
© Andreas Klaer
Dieter Moor: „Hier leben nicht die Deppen“
Wie will das Theater mit so einem Himmel wie in Hirschfelde konkurrieren? Dieter Moor schwärmt vom Aufgehobensein in seiner Dorffamilie und präsentiert „Frisches aus der arschlochfreien Zone“
Stand:
Herr Moor, Sie mussten nach Ihren ersten „Geschichten aus der arschlochfreien Zone“ harsche Kritik von Dorfnachbarn einstecken. Angeblich haben Sie die heilige Ruhe gestört und regelrechte Autokarawanen mit neugierigen Mitmenschen zu Ihrem Hof gelockt. Nun legen Sie ganz mutig ein zweites Buch vor, das diesen Tourismus erneut schürt?
Ja, es ist bereits eine Autobahn beantragt, die dreispurig nach Hirschfelde führt. Wo jetzt noch Büffel auf der Weide grasen, erstreckt sich bald ein Massenparkplatz. Aber Spaß beiseite. Es ist drei Jahre her, dass in einem Magazin ein Artikel stand, der aufgrund von neun Zugezogenen geschrieben wurde, die sich beschwert hatten.
Gab es einen konkreten Anlass für den Frust?
Wir haben ein Dorffest veranstaltet mit einem Programm vom Feinsten, an dem die verschiedensten Institutionen mitgewirkt haben. Auch wir stellten unseren Hof ganz selbstverständlich zur Verfügung. Am Ende hieß es dann: Das waren die Moor-Festspiele. Das hat mich schon geärgert.
Das hört sich nicht nach Idylle an.
Ein Dorf ist wie eine Familie, und da kommt es auch zu Streit. Es wäre komisch, wenn das anders wäre. Wir fühlen uns jedenfalls sehr wohl dort. Inzwischen leben meine Frau Sonja und ich fast zehn Jahre hier. Und wir haben es sogar geschafft, dass jetzt auch für uns Menschen eine artgerechte Haltung auf dem Hof möglich ist. Ja, und wir werden uns bald auch von unserem bröckelnden hundekackfarbigen Hausputz trennen.
Und wie geht es dem kleinen Schweizer in Ihnen, der sich ja auch in Ihrem zweiten Buch „Lieber einmal mehr als mehrmals weniger“ ab und an meldet?
Er ist zwar noch da, aber er wird kleiner und kleiner. Langsam wächst der kleine Brandenburger heran und wird erwachsen.
Aber noch muss Ihnen ein Freund aus der Schweizer Heimat zur Seite springen, wenn der Hürlimann, ihr unkaputtbarer Trecker aus der Schweiz, plötzlich doch streikt und in Tausende Teile zerlegt werden muss, um die Kupplungsscheibe auszuwechseln. Da prallt in Ihrem Buch das poltrige Brandenburgische wie ein Wumme auf das Schwyzerdütsch.
Ja, und es kommen ja auch noch Bayern und Norddeutsche dazu. Eine wilde Mischung aus Mentalitäten, die sich merkwürdigerweise in Amerika, wie ich unser Dorf in meinem Buch nenne, alle ganz gut verstehen.
Obwohl man sagt, dass die Brandenburger Sturköpfe und nicht gerade das Musterbeispiel an Toleranz sind.
Unser Dorf ist unglaublich integrativ. Das Vorurteil, in den brandenburgischen Dörfern leben nur Dumpfbacken, trifft hier nicht zu.
Also auch kein Rechtsextremismus?
Der hat vor allem etwas mit strukturschwachen Gegenden zu tun, wo es für die Menschen schwer ist, eine Perspektive zu finden. Da findet Extremismus aller Couleur fruchtbaren Boden. Das ist in Bayern oder im Saarland nicht anders als in Brandenburg. In unserem Dorf wird aber traditionell links gedacht und gewählt.
Gibt es in Ihrem Dorf also keine Strukturprobleme?
