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Kultur: Im Osten was Neues

Im Kunsthaus „sans titre“ gibt es „Licht, Luft und Liebe“ und den Wunsch, es zu erhalten

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Wenn Gäste kommen, rücken alle zusammen. Bildhauer Chris Hinze hat seine Holzplastiken derzeit im Lager verstaut, um der Ausstellung „Licht, Luft und Liebe“ der Potsdam-Initiative „Metropolar“ genügend Raum zu bieten. Die beschäftigt sich mit dem baulichen Erbe der DDR und will für den Umgang mit Geschichte sensibilisieren. Das passt bestens ins Konzept des Kunsthauses „sans titre“, dem 60er-Jahre-Bau mit dem Charme eines Industrielofts. Ab 26. August schließt dort eine Ausstellung an, die thematisch aufsattelt und Zeichnungen von Sabine Moritz über Jenas Neubaugebiet Lobeda zeigt.

Bis vor zwei Jahren war dieses Haus im Französischen Quartier noch eine „Gruft“: dunkel, kalt, unwirtlich. Die Fensterscheiben weiß zugestrichen, die Heizungsrohre rausgerissen, der Raum in viele kleine Buchten geteilt. Vor der lichten Offenheit, die heute das Haus durchzieht, lagen Hunderte Stunden schwerer Muskelarbeit. Die Künstler Mikos Meininger und Chris Hinze ließen Pinsel und Stechbeitel ruhen, griffen stattdessen zur Schubkarre und entsorgten tonnenweise Schutt von den Mauern, die sie zuvor eingerissen hatten.

Mauern sprengen – ein Credo, das auch die künstlerische Arbeit der inzwischen sechsköpfigen „sans-titre“-Crew ausmacht und die dafür manch Wagnis eingeht. Der Verein investiert in eine Zukunft, die ungewiss ist. Der Mietvertrag mit der Potsdamer Wohnungsgenossenschaft 1956 (PWG) für diesen Stahlbetonbau zwischen Hauptpost und Getränke-Lehmann ist vorerst auf vier Jahre begrenzt, wovon zwei bereits abgelaufen sind. „Wir wissen um das Risiko und wollen doch durch unsere Arbeit dem Haus eine Bedeutung geben“, sagen die beiden Kuratoren Constanze Henning und Mike Geßner, die sich wie alle im „sans titre“ aus Leidenschaft ehrenamtlich einbringen. Fakten schaffen, die innehalten lassen und vielleicht davor schützen, dass auch dieses Haus der Ostmoderne beseitigt wird. Die Künstler mussten zuvor bereits die Seestraße und danach die Puschkinallee räumen. Der Einzug in den „Osten“ birgt Gefahr.

In der Puschkinallee waren es 27 Künstler, die in einem ehemals von der Staatssicherheit genutzten Plattenbau zusammenarbeiteten. Jetzt wird das Grundstück in der noblen Lage am Pfingstberg luxussaniert. „All die Nischen, die von Künstlern entdeckt und den Ort interessant werden lassen, bergen die Gefahr, dass irgendwann Investoren kommen und die urspünglichen Mieter vertreiben“, so Constanze Henning. Dennoch steckte ihr Verein Tausende private Euros ins „sans titre“ und hofft, dass er dort für länger mit seiner Arbeit überzeugen und mit verschiedenen Angeboten auch ganz verschiedene Besucher anziehen kann.

So wird es dort zum zweiten Mal die Ausstellung zum renommierten Lotto-Kunstpreis geben, zum Salon gebeten und auf Künstleraustausch gesetzt. Alles ohne sichere öffentliche Zuschüsse. Denn bislang gibt es in Potsdam kein Atelierförderprogramm wie in Berlin. Der Verein muss für die Miete in vierstelliger Höhe – die genaue Summe wollten die Kuratoren nicht nennen – und auch für die Betriebskosten allein aufkommen. Und so wird schon jetzt fleißig Holz gehackt, um im Winter den Kamin zu bestücken: die einzige Wärmequelle für die 800 Quadratmeter. Zum Malen ist es in den Kältemonaten dennoch zu frisch und so bastelte Mikos Meininger in der dunklen Zeit am offenen Feuer kleine Figuren aus Pappmaché.

