltaire ein letztes Mal die ihn lebenslang bewegenden Themen an: Überwindung des Aberglaubens, Bekämpfung der Vorurteile, Streben nach Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden.

Die Korrespondenz zwischen dem Roi philosophe und dem König der Philosophen repräsentiert nicht nur den „ersten kontinuierlichen europapolitischen Austausch auf höchster Ebene“, sondern auch das „Zeugnis einer Freundschaft, welche die üblichen Formen sprengt, selbst jene des Jahrhunderts der Freundschaft“, schreibt der Schriftsteller Hans Pleschinski, der die Briefe neu übersetzt hat. Von Friedrichs Ideal kündet auch der Freundschaftstempel im Park Sanssouci. Zwar steht darin die Statue seiner Lieblingsschwester Wilhelmine, aber an den tragenden Säulen befinden sich Medaillons von vier berühmten männlichen Freundespaaren der Antike. Bereits Aristoteles hatte Freundschaft als wichtigen Bestandteil des Staats beschrieben und dabei zwischen Nutzen-, Lust- und Tugendfreundschaft unterschieden. Bestärkt wurde Friedrich in seinem Kult von Voltaire, der ihm schrieb, dass „die Freuden der Freundschaft die des Königseins übertreffen“. Aus heutiger Sicht ist oft bezweifelt worden, ob Friedrich überhaupt in der Lage war, eine auf gegenseitigem Respekt begründete Beziehung im modernen Sinn zu führen. So spricht der Historiker Wilhelm Bringmann generell bei Friedrich von als „Freundschaft verkleideter Leibeigenschaft“. In der Tat bedient sich der König auch kriegerischer Listen, um seinen „französischen Apoll“ nach Berlin zu bringen. Im Vorfeld von Voltaires erstem Aufenthalt in Potsdam 1743 hatte Friedrich II. über Mittelsmänner dem Bischof von Mirepoix einen Brief zuspielen lassen, in dem Voltaire sich respektlos über diesen Bischof geäußert hatte. Friedrich bemerkte dazu an seinen Vertrauten Graf Rothenburg: „Es ist meine Absicht, Voltaire mit Frankreich so restlos zu entzweien, daß ihm nichts anderes übrig bleiben wird, als bei mir zu bleiben.“

Sicher war das gemeinsame Interesse an Fragen der Philosophie der Aufklärung bei beiden Männern verknüpft mit der „Ambition einer literarischen Selbststilisierung im Medium der Briefkultur“, mutmaßt die Literaturwissenschaftlerin Brunhilde Wehinger. Während der König mit Voltaires Hilfe in seinen Schriften das Bild eines aufgeklärten Monarchen malte, sah Voltaire die vielversprechende Möglichkeit, einem jungen Fürsten und zukünftigen Herrscher die Ideen der Aufklärung zu vermitteln. Denn anders als seine royalen Kollegen in Frankreich war der preußische Thronfolger brennend an den geistigen Bewegungen seiner Zeit interessiert. Durch ihr philosophisch-literarisches Streben wurden beide zu Bewohnern einer humanistischen République des lettres, in der allein die Wahrhaftigkeit der Ideen regierte, wenn auch diese Utopie für Voltaire allzu oft mit der Realität im Staate Preußen kollidierte. Der wechselseitige Briefwechsel verblüfft bis heute mit derartiger Vielfalt, von der Mitteilung politischer und philosophischer Gedanken bis hin zu zwischenmenschlichen Dingen, dass man ihm zuletzt wohl kaum noch rein eigennützliche Motive unterstellen wird. Heute lässt die Lektüre den Leser am geistigen Austausch zweier prägender Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts, deren Einfluss weit darüber hinaus geht, auf höchstem Niveau teilhaben. Zugleich sind die Briefe Dokumente einer Schreibkultur, die in dieser Form wohl unwiderruflich zur Vergangenheit gehört.