Auch bei uns existiert inzwischen keine Kneipe mehr, und der kleine Laden hält sich eher schlecht als recht über Wasser. Doch es gibt noch die kleinen Handwerksbetriebe. Ich bin Fan der Kleinstwirtschaft. Es führt doch zu nichts, wenn Großmärkte auf der grünen Wiese entstehen oder Agrarkonzerne die Landwirtschaftsflächen aufkaufen. Dann wird der sanfte Tourismus wieder abgesägt. Wer will schon Urlaub im Maisfeld machen? Das bringt eine Verödung der Landschaft mit sich und die Gefahr, dass die Dörfer aussterben. Gerade die kleinen Orte sollten aus sich selbst heraus wirtschaftlich funktionieren. Großprojekte wie Cargolifter, Lausitzring oder Nürburgring haben gezeigt, dass so etwas nicht funktioniert. Ich bin ein Verfechter des Genossenschaftlichen, aber das ist nicht steuerbar. Meine Frau hat für ein Modelldorf eine Ideenliste aufgestellt. Mehr kann man nicht tun.
Im Dorf zu leben heißt auch, immer im Blick der Nachbarn zu sein.
Ich glaube, im Dorf sind die sozialen Kompetenzen größer als in der Stadt. Du musst dich mit allen Leuten abgeben, ob er dir passt oder nicht, mit Menschen, die ganz anders ticken. Und du merkst dabei vielleicht, dass der andere nicht zwangsläufig schlechter ist. Ich will gar nicht die Anonymität, die alle so hoch loben. Das sich untereinander Kümmern und voneinander Wissen, dieses Aufgehobensein in der Gemeinschaft, wenn es eng wird, das finde ich wichtig. Will man anonym sein, ist man schnell auch verdammt einsam.
Und so ein prominenter Fernsehmann wie Sie, gerät der nicht besonders schnell in die Gerüchteküche?
Ja, natürlich. Aber auch das mag ich. Als wir ganz frisch da waren, mussten wir uns eine Heupresse anschaffen. Dann kam ein kleiner Junge und sagte, er möchte mal unsere Brauerei sehen, die wir im Keller haben. Also ließ ich ihn in den Keller schauen, wo natürlich kein Bier gebraut wurde. Aber diese Riesenlieferung der verpackten Heupresse nährte halt Gerüchte.
Sie lassen nichts auf das Dorfleben kommen. Fahren Sie da noch gern nach Berlin?
Ich fühle mich schon als Landei. Früher hieß es immer, die Deppen sind auf dem Land. Als ich aber gerade vor Kurzem für die Aufnahme eines Hörbuchs früh einen Termin in Berlin hatte und in einem Straßencafé saß, dachte ich: Hier wohnen nur Zombies. Mit Spiegelbrillen und Kopfhörern sahen sie aus wie 3D-animiert, erschreckend gleichgeschaltet. Die Eigenarten auf dem Land sind mir wesentlich näher als die der Businesstypen, Revoluzzer, Intellektuellen, die sich untereinander so ähneln.
Und Kino, Theater. Vermissen Sie das nicht?
Ich kann ja jederzeit hinfahren. Aber es wird immer weniger. Wenn ich mit Sonja auf dem Hof sitze und die Sonne untergeht, denke ich: Wie will das Theater mit so einem Himmel konkurrieren? So gut kann eine Premiere gar nicht sein. Da muss ich mich oft schon überwinden. Hin und wieder gelingt es nicht.
Das Cover Ihres ersten Buches zeigt Sie mit einem Lämmchen auf dem Arm. Da weiß man nicht recht, wer wen festhält. Jetzt lehnen Sie sich bei „Frisches aus der arschlochfreien Zone“ selbstbewusst wie ein Rancher auf einen Wasserbüffel.
Das erste Cover war eigentlich ironisch gemeint. Es sollte ein bisschen wie der Heiland wirken. Diese Ironie haben aber die wenigsten entdeckt. Ja, und inzwischen bin ich ja auch tatsächlich ein Bauer geworden. Wir haben mit sechs Mutterschafen angefangen, jetzt sind es etwa 40. Und dann versorgen wir noch 100 Rindviecher sowie etliche Katzen und Hunde.
Können Sie da überhaupt mal wegfahren?
Warum soll ich verreisen? Es gibt aber mittlerweile Leute, zu denen wir so viel Vertrauen haben, dass sie unseren Hof führen, wenn wir weg sind. Sonja und ich waren jetzt fünf Tage auf der Buchmesse. Das war ein Rekord. Aber ich vermisse es gar nicht, das Wegreisen.
