Kultur: Jenseits des Polarkreises
Der RBB strahlt am Montag den Dokumentarfilm „Geht“s hier nach Sibirien?“ des Potsdamer Regisseurs Fayd Jungnickel aus
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Der RBB strahlt am Montag den Dokumentarfilm „Geht“s hier nach Sibirien?“ des Potsdamer Regisseurs Fayd Jungnickel aus Die Filmgeschichte fängt im August 2003 in einem Wohnzimmer in Berlin an. Mit Madlens Familie, die um eine alte Schwarzweißfotografie herum steht und Russisch und Deutsch durcheinander spricht. Auf dem Bild sind dick eingepackte Männer mit Mützen abgebildet, ein Expeditionstrupp der 1913 nach Russland geschickt wurde, um einen Weg durch den polaren Ural nach Asien zu suchen. Einer der Männer ist Efim Ilitch Rubenstein, Madlens Urgroßvater. Die Kamera rückt einen aufgeschlagenen Atlas ins Bild und plötzlich findet sich der Zuschauer mit der Ethnologiestudentin im Zug nach Sibirien wieder. Die junge Frau mit dem dunklen Lockenkopf hat sich mit dem Potsdamer Regisseur und Kameramann Fayd Jungnickel und Tonmann Andreas Mohnke auf den Weg nach Russland gemacht. Ein Tagebuch des Urgroßvaters im Rucksack folgen sie seiner Route in den Norden. Um zu sehen, was er gesehen hat, und um zu entdecken, wie sich die Welt jenseits des Polarkreises seit 1913 verändert hat. Dabei herausgekommen ist der 80-minütige Dokumentarfilm „Geht“s hier nach Sibirien“. Am Montag um 22.50 Uhr läuft der Streifen über Leben und Landschaft jenseits des Polarkreises im RBB-Fernsehen. Fünf Wochen waren die drei Filmemacher unterwegs und schafften die Tour des Urgroßvaters nicht nur in erheblich kürzerer Zeit, sie reisten auch weit komfortabler. Wo der Urgroßvater sich zu Fuß durch den tiefen Schnee kämpfte, lehnt sich die Gruppe junger Leute im weichen Zugsessel zurück und blickt auf den blauen Sommerhimmel. Die drei Reisenden essen Piroggen und geräucherten Fisch und trinken russisches Bier, das ihnen Mitreisende anbieten. Die Kamera zeigt im Wackelbild Madlen, wie sie rauchend im Zug steht und sich mit einem Russen unterhält, wie sie aus dem Tagebuch des Urgroßvaters vorliest. Madlen kommt mit den Bewohnern einer Siedlung ins Gespräch, sie lernt Familien kennen, die Rubinstein erwähnt hat. Sie wird in Häuser eingeladen, die auch 1913 schon existierten. Immer wieder holt sie das Tagebuch heraus, liest Bäuerinnen daraus vor oder dem Fischer am Fluss. Die Kamera zeigt einen bunten Reigen an Menschen, die im Norden leben. Die auf Busse wartenden und durch die Straßen wandernden Stadtbewohner Workutas. Die Landmenschen, die Kühe melken und Fähren steuern. Fast ebenso so schnell wie die sattgrünen Wiesen und Wälder ziehen die Menschen vorüber. Kurz im Bild, verschwinden sie wieder. Und weiter geht die Fahrt gen Sibirien. Die Geschichte wandert von Ort zu Ort, das macht sie schwungvoll – nur bleiben die Begegnungen an der Straße oft oberflächlich, die Gespräche vor der Kamera schaffen nicht mehr als eine kurze Draufsicht auf das Leben der Russen am anderen Ende der Welt. Nur selten geben die Dargestellten etwas von sich preis, kehren sie Inneres nach außen. Sie halten freundliche Distanz. „Geht“s hier nach Sibirien“ ist ein flatterhafter Film, der zusammengehalten wird, allein durch das authentische Tagebuch, das von Otto Sanders tiefrauchiger Stimme eingesprochen wird. Und trotz seiner Mängel hat der Film Charme. Er öffnet den Blick auf Unbekanntes. Die Landschaftsaufnahmen sind brillant, Jungnickel lässt sich viel Zeit, er wählt lange Einstellungen auf Ufer, Berge und Steppe. Von einer „unausrottbaren Menge von Mücken“ schrieb Rubinstein. Diese Plage ist eine, die sich ganz offensichtlich bis heute gehalten hat. Die kleinen Tiere kleben vor der Kamera, umschwirren in Massen lautstark das Bild. Der Regisseur filmt mit Humor. In einer Gemeinschaftsproduktion von RBB, HFF und „Neue Cut-Out-Film“-Produktion ist der außergewöhnliche Film entstanden. Der RBB hat ihm einen wenig begehrten Sendeplatz zugeteilt. Marion Hartig RBB, Montag, 8. Dezember, 22.50 Uhr
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