Kultur: „Konfessorisches war nie seine force“
Fontane-Archiv feiert 70-jähriges Bestehen mit einem Symposium auf Hermannswerder
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Fontane-Archiv feiert 70-jähriges Bestehen mit einem Symposium auf Hermannswerder Fast unbemerkt gab die gute deutsche Sprache bei der feierlichen Eröffnung des diesjährigen Fontane-Symposiums des 70-jährigen Fontane-Archivs und seiner Gesellschaft im Inselhotel Hermannswerder ein Exempel ihrer von keinem Reformer zu beugenden Kraft. Nach den Elogen und Reverenzen von Stadt, Kulturland Brandenburg, Land und der mitveranstaltenden Fontane-Gesellschaft, welche zugleich ihr 15-jähriges Bestehen feiert, eröffnete der emeritierte Professor für Theologie und Philosophie Hermann Timm aus Heidelberg die viertägige Versammlung von etwa 150 Germanisten, Forschern und Fontane-Liebhabern mit einem Festvortrag. Timms Thema „Facetten der Frömmigkeit in Fontanes Schriftwelt“ bezog sich direkt auf den diesmaligen Forschungsschwerpunkt, aber auch auf des Märkers Verhältnis zur Revolution, welche im 19. Jahrhundert mit dem Atheismus eine lange Verlobung feierte. Tatkräftig unterstützt von Vertretern aus Irland, dem großen Britannien, der Schweiz und den Niederlanden, will man endlich seine Beziehung zu Frömmigkeit und Kirche klären. Oder trat bei ihm „Religion als Relikt“ in Erscheinung? Auf das Fragezeichen dahinter kommt alles an. Freilich brachte die phonetische Verwechslung von F und V etwas Irritation. Timm bestand darauf, dass sein angekündigter Beitrag „Reverenz und Revolution“ in allen Facetten als Referenz (ein Fremdwort zwar, aber ein deutsches!) verstanden werde, als Empfehlung, Beziehung, Auskunft, weniger als eine Verbeugung. Ist man sich bei Fontane über das Offensichtliche seiner Religiosität („formale Kirchenzugehörigkeit“) weitgehend einig, so streitet man doch über seine „persönliche Religiosität“. Christlich getauft und getraut, entstammte er hugenottischer Familientradition, die aber kaum Einfluss auf seine christliche Erziehung nahm. „Konfessorisches war nie seine force!“, sagte Timm in seinem schönen Vortrag,, betonte aber zugleich Fontanes lebenslanges Interesse an religiösen Fragen, wobei er „eine notorische Diskretion über alle letzte Dinge“ feststellte. Obwohl der Genfer Reformation („reinere Form des Protestantismus“) zugetan, benutzte der märkische Titan stets Luthers Bibel. Die 1817 von Friedrich Wilhelm III. erzwungene Kirchenunion zwischen Reformierten und Lutheranern lehnte er nachhaltig ab: „Die ganze Geschichte ist antiquiert“. Seltene Gottesdienste ohne Angehörige dienten mehr dem Studium der von ihm geliebten Landpfarrer als innerer Erbauung. Einst selbst mit der Gretchenfrage konfrontiert, antwortete er typisch „fontanesk“: „Nein. Aber doch!“ Auch das poetische und publizistische Werk sowie seine umfangreiche Korrespondenz vermitteln kein eindeutiges Bild, Autobiographisches verweigert gerade hier eine Antwort. Von den Romanen gibt der „Stechlin“ mehr die Summa („Was ist Christentum?“) als den Weg. Leider sei die berühmte Grabpredigt abhanden gekommen ... Man weiß es vorerst nicht genau. Hermann Timm glaubt, Fontane sei den pietistischen Weg nach innen gegangen. „Der hat viele Namen: Gnade, Vorsehung, Schicksalshand, Rätselmacht“. Besonders rühmte er die Herzensgüte des Dichters, seine Demut vor Gott. Das von allen gesuchte „neue Christentum“ sei gerade das alte, und eine Religion der Demut nicht weniger als „revolutionär“. Die inzwischen erreichte Reverenz des Redners setzte mit Jesaja 43.4. noch einen drauf: „weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe“ – freute sich Gott, den alten Fontane im Himmel wiederzusehen. Geht“s schöner? Auch das Fontane-Archiv kann sich freuen. Wie bei der Eröffnung zu vernehmen, wird die Landesregierung schon im Oktober wohlwollend über ein neues Haus befinden – den emsigen Mitarbeitern zur Lust, dem Dichter der Föhren und Sande zu Ehren, zugleich eine Referenz für das Ausland. So fallen Verbeugung und Empfehlung mit „dem vom weiten Felde“ endlich in eins. Gerold Paul Jürgen Holtz liest anlässlich des Symposiums heute um 20 Uhr in der Inselkirche Hermannswerder „Brandenburgische Kirchen- und Ketzerhistorien“. Dazu spielt das Persius-Ensemble.
Gerold Paul
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