Sie selbst sind Moderator und auch Kritiker. Hatten Sie nach der Veröffentlichung Ihrer Bücher Angst vor den Kritiken Ihrer Literaturkollegen?
Meine Dorfgeschichten laufen als Sachbücher. Sie erheben nicht den Anspruch, Literatur zu sein, und so gibt es auch keine Literaturkritik. Keiner kann die Nase rümpfen und sagen, dieser Fernsehgaukler maßt sich an, Literatur zu schreiben. So stehe ich außerhalb der Kritikwürdigkeit.
Dafür haben Sie aber eine riesige Auflage. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Sicher, weil ich eine Fernsehnase bin. Und dann sind es Taschenbücher, da geht man kein großes finanzielles Risiko als Käufer ein. 400 000 war die Auflage beim ersten Buch und jetzt sind wir auch schon bei über 100 000. Ich bin einfach überrascht und glücklich über diesen Zuspruch. Ich hatte aber durchaus große Ängste jetzt beim zweiten Buch, ob ich den Erwartungen erneut gerecht werde. Aber nach den ersten Lesungen sieht es so aus, als würde dieser Nachschlag akzeptiert, auch die lange Hürlimann-Passage. Aber wenn so ein Trecker ausfällt, hast du wirklich ein Problem.
Und das mussten Sie dann natürlich auch ausführlich beschreiben.
Meine Verlegerin war auch etwas skeptisch. Also habe ich bei einer Lesung in Calau, die fast nur von Frauen besucht wurde, diese Passage ausgelassen und mich mehr auf die Wasserbüffel konzentriert. Aber diese Zuhörerinnen beklagten am Ende, dass sie den Hürlimann vermisst hätten.
Diese Szene, als Ihr Freund den Trecker zerlegt und Nachbarn dazukommen, zeigt natürlich auch, dass es eine gewisse Nähe zwischen den Brandenburgern und Schweizern gibt.
Beide haben einen gewissen Pragmatismus. Das liegt vielleicht am Landleben: Da gibt es diesen Ehrgeiz, dass man die Sachen anständig macht, nicht halbherzig. Die Schweizer sind allerdings komplizierter. Wenn du einen Brandenburger fragst, ob er bei dir mitessen will, und er sagt: Nö – dann ist das so. Der Schweizer würde aus Höflichkeit wahrscheinlich Ja sagen. Du weißt nie, ob er wirklich Hunger hat.
Autoren schreiben ja gern Trilogien. Planen Sie schon das Neueste vom Neuen aus der arschlochfreien Zone?
Ich würde gern mal etwas anderes schreiben, ein Buch, das nicht in der Ich-Form ist. Vielleicht eines über die Medien oder die Stadtwelt mit einer Figur, von der keiner denkt, das bin ich.
Das Gespräch führte Heidi Jäger
Lesung am kommenden Donnerstag, dem 15. November, um 20 Uhr, Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11, Karten von 18,50 bis 25,20 Euro unter Tel. (0331) 28 88828
Dieter Moor, 1958 in Zürich geboren, ist ein Fernseh-Moderator, der im gesamten deutschsprachigen Fernsehen tätig ist.
Der Schweizer wuchs auf dem Land als Sohn eines Versicherungsvertreters auf. Nach der Schule besuchte er die Zürcher Schauspielakademie und arbeitete als Schauspieler in Film und Theater.
Bis 2003 lebte er mit seiner Frau Sonja, einer Filmproduzentin, auf einem kleinen Bauernhof in Bäretswil im Zürcher Oberland.
Danach entschieden sie sich, die Landwirtschaft ernsthaft zu betreiben und wechselten nach Hirschfelde (Stadtteil von Werneuchen) in die Nähe von Berlin in Brandenburg. Sie bewirtschaften dort inzwischen einen landwirtschaftlichen Betrieb mit ökologischem Landbau von 70 Hektar nach Demeter-Richtlinien und züchten unter anderem Wasserbüffel und Galloway-Rinder. Gemeinsam engagieren sie sich in dem Projekt Modelldorf-Hirschfelde für ein ökologisches und soziales Miteinander.
Seit November 2007 präsentiert Dieter Moor die ARD-Kultursendung „ttt – titel, thesen, temperamente“.
Seine Tochter ist die Schauspielerin Miriam Stein.
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