Kultur: Kein Vorbeikommen
Wanderausstellung „Fields of Shame“ zu Menschenrechten vor dem Stadthaus
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Menschenrechte, das sei nur ein Wort, sagte Hubert Körper von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) auf den Stufen des Potsdamer Rathauses. Vor dem Gebäude waren bis gestern Bauzäune errichtet, die an einen Gefängnishof erinnern sollen. Hier hing schaurige Information über die Situation politisch Verfolgter – Fields of Shame, Felder der Schande. Verschwommene, verblichene Fotos von Inhaftierten und Opfern haben die Ausstellungsmacher vom Krakauer Zentrum für Theorie und Praxis der Demokratie, eine Nachfolgerorganisation der Solidarnoc, zusammengetragen, um dem abstrakten Wort Menschenrecht ein Gesicht zu geben.
Sicher, sagt der Sprecher der IGFM, mancher wird aus politischen Gründen Ländern wie den Irak, den Iran, die Türkei, die USA oder Israel hier vielleicht vermissen. Es ginge jedoch nicht darum, Staaten an den Pranger zu stellen, sondern ein Gespür zu vermitteln, wie Regierungen Menschen unterdrücken. Und um Mitleid ginge es. Die Transparente erzählen von den blutig niedergeschlagenen Studentenunruhen in Burma, von inhaftierten tibetanischen Nonnen in chinesischen Gefängnissen, von der Demokratiebewegung Kubas und den brutalen Arbeitslagern in Nordkorea.
Oberbürgermeister Jann Jakobs begrüßte diese Ausstellung, an der es für niemanden, der ins Rathaus wollte, ein Vorbeikommen gab, gerade in der Adventszeit. In der Zeit der Vorfreude auf ein friedliches Weihnachten würde auf eindringliche Weise vermittelt, dass es immer noch Diktaturen gebe, die Menschen systematisch wegen ihrer politischen Anschauung verfolgten. Die Kulturministerin Johanna Wanka signalisierte mit ihrem Kommen die herausgehobene Bedeutung, die das Land dem Thema beimisst. Warum gerade hier in Potsdam so eine Ausstellung über Folter, Verbrechen und Unterdrückung in Asien? Welchen Einfluss könnte sie überhaupt haben, fragte die Ministerin. Wanka verwies auf die jüngste DDR-Geschichte und sagte: „Gerade wir sollten wissen, dass es sich lohnt, für die Menschenrechte zu kämpfen. Wir waren in unseren Rechten und unserem Handeln beschnitten, und das Wissen, dass wir im Ausland wahr genommen wurden, diese ideelle Unterstützung, hat uns in der Wendezeit Kraft gegeben. Wir Deutschen, 60 Jahre nach dem Tag der Befreiung, sollten uns daran erinnern, dass man sich nicht entschuldigen kann, dass man nicht wegschauen kann. Dass man weiß.“
Wegschauen konnte man bei der nächsten Rednerin nicht. Die junge Chinesin Zhihong Zheng schreibt ihre juristische Doktorarbeit über die Verfolgung der Falun Gong Gemeinschaft in China, die etwa 70 Millionen Mitglieder besitzt. Für die Juristin ein Fall von Völkermord. Zheng, auf der Treppe zum Stadthaus, muss ihren Vortrag mehrfach kurz unterbrechen. Zu gerührt ist sie. Sie ist Zeugin der Studentenunruhen 1989, die mit dem Massaker am Tiananamen nieder geschlagen wurden. Mit bebender Stimme sage sie, sie könne es nicht fassen, wie ein Staat mit Panzern gegen die eigenen Bürger vorgehen könne. Jeder zweite Chines wäre der Verfolgung durch die Kommunistische Partei Chinas ausgesetzt gewesen. Bei aller Bewunderung für die 5000jährige Kultur und die aufstrebenden Supermärkte dürfte man nicht vergessen, hinter die Kulissen zu schauen. Das Vorgehen gegen Falun Gong, die keine „Sekte“ sei, wie die chinesische Propaganda glauben machen möchte, sondern eine Gemeinschaft, die ihr eigenes, normales Leben praktizieren will, wäre genauso grausam wie das Massaker am Tiananmen Platz. „Nur noch heimtückischer, alles passiert in Arbeitslagern, hinter verschlossenen Türen“, so Zhihong Zheng.
Die Ausstellung zeigt, dass in Tibet sogar der zweithöchste buddhistische Würdenträger, der Panschen Lama, ein Kind noch, in Haft sitzt. Über 6000 Klöster und andere Kultureinrichtungen sind von den Chinesen zerstört worden. In Burma kamen Mönche jahrelang ins Gefängnis, nur weil sie es ablehnten, offizielle Geschenke anzunehmen.
Allein 2003 sind dort 70 Demokraten umgebracht worden. In Kuba sitzen 75 Menschenrechtler für mindestens 20 Jahre in Haft, weil sie für ein Referendum eintraten, in dem Versammlungs- und Pressefreiheit gefordert wurde. In Nordkorea sitzen bis zu 200000 Gefangene mitsamt ihren Familien in fürchterlichen Todeslagern, Kwan-li-so genannt, aus denen niemand lebend heraus kommt. Müttern werden nach der Geburt die Kinder fort genommen und getötet.
Spätestens jetzt weiß man. Zweihundert Meter vom Stadthaus ist Weihnachtsmarkt. Das dauerhafteste Gefängnis des Menschen befindet sich innerhalb der unüberwindbaren Mauern seiner eigenen Beschränktheit und Fehlbarkeit.
Matthias Hassenpflug
Fields of Shame – Felder der Schande ist vom 7. bis zum 10. Dezember vor dem Roten Rathaus in Berlin zu sehen.
Matthias Hassenpflug
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