Eine städtische Förderung ist bislang nur über Projektanträge möglich. Doch auch da fühlen sich die Kuratoren im Regen stehen gelassen. Von den drei im November gestellten Anträgen wurde einer bewilligt und das erst im Mai und nur mit 4000 Euro, der Hälfte des erforderlichen Finanzaufwandes. „Nun muss dieses von der Malerin Olga Maslo erdachte Mailart-Projekt auch noch bis Jahresende über die Bühne gehen. Wie aber soll man ein großangelegtes Vorhaben mit 12 internationalen Künstlern in sieben Monaten hinkriegen? „Diese bürokratischen Hürden erschweren oder verhindern gar die kreative Arbeit“, so Constanze Henning. „Das Bild des Sisyphos ereilt uns immer wieder“, sagt der Maler Mikos Meininger, der sich am Ende des Gesprächs dazusetzt: auf die Holzbänke im Garten mit Blick auf die verrostete Eisentreppe ins Obergeschoss, aber auch auf ein gepflegtes Blumenbeet. „Das halten zwei Nachbarinnen in Ordnung“, erzählen die Künstler. Gute Nachbarschaft ist ihnen wichtig. Aber nicht bei allen stößt das bunte Künstlervölkchen auf Wohlwollen. So gibt es auch schon mal Beschwerden, wenn am Tage die Kinder der Künstler beim Spielen zu laut sind. Ein Konzert oder eine Theateraufführung sind also im „sans titre“ kaum denkbar. Doch der Chef der PWG kommt zu ihren Veranstaltungen und auch ein gemeinsames Sommerfest wurde gefeiert. Offensichtlich ist der Vermieter froh, wenigstens einen geselligen öffentlichen Ort in seinem Wohnquartier zu haben.

Noch ist „sans titre“ auch gedanklich eine Baustelle. Wird es sich zu einer Art Produzentengalerie entwickeln? Auf jeden Fall ist es mehr als eine Ateliergemeinschaft. „Wir betreiben ein Haus und investieren in jede Form, um es zu erhalten. Es ist einzigartig in seiner Beschaffenheit, auch wenn es von außen noch nicht so sichtbar ist,“ sagt Meininger. Aber auch da hat sich seit dem Auftakt-Subbotnik im Frühjahr einiges getan. Jetzt steht der Anstrich an, wieder in Eigenleistung. Allerdings nicht im gewünschten leuchtenden Blau, sondern im PWG-bestimmten „kuschligen Weiß“. Aber damit können die Künstler leben, Hauptsache es geht weiter. Ein Glaube, den sie emsig füttern.

Mike Gessner, der schon verschiedene Galerien betrieben hat, freut sich, dass es auch 2010 noch möglich war, einen Ort aufzuspüren, wo man bei Null anfangen konnte. „Das ist eine schöne Herausforderung.“ Er hat hier seine Künstlergruppe „Ornament und Versprechen“ mit dem Fotografen Steffen Mühle und dem Maler Mike Bruchner verortet. Alle spüren sie „die Energie und Schönheit, die im Haus steckt. Hier hat die Moderne ein experimentelles Dach. Es erinnert weniger an den DDR-Plattenbau als an das Bauhaus“, betont Constanze Henning. Es geht ihnen nicht darum, dass die Künstler die schönsten Ateliers bekommen. „sans titre“ will nach außen wirken, in alle denkbaren Richtungen und damit an einem Fundament bauen, das sich nicht so schnell wegbaggern lässt.

Kunsthaus „sans titre“, Französische Straße 18, bis 7. August ist dort die „Metropolar“-Ausstellung zu sehen: täglich außer montags 15 bis 20 Uhr. Eintritt frei

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