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Kultur: Ist die Sehnsucht erst geweckt

Eine Entdeckung: Die Ausstellung „Teils wolkig“ mit Schwarzweiß-Fotografien von Katja Gragert im Bürgerhaus am Schlaatz

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So schnell ist Wintersehnsucht geweckt. Und so überraschend. Fünf Bilder, die in einem schmalen und halbdunklen Flur hängen, reichen dafür aus.

Ausgerechnet Winter. Es ist ja nicht so, dass man ein Freund der damit verbundenen frostigen Temperaturen ist. Und gerade in diesen Wochen, wenn dann mal die Sonne scheint, ist man auch sehr froh darüber, genießt die Wärme und die damit verbundene Leichtigkeit. Aber dann steht man in diesem schmalen und halbdunklen Flur im Bürgerhaus am Schlaatz und betrachtet fünf Bilder. Mit „umWinter“ hat die Fotokünstlerin Katja Gragert sie betitelt und von 1 bis 5 nummeriert. Fünf Variationen über eine Winterlandschaft in der Uckermark. Hügliges Ackerland, vielleicht auch eine verwilderte Wiese. Ein einzelner Baum darauf und viel Schnee, dem aber noch die Kraft fehlt, alles zu bedecken. Eine Übergangsjahreszeit, die Stille und Schönheit atmet. Und je länger man sie betrachtet, von Bild zu Bild, umso tiefer taucht man ein in diese Winterlandschaft. Entdeckt Detail um Detail, weil man jeden Halm anschaut, jedes vertrocknete Gras. Glaubt dann schon fast, dass da ein leichter Wind geht, lauscht für einen Moment in diese weißverwischte Stille und muss lächeln, weil da doch nur ein paar Stimmen durch das Bügerhaus klingen.

Katja Gragert nickt nur ganz leicht, als man ihr von den eigenen Eindrücken beim Betrachten von „umWinter“ erzählt. Dann lächelt sie, kaum wahrnehmbar, stellt sich ebenfalls vor die fünf Bilder und betrachtet sie für einen Moment.

„Teils wolkig“ hat die Potsdamerin Katja Gragert die Ausstellung mit 39 Schwarzweiß-Fotografien betitelt, die derzeit im Obergeschoss im Bürgerhaus am Schlaatz zu sehen sind. Diese Ausstellung ist Werkschau und gleichzeitig Abschluss einer fotografischen Phase. Denn nach drei Jahren ausschließlicher Schwarzweiß-Fotografie hat sie sich nun der Farbigkeit zugewandet. Das Land Brandenburg, das sich in ihren Bildern immer wieder findet, wird dabei auch weiterhin eine Konstante in ihrer Arbeit sein.

Ob das Triptychon „Strom 1-3“, das Strommasten auf Feldern zeigt, die Mühle im „Morgennebel“ oder die Serie „Ruppiner Land“ – Brandenburg ist auch in der Ausstellung „Teils wolkig“ immer präsent. Neben diese Bilder hat Katja Gragert Aufnahmen aus Frankreich, Italien oder der Tschechischen Republik gehängt. Oft ist es nur der Titel, der dem Betrachter sagt, dass er sich jetzt ganz woanders befindet. Es ist ein bewusstes Verwirrspiel, das Katja Gragert hier spielt. Die brandenburgische Heimat hat ihren fotografischen Blick so stark geprägt, dass sie die Motive, die sie hier findet und mit ihrer Kamera festhält, auch im Ausland in ähnlicher Form entdeckt. Da liegt auf dem Bild „Verschnaufpause“ eine Gondel in einer Gasse in Venedig wie ein verendetes Tier. Gleich daneben hängt „Zimmer mit Aussicht“, das den Blick aus einem leerstehenden Haus im Brandenburgischen freigibt. Der schleichende Verfall, der sich hier in die vom Menschen geschaffenen Stadtlandschaften frisst, ist bei beiden Bildern das verbindende Element.

„Mr. Big is Back in Town“ zeigt eine marode Hauswand in Nauen, an die „BIG“ gekritzelt wurde. Gleich daneben das Bild eines Cafés in der Prager Zlatá Ulicka, dem „Goldenen Gässchen“, könnte genauso gut auch in Nauen aufgenommen worden sein.

„Ich bin immer auf der Suche nach Gemeinsamkeiten“, sagt Katja Gragert.