Von Angesicht zu Angesicht begegnet sind sich Friedrich und Voltaire nicht sehr häufig. Das erste Treffen fand im 1740 in Kleve statt und dauerte nur wenige Stunden. Voltaires letzter und längster Aufenthalt in Berlin von 1750 bis 1753 endete mit Verfolgung und Gefangennahme. Während seines Aufenthaltes hatte Voltaire verbotenen Handel mit Devisenscheinen betrieben und eine Satire gegen den Präsidenten der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Pierre-Louis Moreau de Maupertuis, verfasst und sich damit den Zorn des Königs zugezogen. Auslöser für die Gefangennahme war ein Band mit königlichen Gedichten, den Voltaire nicht zurückgegeben hatte. Voltaire und seine Gefolgschaft wurden auf königlichen Befehl in Frankfurt arretiert und unter äußerst erniedrigenden Umständen mehr als einen Monat festgehalten.

Erst die räumliche Distanz brachte beide große Geister wieder näher zu einander. Hatten sie sich anfänglich in gegenseitigen Schmeicheleien, Freundschafts- und Liebesbekundungen überboten, so meint man in den Briefen nach Voltaires Weggang aus Preußen nur kaum unterdrücktes Wutschnauben des Königs zu spüren. Doch manch andere Kühnheiten ignorierte er völlig. So hatte der Franzose wiederholt angesichts der preußischen Feldzüge in Schlesien den Krieg angeprangert und für Frieden geworben, etwa mit den für damalige Zeiten ungeheuer direkten Worten an einen König: „Werden Sie denn niemals aufhören, Sie und Ihre Amtsbrüder, die Könige, diese Erde zu verwüsten, die Sie, sagen Sie, so gerne glücklich machen wollen?“ Dieser Appell ging jedoch an Friedrich vorbei.

Höchstpersönlich wird der Briefwechsel während des letzten schlesischen Krieges. Auf Friedrichs Todesgedanken antwortete Voltaire mit einem inständigen Aufruf zum Weiterleben. Im Alter wird der Ton zunehmend milder, sogar beinah herzlich, aber zugleich treten die Differenzen klarer hervor. Friedrich beglückwünscht Voltaire zu seiner „hohen Meinung von der Menschheit“, die er jedoch keinesfalls zu teilen vermag. Der „Einsiedler von Sanssouci“, wie Friedrich sich nannte, grüßt den „Patriarchen von Ferney“. Dort, auf seinem großen Landgut in der Schweiz versuchte Voltaire die Maxime seines satirischen Romans „Candide“ zu verwirklichen. Dessen Schlusssatz „Wir müssen unseren Garten bestellen“ beinhaltet die „behutsamste und offenste und zerbrechlichste Utopie des 18. Jahrhunderts“, schrieb Hans Pleschinski. Doch nicht dieser hoffnungsvolle Wunschtraum, sondern die große Desillusionierung im Welttheater von Candide rief die Zustimmung des Preußenkönigs hervor, dessen Zusammenfassung aus der Lektüre lautete: „Der Beweis findet sich auf jeder Seite / Sie sehen selbst in diesem Werk/ dass alles schlecht ist“ .

Voltaires unterdrückter Groll wegen der Vorfälle in Frankfurt löste sich erst auf, als der König beschloss, eine Statue des Philosophen mitzufinanzieren. Die eindrucksvolle Skulptur des Bildhauers Jean-Baptiste Pigalle zeigt den nackten, alten, kahlen Philosophen auf einem Baumstumpf sitzend. Von diesem Meisterwerk, das die humanistischen Ideen der Aufklärung kongenial zum Ausdruck bringt, ließ Friedrich eine Kopie im Vestibül von Schloss Sanssouci aufstellen. Es war für Voltaire eine große Genugtuung, als er von dieser versöhnlichen Geste des Königs erfuhr. Schließlich würdigte Friedrich den Philosophen, Historiker, Dramatiker und Dichter der aufklärerischen Vernunft in einer selbst verfassten, überaus langen, hoch interessanten Totenrede, die im November 1778 bei einer Sondersitzung der Berliner Akademie der Wissenschaften verlesen wurde.

Zum Weiterlesen: „Geist und Macht“, herausgegeben von Brunhilde Wehinger, Verlag Stiftung Preußische Schlösser und Gärten; „Voltaire – Friedrich der Große: Briefwechsel“ herausgegeben von Hans Pleschinski, Deutscher Taschenbuch Verlag

Babette Kaiserkern

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