Erst vor sechs Jahren hat Katja Gragert begonnen, sich ernsthaft mit der Fotografie zu beschäftigen. Ideen hatte sie schon früher, doch lange hatte sie das Gefühl, dass sie diese nicht würde umsetzen können. Es waren Zweifel an den eigenen Fähigkeiten im Umgang mit der analogen Fotografiertechnik. Digital war da, wie es in einem Lied von Tocotronic heißt, besser. Mit dieser Technik hat sie begonnen, ihre Ideen endlich in Bilder zu bringen. Vor vier Jahren ist sie dann Mitglied im Potsdamer Fotoclub geworden.

„Ich weiß, das Fotoclub nach älteren Herren klingt, die sich gelegentlich treffen, um sich ihre Urlaubsbilder zu zeigen“, sagt Katja Gragert. Doch bei den Potsdamern hat sie viel Professionalität erfahren. Sei es bei den regelmäßigen Treffen, um auch die eigenen Bilder anderen zu zeigen und sich der Kritik zu stellen oder bei gemeinsamen Fotoreisen. Immer gibt es anregende Gespräche und auch Hinweise für die eigene Arbeit. Doch nach außen hin, in der Öffentlichkeit mehr in Erscheinung zu treten und entsprechend wahrgenommen zu werden, das ist dem Potsdamer Fotoclub bei all seinem künstlerischen Potenzial bisher nicht gelungen. „Es ist einfach schwierig, hier in Potsdam gute Ausstellungsräume zu finden“, sagt Katja Gragert. Gern würde sie auch in der Galerie Kunstraum in der Schiffbauergasse ausstellen. Doch selbst wenn dies möglich wäre, würde es wahrscheinlich am Geld für ihre Bilder scheitern. Die Fotografien im Bürgerhaus sind im Format 30 mal 30 Zentimeter zu sehen. Im Kunstraum müssten diese Bilder viel größer sein, um in den Räumen überhaupt zur Geltung zu kommen. „Und das kann ich mir nicht leisten“, sagt Katja Gragert, die ihre Fotografien auf handgeschöpftem Papier zeigt, was deren ohnehin schon starken Ausdruck noch verstärkt. Für den, der sich ganz auf ihre Bilder einlassen will, ist das Obergeschoss im Bürgerhaus, trotz der ungünstigen Lichtverhältnisse, dagegen von großem Vorteil. Denn so viel Ruhe und Ungestörtheit wie hier ist in keiner Galerie zu erleben.

Ob nun die uckermärkische Winterlandschaft in fünf Folgen oder das „Ruppiner Land“, in dem sich die Wolken wie Kunstwerke türmen. Ob die bildgewordenen Sehnsuchstträumereien von der Ostsee oder die kleinen städtischen Verfallssinfonien, je länger man diese Bilder betrachtet, umso deutlicher wird, wie stark Katja Gragerts Blick auf das scheinbar unbedeutende Detail geschult ist. Sie sieht das, was wir alle sehen, im Moment des Vorbeigehens wahrnehmen, dann gelegentlich kurz innehalten, weil da etwas ganz besonders erschien. Drehen wir uns um und schauen zurück, ist es schon verschwunden. Katja Gragert hält dagegen diesen Augenblick fest. Am deutlichsten wird das in dem Bild „Nebenbei“, für das sie ein loses Stück Blitzableiter an einer Häuserwand fotografiert hat. Taucht auf ihren Bildern gelegentlich auch der Mensch auf, so nur verwischt. Eine Ahnung, ein Schatten nur, der zwar seine Spuren hinterlassen hat, aber nicht im Mittelpunkt steht.

„Teils wolkig“, eine Anspielung auf die Wolkengebilde auf einigen Bildern, gleichzeitig aber auch Hinweis auf die melancholische Grundstimmung, die diese Fotografien vermitteln, ist eine Entdeckung. Hier zeigt sich die Kunst für den richtigen Augenblick. Kompositionen von faszinierender Beiläufigkeit, die wie ein langes, meditatives Atemholen wirken. Diese Bilder sind Sehnsuchtskunstwerke. Schwarzweiß-Melodien, die für jeden ein ganz persönliches Lied singen.

Die Ausstellung „Teils wolkig. Schwarzweiß-Fotografien von Katja Gragert“ ist noch bis zum 17. September im Bürgerhaus am Schlaatz zu sehen. Der Eintritt ist frei

Dirk Becker

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